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Pierre LavalDer Pazifist, der mit den Nazis kollaboriert hatte

Vor 80 Jahren wurde Pierre Laval hingerichtet. Der Ministerpräsident des Vichy-Régimes ließ Juden deportieren, um sein Land aus dem Krieg rauszuhalten.

Pierre Naval bei seiner ersten Radioansprache in Paris, am 31. Oktober 1934 Foto: United Archives/imago

Hätte er mal auf seine Frau gehört. Jeanne hatte Pierre Laval im Frühjahr 1942 bekniet, bloß nicht erneut in die französische Regierung einzutreten, als Nummer zwei in Marschall Philippe Pétains Kollaborationsregime in Vichy, das er konzipiert hatte. Aber er war in seinen Augen eben der einzige, der Frankreichs Selbstständigkeit würde retten können. Als treuer Schüler von Nobelpreisträger Aristide Briand, hielt er sich für den Garanten des Friedens. Das Mittel, sein besetztes Land aus dem weiteren Krieg herauszuhalten, war für ihn die Umarmung des Besatzers.

„Je hais la guerre d'une façon tenace et maladive“, zitiert ihn der früh verstorbene Zeithistoriker Fred Kupferman, selbst Auschwitz-Überlebender: „Ich hasse hartnäckig und geradezu krankhaft den Krieg“. Der Pazifismus gehört zu den wenigen Konstanten in Lavalles politischer Biografie.

Und darum wird am 18. April 1942 der 1883 in einem Dorf in der Auvergne geborene Metzgerssohn, den das Time Magazine nach Gandhi und vor Franklin D. Roosevelt zum „Man of the Year“ des Jahres 1931 gekürt hatte, zum dritten Mal Premierminister Frankreichs und drei Jahre später dann hingerichtet, – vor nun genau 80 Jahren – am 15. Oktober 1945.

Die Jagd auf Juden

Kein falsches Mitleid. Laval hatte Frankreich zum Mittäter der Shoah gemacht. Um die Autonomie des Pétain-Regimes zu beweisen, mussten statt SS-Leuten französische Polizisten die Jagd auf Juden übernehmen. Die Behauptung, er habe die von den Nazis gar nicht geforderte Deportation auch ihrer Kinder aus humanitären Erwägungen angeordnet, um nur ja keine Familien auseinander zu reißen, war schon 1942 zu durchsichtig: Es ging darum, Aufsehen durch tränenreiche Abschiede zu vermeiden – und darum, dem Staat keine Versorgungsfälle ans Bein zu binden. Laval war eben durch und durch ein Pragmatiker, kaum Antisemit und ganz sicher kein Faschist.

In den 1930ern ist Laval noch der beliebteste Politiker Frankreichs. Dem Rest der Welt ist er eine Figur der Hoffnung für Europas Zukunft: Erstmals Ministerpräsident wird er 1931. Als Krisenlöser holt man ihn 1935 noch einmal an die Spitze der Regierung, aber bevor die Maßnahmen greifen, ist die Mehrheit futsch.

Laval hatte als Kommunist angefangen, aber die totalitäre Versuchung verfängt bei ihm nicht. „Ideologie hat er abgelehnt“, so fasst der Geschichtsprof Renaud Meltz zusammen, der mit einer monumentalen Biografie das französische Mysterium Laval ergründet hat.

Der entspricht dem Politikermodell Danton: Schlau, mit Blick auf den eigenen Vorteil, korrupt, moralbefreit, aber leutselig, ein echter Bürgermeister: Das Amt hat er in seinem Wahlkreis Aubervilliers von 1923 bis 1944 die ganze Zeit inne.

Die Kühe selbst versorgt

Nein, so jemandem nimmt keiner krumm, wenn er nebenher einen Radiosender erwirbt, ein Schloss und einen landwirtschaftlichen Betrieb. Dass er dort die Kühe mitunter selbst versorgt und melkt zahlt dagegen aufs Beliebtheitskonto ein.

Und doch ist das 1945 geräumt: Da wünschen 78 Prozent der Franzosen Laval die Todesstrafe. Mit der Judenverfolgung hat das nichts zu tun. Keine Rolle spielt sie auch beim Prozess, dem seine Anwälte aus Angst um ihren Ruf fernbleiben, während ihm Geschworene während der Beweisaufnahme eröffnen, er verdiene zwölf Kugeln in den Rücken. So wird er wegen „Verschwörung gegen die innere Sicherheit des Staates und Geheimdienstarbeit mit dem Feind“ zum Tode verurteilt.

Die Hinrichtung mit unverbundenen Augen

Die Hinrichtung gerät zur grausamen Farce. Sie findet, ungewöhnlich, erst mittags statt, weil Laval Zyankali geschluckt hat, allerdings nur die Hälfte der Kapsel. Das reicht nicht. Also pumpt man ihm den Magen aus und doktert an ihm herum, bis er, wacklig, in den Hof geführt werden kann, zur Exekution.

Er trinkt noch einen Schluck. Kotzt. Dann Schlussworte mit Pathos. Die Gnade, dem Erschießungskommando mit unverbundenen Augen gegenüber zu treten, wird ihm gewährt. Unerfüllt bleibt sein Wunsch, ihm nicht ins Gesicht zu schießen. „Today, justice has been served“, resümiert die Wochenschau der United Newsreel Corporation.

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15 Kommentare

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  • „Ich hasse hartnäckig und geradezu krankhaft den Krieg“



    Das war beim berühmten französischen Schriftsteller und Arzt L.-F. Celine auch so ("Reise ans Ende der Nacht", ein echter Antikriegsroman), und er wäre dann auch fast hingerichtet worden. Er wurde im 1. WK schwer verwundet. Nach dem Krieg hatte er Medizin studiert und seine Dissertation über Semmelweis geschrieben ("Retter der Mütter", erster praktischer Fall von evidenzbasierter Medizin). Seine Dissertation war eher ein huldigender Roman als eine wissenschaftliche Arbeit. Es wurde mal die These aufgestellt, dass Celine anschließend aus pragmatischen Gründen "auf der richtigen Seite stehen" wollte (eine Formulierung, die gerade zufälligerweise wohl auch öfters von Herrn Schertz verwendet wird). Was sich dann aber als die falsche herausgestellt hatte (Kollaboration mit den Besatzern im 2. WK, antisemitische Texte). Er wurde 44 von deutschen Behörden nach Deutschland zwangsumgesiedelt (Schloss Sigmaringen, wo er wohl auch auf Laval getroffen ist). Nach Flucht nach Dänemark 45 wurde er dort interniert, währenddessen in Abwesenheit in Frankreich zum Tode verurteilt und ist erst dorthin zurückgekehrt, nachdem er 50 begnadigt wurde.

    • @Wanna Relax:

      Gewagt - wenn man Wikipedia zugrundelegt



      de.wikipedia.org/w...dinand_C%C3%A9line



      (…für Neugierige sollte frauman wissen -



      daß von Voyage au bout de la nuit Reise ans Ende der Nacht - unterschiedliche/gekürzte Ausgaben im Handel sind.)

      • @Lowandorder:

        Dass das hier jetzt gewagt ist, hatte ich mir schon gedacht. Aber der Titel ist ja eben so formuliert: "Der Pazifist, der mit den Nazis kollaboriert hatte". Dieser Widerspruch wirft ja offensichtlich eine Frage auf. Nämlich die Frage nach dem Motiv.

        • @Wanna Relax:

          Sorry. But



          Der Beitrag gehört ersichtlich zu



          @Wanna Relax 21:59



          Bitte korrigieren

          • @Lowandorder:

            Ja,, keine Ahnung, warum



            Lowandorder 11:39 unter einem Kommentar von



            HF ist und warum ich dann deswegen dort antworten musste.

            • @Wanna Relax:

              Ich stöbere gerade ein bisschen, und die Kommentarfunktion ist noch offen :-). Neugierige dürfen sich den Antikriegsroman übrigens auch anhören! Wo dort gekürzt wurde, weiß ich nicht. ;-)

              taz.de/Radio-bildstark/!858810/

              Und es wird natürlich schon versucht, solche Entwicklungen zu erklären. Bspw.:

              de.wikipedia.org/w...ulpa_(C%C3%A9line)

              Wobei das hier einfach als pauschales Beispiel gemeint ist... also ohne Wertung.

  • Es ist wertvoll, dass die TAZ daran erinnert, obwohl es gruselich in jeder Hinsicht ist. Verrohung in allen Dimensionen. Prinzipis obsta !

    • @Hans - Friedrich Bär:

      Ja wie? Sie halten Menschen für rationale Wesen? Interessant

      kurz & vulgo gesprochen:



      🧠 🧠 🧠



      Ne weiche Stell in jeder 🍐 •



      always at your servíce



      (btw & entre nous - was Céline insoweit zur Erhellung beitragen soll - erschließt sich mir mit Verlaub nicht so recht - hm!)

      • @Lowandorder:

        Eigentlich wollte ich ja auch nur anmerken, dass Celine ursprünglich auch Pazifist war und dann auch mit den Nazis kollaboriert hatte. Und dass Laval und Celine zusammen in Sigmaringen waren.

        Ein Artikel hierzu:



        taz.de/Sigmaringen...uptstadt/!6037640/

  • Martialische Hinrichtung von Vichy Regime Kollaborateuren wie Pierre Laval mit der NS Deutsche Wehrmacht Besatzungsmacht als vollziehender Gewalt auch über die SS Sondereinsatzgruppen in Frankreich bis in französische Koonien Nordafrikas, Sahelzone, Übersee1940-1944 täuscht nur über die Breite der Kollaborationstiefe der Franzosen bei sog. Endlösung der Judenfrage in Europa durch deren millionenfache Vernichtung durch Gas in Auschwitz, Treblinka oder bei Zwangsarbeit für private, kirchliche, kommunale, staatlich deutsche Betriebe für Forsten, Landwirtschaft, Industrie, Rüstung bis auf den Tod. So war die Deportation durch die Deutsche Reichsbahn und Vernichtung von 30 000 Franzosen mit jüdischer Herkunft deren Vermögensentzug nach Ausbürgerung ohne Pariser Administration in französischer Hand gar nicht darstellbar nachdem die SS nach ordentlicher Anfrage im NS Joachim Ribbentrop Außenamt durch NS Staatsekretär und SS Reiterstaffel Obergruppenführer Ernst von Weizsäcker, assistiert in Paris vom späteren FDPNRW Netzwerker Außenpolitikausschussvorsitzenden Deutschen Bundestages Ernst Achenbach 1969-1976 mit grüner Tinte auf der SS Anfragsformular ordentlich sein Okay gegeben hatte

    • @Joachim Petrick:

      Danke für diese tour d’horizont brutalement

      unterm——-



      de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Achenbach



      Telegramm vom 15. Februar 1943 aus Paris an das Auswärtige Amt in Berlin, von Achenbach unterzeichnet



      Paris, den 15. Februar 1943 – 22.30 Uhr



      Ankunft: 15. Februar 1943 – 23.25 Uhr



      Nr. 1701 vom 15.2.



      CITISSIME!



      Am 13.02.1943 gegen 21.10 Uhr wurden Oberstleutnant Winkler und Major Dr. Nussbaum vom Stab Luftwaffenkommando III auf dem Wege von ihrer Dienststelle nach ihrer Unterkunft Paris, Hotel »Louvre« kurz nach Passieren des Louvre-Durchgangs an der Seine von hinten beschossen. Oberstleutnant Winkler wurde durch 3 und Major Dr. Nussbaum durch 2 Schüsse verletzt. Beide verstarben noch in der Nacht nach Einlieferung in ein Lazarett. Am Tatort sind 7 Hülsen, Kal. 7,65mm, die vermutlich aus derselben Waffe stammen, gefunden worden. Die Ermittlungen gegen den oder die Täter sind noch im Gange.



      Als einstweilige Sühnemaßnahme ist geplant, 2000 Juden zu verhaften und nach den Osten zu verbringen.



      Achenbach



      & ebenda Bild



      Beate Klarsfeld (1970) mit dem vom Achenbach unterzeichnetem Telegramm vom 15. Februar 1943 ans Berliner Außenministerium



      & Nachkriegszeit - na lesen‘s selbst •

      • @Lowandorder:

        Besten Dank MfG

        Wie aber konnte es überhaupt geschehen, daß ein Mann mit solchen Flecken auf seiner Weste in der FDP und in Bonn eine Schlüsselstellung einnehmen konnte: Bundestagsabgeordneter, Mitglied des Europa-Parlaments (das jetzt seinen Ausschluß verlangt), ehemaliger Stellvertreter im Fraktionsvorstand, Vorsitzender des FDP-Ausschusses für Auswärtiges? Als die sozialliberale Regierung gebildet wurde und die Ostpolitik durchgesetzt werden mußte, war Achenbach, unentbehrlich. Er hielt Brandt und Scheel die Stange, beide waren ihm verpflichtet: Der Bundesaußenminister wollte ihn zum Dank für Treue und Standfestigkeit zum EG-Kommissar in Brüssel machen, der Bundeskanzler verteidigte ihn gegenüber den schon damals massiven Anschuldigungen wegen seiner NS-Vergangenheit mit der Bemerkung: Achenbach sei "Unrecht geschehen".

        Damals drohte Attackierter: "Solange ich angegriffen werde, kann ich nicht verzichten." Er mußte dann doch, wegen anhaltender Proteste aus Brüssel, Rückzieher machen auf das Kommissionsamt verzichten

        www.zeit.de/1974/3...ch/komplettansicht



        Die Schatten des Ernst Achenbach



        F.D.P-MdBs drängen Achenbach zum Rücktritt

        • @Joachim Petrick:

          Danke - mal wieder Licht in mein angestaubtes 🧠 & detailreich ergänzt.



          Btw unter der Ägide war FDP vor allem NRW Zugangsgoal für



          Alt-Nazis! Die kannten sich ja bestens untereinander - das sog



          Huckepackverfahren leistete ein Übriges = ein Unbelasteter nahm erst 1 dann 2 & 3 dann bis zu 4! Belastete Huckepack in den ÖD! “Mann mußte am besten Nazi gewesen sein um leichter reinzukommen“ •

          kurz - Du packst dich ratlos an die 🍐 & 👃 & denkst ja träum ich denn!

  • "Da wünschen 78 Prozent der Franzosen Laval die Todesstrafe. Mit der Judenverfolgung hat das nichts zu tun."



    Wahrscheinlich mehr mit dem schlechten Gewissen wegen des Vichy-Regimes, das man am liebsten in der Vergessenheit gehabt hätte...

  • Help! Quel homme - grrr