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Die WahrheitChodschi Grötschi

Tagebuch einer Versteherin: In der Backzutaten-Abteilung des Supermarkts erscheint eine Agentin und raunt leise ihr geheimnisvolles Code-Wort.

U naufhaltsam nähert sich die Saure-Gurken-Zeit, und außer Meldungen wie „Der neueste Renner: Mehlwurmeis!“ gibt es wenig zu berichten, sieht man mal von der täglichen Nachrichten-Shit-Show aus aller Welt ab. Es ist also gut, wenn einem von Zeit zu Zeit Gelegenheit gegeben wird, das eigene Hirn mithilfe von assoziativem Training herauszufordern, bevor es sich komplett abmeldet. Eine solche bot sich mir in der Backzutaten-Abteilung meines Supermarkts.

Eine Frau mittleren Alters wanderte suchend durch den Gang zwischen den Regalen; nach längerem Studium des Puddingpulver-Angebots, gefolgt von einer weiteren Verschnaufpause beim Puderzucker, machte sie schließlich dicht neben mir Halt und stieß verschwörerisch leise Rachenlaute hervor. „Sie wissen, wo Chotschi Grötschi?“

Sollte ich es wissen? Würde gleich jemand von „Versteckte Kamera“ hinterm Regal hervorschießen und meine Bildungslücke einer feixenden Öffentlichkeit präsentieren? Ich beschloss, Zeit zu schinden. „Äh … ein Schweizer Bergdorf?“, probierte ich mein Glück. Die Erregung der Dame steigerte sich zusehends. „Chotschi Grötschi!“, röchelte sie. War sie vielleicht hier bei der Trockenhefe mit einem Agentenkollegen zur Übergabe eines mit wichtigen Informationen randvollen Mikrochips verabredet – und das war ihr Geheimcode?

Vielleicht sollte ich erwähnen, dass ich am Abend zuvor den neuen Film von Steven Soderbergh gesehen hatte, in dem ein übernatürlich elegantes Agentenehepaar einen Maulwurf innerhalb des britischen Geheimdienstes finden und irgendwas mit krass zerstörerischen Cyberwaffen verhindern musste, vermutlich hatte das mein Assoziationszentrum ein wenig beeinflusst.

Ich schloss die Augen und konzentrierte mich. „Chotschi Grötschi …“, murmelte ich beschwörend, und eine Erinnerung arbeitete sich durch die Kalkablagerungen meines Gehirns. Es war das Jahr 1980, und auf der Berlinale lief im ausverkauften Zoopalast ein Kurzfilm, gewidmet dem geheimnisvollen Nordseeinsel-Helden „Rod Gröth“. Leider wurde dessen Geschichte damals dem Publikum vorenthalten, denn nach einer spannungsgeladenen Minute musste es dem prädigitalen Filmmaterial beim Verschmoren im Projektor zuschauen.

„Rod Gröth … Chodschi Grötschi!“, sang ich mantra-artig. „Sim, sim!“, hörte ich meine Agentin begeistert einstimmen, woraufhin mein Hirn seine Zeit in einer portugiesischen Wohngemeinschaft assoziierte. Ich öffnete die Augen und sah in ein erwartungsvolles Gesicht. „Portuguesa?“ – „Brasileira!“, kam die strahlende Reaktion. Ich zog eine Packung „Rote Grütze Mischung“ aus dem Regal und überreichte sie der erfreuten Dame.

„Chodschi Grötschi“, rief sie begeistert, und ich dachte wehmütig an vergangene Tage, als wir uns auf dem Dorfsportplatz mit Rote Grütze und Schokoküssen statt mit Cybermunition bewarfen. Ach, Saudaaadschi!

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Pia Frankenberg
Lebt und arbeitet als Filmregisseurin, Drehbuch- und Romanautorin in Berlin. Schreibt in ihren Kolumnen über alles, was sie anregt, aufregt oder amüsiert
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