Pflichten für Unternehmen: Deutschland höhlt EU Lieferkettengesetz aus
Bevor die Richtlinie in Kraft tritt, will der Ministerrat die Klagerechte bei Menschenrechtsverstößen in der Lieferkette wieder abschaffen.

Mit der Richtlinie will Brüssel eigentlich Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und 450 Millionen Euro Jahresumsatz in die Pflicht nehmen, um Umweltschutz und Menschenrechte bei der Produktion zu stärken. Diese Schwelle wollen die Regierungen der EU-Länder nun drastisch anheben – auf mindestens 5.000 Beschäftigte und einen Jahresumsatz von mindestens 1,5 Milliarden Euro.
Der Ministerrat will zudem die bislang vorgesehene EU-weite zivilrechtliche Haftung abschaffen. Klagen gegen Unternehmen wegen Verstößen gegen das Gesetz würden damit deutlich erschwert. Sie hingen nämlich von der Rechtsprechung im jeweiligen EU-Land ab. Außerdem soll es künftig nicht mehr um den Schutz der gesamten Lieferkette gehen, sondern nur noch um die direkten Zulieferer.
Für diese massiven Rückschritte ist offiziell der amtierende polnische EU-Vorsitz verantwortlich. Polens Europaminister Adam Szłapka versuchte denn auch, die Rückabwicklung der Reform als Erfolg zu verkaufen. Damit werde ein günstigeres Geschäftsumfeld geschaffen, „das unseren Unternehmen hilft, zu wachsen, innovativ zu sein und hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen.“ Hinter den Kulissen hat jedoch vor allem die Bundesregierung für die Rückabwicklung des europäischen Lieferkettengesetzes geworben.
Auf Nachfrage der taz wollte sie sich dazu allerdings nicht bekennen. In Berlin wird vermutet, dass dies mit dem Widerstand des SPD-geführten Bundesarbeitsministeriums zusammenhängt. Im Gegensatz zu Merz steht es hinter der Richtlinie. Normalerweise hätte sich die Bundesregierung in dieser Lage in Brüssel enthalten müssen, da sie keine gemeinsame Haltung hat. Das sogenannte german vote konnte jedoch vermieden werden, da es gar keine Abstimmung gab, wie ein EU-Diplomat erklärte. Vielmehr hätten sich alle EU-Staaten hinter den Vorstoß des polnischen Vorsitzes gestellt.
Damit ist die Sache allerdings noch nicht erledigt. Das Europaparlament muss den Änderungen zustimmen, damit sie in Kraft treten können. Die Abgeordneten haben sich aber noch nicht auf eine Position geeinigt. Damit wird erst im Herbst gerechnet, erst dann dürften auch die Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten beginnen. Allerdings ist auch hier Merz in der Pole Position.
Mit der konservativen Europäischen Volkspartei EVP kann er sich nämlich über die größte Parlamentsfraktion stützen. Die EVP hat bereits mehrere Umwelt- und Klimagesetze abgeschwächt und zuletzt sogar erreicht, dass ein fertiges Gesetz gegen Greenwashing zurückgezogen wurde. Verantwortlich dafür war Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU).
Sozialdemokraten und Grüne wollen dagegen halten. Die grüne Europaabgeordnete Anna Cavazzini warnt: „Die EU-Mitgliedsstaaten machen sich zum Erfüllungsgehilfen der Lobbyverbände und schwächen das EU-Lieferkettengesetz noch weiter ab als die Kommission.“ Eine Einigung auf diesen Vorschlag würde die Schutzwirkung massiv schwächen.
Kritik kommt auch vom World Wide Fund for Nature. Statt wie bisher 5.500 deutsche Unternehmen wären nur weniger als 300 von neuen Sorgfaltspflichten betroffen, rechnet der WWF vor. Es wäre wie neue Verkehrsregeln, die dann nur für 5 Prozent der Autos gelten.
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