Pflegekräfte aus Drittstaaten: Das nicht gelobte Land
Deutschland wirbt um Pflegekräfte im Ausland, auch außerhalb der EU. Doch ihr Weg ist geprägt von Sprachbarrieren und Rassismus.
„Der Dialekt ist eine besondere Herausforderung, wenn Pflegekräfte aus dem Ausland in einer stationären Einrichtung arbeiten“, sagt Marc Bischoff. Er ist Geschäftsführer des Trägers „Leben und Wohnen“, der eine Altenpflegeschule in Stuttgart betreibt. Die Schule bietet zusätzliche Kurseinheiten an, auch zum schwäbischen Idiom.
Das neue
erleichtert die Zuwanderung von Pflegekräften – aber nur bedingt. Denn die Pflege ist ein bundesrechtlich reglementierter Beruf. Man braucht daher als Pflegefachkraft in Deutschland zwingend eine Anerkennung und eine entsprechende Berufszulassung.Um als Fachkraft aus Drittstaaten nach Deutschland zu kommen, müssen Pflegefachkräfte einen Abschluss aus dem Herkunftsland mitbringen, der hier in Deutschland als gleichwertig anerkannt wird, also einer hiesigen dreijährigen Ausbildung zur Pflegefachkraft entspricht. Diese Anerkennung erfolgt aber erst, nachdem hier bis zu 18-monatige Anpassungslehrgänge und Sprachkurse bis zum B2-Niveau absolviert wurden.
Über das Anwerbe-Programm „Triple Win“ sind seit 2013 rund 4.700 Pflegefachkräfte aus Nicht-EU-Ländern nach Deutschland gekommen, vor allem aus Bosnien und Herzegowina, Tunesien und den Philippinen. Weitere Kooperationen wurden mit Mexiko, Brasilien und El Salvador geschlossen (siehe Protokolle). Es gibt einen Verhaltenskodex innerhalb der Weltgesundheitsorganisation WHO, wonach Staaten kein Personal abwerben sollen in Ländern, in denen selbst ein Mangel an Fachkräften im Gesundheitsbereich besteht. Bei den staatlich anerkannten Programmen und renommierten Agenturen wird dieser Kodex berücksichtigt.
Berufe in qualifizierten Pflegehilfstätigkeiten, etwa Altenpflegehelfer:innen und Pflegeassistent:innen, werden auf Länderebene geregelt. Für sie ist in Deutschland eine Ausbildung von ein bis zwei Jahren erforderlich. Laut der neuen
zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz sollen Pflegekräfte aus dem Ausland herkommen und sofort als Pflegehilfskräfte arbeiten dürfen, sofern das jeweilige Bundesland seine oder ihre Ausbildung im Ausland als gleichwertig zu einer hiesigen sogenannten qualifizierten Pflegehilfskraft anerkennt. Sie können dann die Weiterbildung zur – sehr viel besser bezahlten – Pflegefachkraft dranhängen.Asylbewerber:innen mit einer Aufenthaltsgestattung oder Duldung können in Sonderprojekten zu Pflegehilfskräften ausgebildet werden. Nach dem neuen Gesetz dürfen Asylbewerber:innen im Verfahren unter Umständen auch hier arbeiten, dabei müssen aber Qualifikation und Sprachkenntnisse ausreichen. (BD)
Die deutsche Sprache, erst recht mit ihren Dialekten, ist eine der Hürden für die Zuwanderung von Pflegekräften aus dem Ausland. Und diese Hürden können darüber entscheiden, ob wir hier ein riesiges Problem kriegen, ohne dass eine Lösung in Sicht ist: Im Jahr 2030 werden nach Schätzungen der Barmer Ersatzkasse rund 180.000 Pflegekräfte fehlen. Weil es immer mehr Alte gibt und zu wenige Junge.
Dieses Problem haben auch andere wohlhabende Gesellschaften, international ist ein Kampf um qualifizierte Pflegekräfte entbrannt. Deutschland ist dabei auf Betteltour. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ging erst kürzlich auf Anwerbereise nach Brasilien, Jahre davor tourte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nach Mexiko. Der Erfolg ist übersichtlich: Mit dem staatlichen Programm „Triple Win“ kamen vergangenes Jahr 182 Pflegekräfte aus Mexiko nach Deutschland.
Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf dem Prüfstand
Am Freitag wurde im Bundestag über das neue Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung abgestimmt. Es soll die Arbeitsmigration ankurbeln. Nur ob und wie sich der Erfolg etwa in der Pflege darstellt, ist nicht abzusehen. Das Gesetz soll zwar unter anderem Menschen mit einer Berufsausbildung im Herkunftsland und der Aussicht auf einen Arbeitsvertrag die Einreise ermöglichen, auch wenn ihre Qualifikation nicht unbedingt mit unserer hiesigen dreijährigen Berufsausbildung vergleichbar ist – das betrifft auch die Pflege. Trotzdem aber stellt sich die Frage: Wie attraktiv sind wir?
Da die Arbeitsmigration aus der EU stockt, auch dort gibt es demografische Probleme, setzt man auf Drittstaaten. Dort ist die Bevölkerung oftmals relativ jung. Nur: Junge Arbeitsmigrant:innen aus den Philippinen, Mexiko oder Indien entscheiden sich gerne für ein englischsprachiges Land wie Kanada oder Australien. Der Aufwand ist geringer.
„Der Spracherwerb ist das Aufwendigste“, sagt Wolfgang Kreis. Er ist Geschäftsführer der Vermittlungsagentur Becon aus dem schwäbischen Gerlingen. Die Agentur wirbt in vielen Ländern außerhalb der EU Pflegefachkräfte an, versorgt sie schon im Heimatland mit einem Sprachkurs und vermittelt sie dann an Auftraggeber in Deutschland, zu 60 Prozent an Kliniken, zu 40 Prozent an Altenheime.
Die von der Becon vermittelten Pflegekräfte haben eine gute fachliche Ausbildung, in vielen Drittstaaten ist die Krankenpflege ein Bachelor-Studium, die Absolvent:innen gehören dort meist der Mittelschicht an. „In Iran, Mexiko, Indien herrscht ein sehr hohes Ausbildungsniveau“, sagt Kreis.
Hürden bei der Anerkennung
Der Weg nach Deutschland ist trotzdem lang. Der Sprachkurs vor der Einreise nach Deutschland dauert etwa ein halbes Jahr, in Vollzeit, um auf das für die Einreise erforderliche Mindestniveau von B1 zu kommen. Macht also schon mal den Vorlauf eines Bachelor-Studiums plus sechs Monate Deutsch-Paukerei.
Reist die Pfleger:in von den Philippinen, aus Mexiko oder Indien dann ein, muss sie hier noch das Anerkennungsverfahren zur Pflegefachkraft durchlaufen. Das dauert in der Regel nochmal ein Jahr, in dem sie oder er nur als Pflegehilfskraft arbeiten darf, entsprechend wenig verdient und sich dabei nachqualifizieren muss, etwa beim Wissen über die Geriatrie. Und dann die Sprache. Das Niveau B2 ist für eine Fachkraft erforderlich, das heißt, man muss sich einigermaßen flüssig verständigen können, auch mit Fachbegriffen.
Wolfgang Kreis, Geschäftsführer einer Vermittlungsagentur
In Deutschland erst mal nur als Pflegehilfskraft zu arbeiten ist finanziell nicht verlockend. „Die Lebenshaltungskosten sind sehr hoch, das mindert die Attraktivität von Deutschland“, sagt Kreis. Wer in einem Heim als Hilfskraft 1.500 Euro netto verdient und damit womöglich eine teure Wohnung in einer Metropole bezahlen muss, ist schnell ernüchtert. Viele Arbeitsmigrant:innen müssen zudem aus Deutschland Geld nach Hause schicken, auch um etwa noch Schulden durch das teure Studium zu tilgen.
Zudem kommt es zu Ausbeutungen. Es gebe Heime, die Pflegekräfte aus Drittstaaten bewusst möglichst lange im Status der Hilfskraft halten, um Lohnkosten zu sparen, „das sind schwarze Schafe, mit solchen Einrichtungen sollte man als Agentur nicht zusammenarbeiten“, betont Kreis.
Hürden nach der Anwerbung
Für Kreis ist allerdings die Bürokratie vor der Einreise nach Deutschland das größte Problem. „Das ist die Todeszone“, sagt er und nennt ein Beispiel aus Baden-Württemberg: Wenn der Sprachkurs im Herkunftsland bis zum B1-Zertifikat absolviert ist und der Arbeitsvertrag etwa einer Klinik vorliegt, gehen die Unterlagen an das Regierungspräsidium in Stuttgart zur Qualifikations- und Zeugnisprüfung. Das Präsidium stellt einen sogenannten Defizitbescheid über die erforderliche Nachqualifizierung aus. Dann wandern die Unterlagen zur Ausländerbehörde wegen des Aufenthaltsrechts, dann zur Bundesagentur für Arbeit wegen der Prüfung der Beschäftigungsbedingungen. Am Ende reisen die Unterlagen an die Botschaft im Herkunftsland zur Visaerteilung. „Die Verfahren können sich bis zu einem Jahr hinziehen“, sagt Kreis.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Oft antworteten die Ämter erst mal nicht, die Sachbearbeiter:innen würden die Gesetze nicht wirklich kennen, dann gebe es keine Termine bei den Botschaften, oder wenn, dann nur im Losverfahren. „Jede Behörde möchte die Unterlagen in Papierform, als beglaubigte Kopie, die Digitalisierung hat da noch nicht Einzug gehalten“, seufzt der Becon-Geschäftsführer. Mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz sollen diese Vorgänge zwar digitalisiert und beschleunigt werden, aber wie schnell das umgesetzt wird, ist fraglich.
Kein Wunder angesichts dieser Hindernisse, dass mit der Einreise Hunderttausender Geflüchteter der Gedanke aufkam, doch einfach mit den Flüchtlingen, die schon hier sind, den Personalmangel in der Pflege zu bekämpfen. Doch ebenso wie es fragwürdig ist, wenn die alternden westlichen Wohlstandsgesellschaften die demografisch jungen ärmeren Länder anbaggern, anstatt ihre Arbeitsbedingungen auf dem Pflegemarkt zu verbessern, so könnte man es auch als fragwürdig ansehen, wenn traumatisierte Geflüchtete sich nun um hochbedürftige Alte hierzulande kümmern sollen, deren Sprache sie oft kaum beherrschen.
In einem Projekt des Diakonie-Pflegeverbundes Berlin begannen in den Jahren 2015/16 17 Geflüchtete – zwei Drittel davon Männer – einen Kurs zu Pflegehelfer:innen in ambulanten Diensten. Davon sei etwa ein Drittel in der Pflege geblieben, sagt Jenny Pieper-Kempf, Sprecherin des Pflegeverbundes. „Die Einarbeitungszeit war lang und betreuungsintensiv.“ Das Projekt wurde nicht wiederholt. Im Jahr 2022 waren immerhin 20.000 Personen aus den acht zuzugsstärksten Herkunftsländern der Asylbewerber:innen in der Pflege tätig. Vor 2015 waren es weniger als 2.000 gewesen.
Wie sich die Arbeitsmigration aus Drittstaaten entwickelt, wird von den bürokratischen Erleichterungen, den Bedingungen im Pflegebereich, der Umsetzung des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes und der Willkommenskultur in Deutschland abhängen. Denn wahr ist auch: Wer erfolgreich eingewandert ist, zieht Landsleute nach. Laut einem Bericht der Bundesarbeitsagentur leben rund 145.000 sozialversicherungspflichtige Pflegebeschäftigte aus Drittstaaten in Deutschland, Tendenz steigend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml