Pippi und die Coronaleugner:innen: Lieber langweilig als Langstrumpf
Die politisch am häufigsten bemühte Kinderbuchfigur ist zurück. Nur: Was wollen Coronaleugner:innen im Pippi-Kostüm uns eigentlich sagen?
Sie war wieder dabei: Pippi Langstrumpf. Ihren Auftritt hatte sie bei einer Coronaleugner:innen-Demo am Sonntag in Berlin. Es war natürlich nicht Pippi, sondern eine erwachsene Frau, die als Pippi verkleidet auf dem Mittelstreifen der Karl-Marx-Allee im Stadtteil Friedrichshain tanzte – zwischen zurückhaltenden Polizist:innen und maskenlosen Demonstrant:innen.
Immer wieder taucht Astrid Lindgrens berühmte Kinderbuchfigur im politischen Diskurs auf und meistens geht es dabei um alternative Realitäten. 2013 sang Andrea Nahles im Bundestag eine Zeile aus dem Titellied der Pippi-Fernsehreihe, um zu sagen, dass die schwarzgelbe Regierung sich etwas vormache: „Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt.“
Auch unter Fußball-Ultras ist das Lied sehr beliebt. Die grölen zwar meist nur die Melodie, doch ein Blick auf den Text des Liedes verrät etwas über das Selbstverständnis von Pippi: „Jeder, der uns mag, kriegt unser Einmaleins gelehrt“, heißt es darin. Mit anderen Worten: Erst wenn ihr auf uns zukommt, verraten wir euch, wie unsere Welt funktioniert. Bei Kindern ist die Faszination für diesen Zugang zum Miteinander absolut nachvollziehbar. Aber wenn sich Erwachsene ernsthaft damit schmücken, wird es unheimlich.
In der Streetart ist Astrid Lindgrens Figur oft mit dem Spruch „Sei Pippi, nicht Annika“ zu sehen. Pippis Freundin Annika gilt, im Gegensatz zu der rebellischen Pippi, als bürgerlich und behütet – und ein bisschen langweilig. Der Spruch soll dazu ermuntern, sich den gesellschaftlichen Normen zu entziehen.
Ein Hauch von kindlicher Unantastbarkeit
Das Problem dabei ist: Als Pippi Langstrumpf in die Bücherregale und ins Fernsehen kam, mag es erfrischend unkonventionell gewesen sein, dass ein Mädchen dafür einsteht, Kind sein zu dürfen – und mit seiner entwaffnenden Art starre Gesellschaftsmuster wie etwa die damalige rabiate Pädagogik herausforderte und durchbrach.
Die Langstrumpf-Maskerade soll vermeintlich alternativen Weltanschauungen einen Hauch von kindlicher Unantastbarkeit verleihen, so auch der diffusen Bewegung der Coronaleugner:innen. Doch wer sich heute auf einer Demo mit Pippi Langstrumpf schmückt, der:dem darf man unterstellen, dass es dabei weniger ums Brechen von gesellschaftlichen Normen geht, sondern um das eigene Recht auf kindlichen Egoismus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen