Pferde im Senegal: Tierschutz als Wirtschaftsfaktor
Pferde sind im Senegal als Nutztiere unentbehrlich. Mehr Bedeutung bekommt nun auch ihr Wohlergehen. Ein Besuch bei Kutschern in Dakar.
K arim Wade legt die Ohren an und droht mit den Zähnen, sobald sich ihm irgendjemand nähert. Vorsichtshalber trägt der Dunkelbraune mit der weißen Flocke zwischen den Augen einen selbstgebastelten Maulkorb, was bei Pferden eher unüblich ist. Doch sein Besitzer Malick Wilane will auf Nummer sicher gehen. Karim Wade soll weder einen Menschen beißen, der vorbei geht, noch einen anderen Vierbeiner.
Dabei sei der Braune ein gutes Pferd, nickt der 30-jährige Wilane anerkennend. „Er gefällt mir, und ich bin zufrieden mit ihm.“ Das Gespann steht wenige Meter vom zentralen Kreisverkehr, der wie der gleichnamige Stadtteil HLM heißt. Es ist der Stammplatz von Wilane, hier im Zentrum von Rufisque, an dem er mit anderen Fuhrunternehmern jeden Morgen auf Kundschaft wartet. Rufisque selbst gehört zum Großraum der Hauptstadt Dakar.
Auf die Frage, warum er sein Pferd ausgerechnet nach Karim, dem Sohn des früheren Präsidenten Abdoulaye Wade, benannt hat, antwortet Wilane mit einem Kichern. Karim Wade – der Mann, nicht das Pferd – ist an der aktuellen politischen Krise schließlich nicht unbeteiligt: Präsident Macky Sall setzte Anfang Februar die für den 25. Februar geplante Präsidentschaftswahl aus; bei Demonstrationen gegen diese Entscheidung starben bisher vier Menschen.
Wenige Tage zuvor hatten Karim Wade und dessen Senegalesische Demokratische Partei (PDS) angekündigt, die Ablehnung seiner Kandidatur nicht hinzunehmen, und eine Wahlverschiebung gefordert. Das kam Sall gelegen, und so ist überraschend ein Pakt zwischen Regierungskoalition und PDS entstanden.
Kandidat:innen In Senegal können jetzt am Sonntag gut sieben Millionen Wähler:innen ein neues Staatsoberhaupt wählen. Unter den 19 Kandidat:innen ist nur eine Frau, Anta Babacar Ngom. Auch wenn die Veröffentlichung von Umfragen verboten ist, gilt Oppositionskandidat Bassirou Diomaye Faye (44), der erst vergangene Woche aus dem Gefängnis entlassen wurde, als aussichtsreich. Populär ist der „Kandidat gegen die alten Eliten“ besonders bei jungen Menschen.
Diomaye war auf der Elite-Verwaltungsschule ENA und Generalsekretär der 2023 verbotenen PASTEF, die Ousmane Sonko gegründet hatte. Er tritt als Unabhängiger an, wird aber vom nicht zugelassenen Sonko unterstützt. Für die Regierungskoalition „Benno Bok Yakaar“ (BBY) geht der bisherige Premierminister Amadou Ba (62) ins Rennen. Im Wahlkampf betont er, dass er mindestens eine Million Stellen für Senegals Jugend schaffen wolle. Weitere bekannte Kandidaten sind Khalifa Sall und Idrissa Seck.
Proteste Vor der Wahl war es zu landesweiten Protesten mit vier Toten gekommen. Amtsinhaber Macky Sall hatte den ursprünglichen Termin (25. Februar) abgesagt. Der Verfassungsrat legte letztendlich den 24. März fest. Erhält kein Kandidat die absolute Mehrheit, kommt es zu einer Stichwahl.
Karim Wade, dem Vierbeiner, ist das egal. Er muss geduldig warten, bis sein Besitzer jemanden findet, für den er innerhalb der Stadt Güter transportieren soll. Wilane sitzt auf dem Bock seiner Transportkutsche. Es ist ein aus Holz und Metall gebauter Einachser, der von außen in Hellblau und Weiß angestrichen ist. Der Kutscher hält die Leinen in der Hand, die Bremse ist angezogen. Manchmal hupt ein vorbeifahrendes Auto direkt neben dem Gespann. Die Straße ist eng und mit Schlaglöchern übersät, doch das Pferd stört sich daran nicht.
In Rufisque, rund 20 Kilometer vom Zentrum Dakars entfernt, ist das Leben günstiger und Wohnraum noch erschwinglich, der Alltag allerdings weniger komfortabel. Nur die Hauptstraßen sind gepflastert. In den neuen Vierteln, die überall entstehen, fehlen mitunter die Wasseranschlüsse. Die in Dakar üblichen gelben Taxen gibt es nicht. Stattdessen wird so ziemlich alles, alles, was groß, schwer und sperrig ist, mit Pferden transportiert: Möbel bei einem Umzug, Sand, Metall und Beton zu einer Baustelle, aber auch große Wassermengen in gelben Kanistern und schwere Einkäufe. Auch die Müllabfuhr kommt auf vier Beinen und mit einer Karre im Schlepptau.
In keinem anderen Land Westafrikas prägen Pferde so das Straßenbild wie in Senegal. Selbst inmitten der Millionenstadt Dakar sind sie überall zu sehen, an festen Haltestellen ebenso wie mitten im Verkehr. Nur auf mehrspurige Autobahnen dürfen die Gespanne nicht. Vor den Auffahrten stehen Verbotsschilder mit rotem Rand. Man schätzt, dass es mehr als 7.000 Kutschen und Fuhrwerke allein in der Hauptstadt gibt. Sie quetschen sich zwischen den im Stau stehenden Autos durch, verursachen keine Abgase und sind wesentlich günstiger als Taxen. Bis heute gibt es in Dakar, wo knapp vier Millionen Menschen leben, keinen geregelten Personennahverkehr.
Staatlichen Schätzungen zufolge leben landesweit mehr als 550.000 Pferde und gut 480.000 Esel. Es heißt, dass die Zahlen in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen sind. Auf dem afrikanischen Kontinent liegt Senegal auf Platz fünf der Pferdepopulation, bei den Eseln auf Platz sieben.
Die Vierbeiner haben ein Stockmaß – das wird am Widerrist, dem höchsten Punkt des Pferderückens gemessen – von 1,40 bis knapp 1,50 Meter und eine eher schmale Brust. Alle Farben vom Schimmel bis zum Rappen sind vertreten. Sie gelten nicht als eine eigene Rasse, und Informationen über die Entstehung gibt es kaum. Großen Einfluss hatten allerdings Berber-Pferde.
Zusammen mit den Araber-Pferden sind sie eine der ältesten Rassen der Welt. Seit knapp 4.000 Jahren werden sie von Menschen genutzt. Ihren Ursprung haben die Berber-Pferde in den heutigen Ländern Marokko, Algerien und Tunesien. Von Anfang an kamen die Pferde häufig bei kriegerischen Auseinandersetzungen zum Einsatz. Berber gelten als zäh, genügsam, ausdauernd und nervenstark.
Das müssen auch die Transportpferde in Senegal sein. Ihr Alltag und ihre Arbeitsbedingungen sind oft hart. Boubacar Ndao will sie verbessern. Ndao ist Generalsekretär der Vereinigung für den Schutz der Tiere (ARPA) in Rufisque. Pferdebesitzer Malick Wilane und er kennen sich gut und schütteln sich lange die Hand. Ndaos Blick fährt prüfend über dessen Gespann. Die Hufe des Pferdes dürfen nicht zu lang sein. Das Geschirr – es dient dazu, das Pferd vor den Wagen zu spannen – darf nirgendwo Scheuer- oder Druckstellen hinterlassen. Das Fell soll glänzen, und das Tier muss gut und regelmäßig gefüttert werden. Rippen dürfen nicht zu sehen sein. Ndao nickt unmerklich und ist zufrieden.
Eine kleine Broschüre zieht er trotzdem aus der Tasche. Gemeinsam mit dem Ministerium für Viehzucht und Tierproduktion hat die Brooke-Stiftung das Heft erstellt. 1934, vor 90 Jahren also, gründete die Britin Dorothy Brooke in Kairo – Ägypten war damals noch britische Kolonie – das „Old War Horse Memorial Hospital“, wo erstmals Esel und Arbeitspferde der Stadt kostenlos versorgt wurden. Auch in Senegal will man nun die Gesundheit der Transportpferde verbessert sehen.
Feste Pausen, den Karren korrekt beladen
Ndao blättert durch das Heftchen. In Bildern wird gezeigt, wie die Karren korrekt beladen werden, dass die Metallgebisse keine Verletzungen verursachen dürfen, Pferde feste Pausen brauchen, keinesfalls geschlagen werden dürfen und bei Verletzungen sofort medizinische Hilfe erhalten müssen. Wer Kutscher werden will, muss mindestens 15 Jahre alt sein und die Verkehrsregeln kennen, damit man sich im Kreisverkehr richtig einordnet und es beim Abbiegen keine Unfälle gibt.
Weitere Pferdebesitzer und Gespannfahrer kommen und hören Mbengue zu. Für Karim Wade sind das zu viele Menschen. Er legt wieder die Ohren an und tritt auf der Stelle hin und her. Malick Wilane ruft vom Kutschbock aus ein in die Länge gezogenes „Schschesch“.
Die Gesundheit von Pferden ist für die Menschen im Senegal vor allem aus einer wirtschaftlichen Perspektive heraus interessant. In welchem Umfang die Gespanne zum Bruttoinlandsprodukt beitragen, lässt sich nicht sagen. Die Viehzucht allgemein macht vier Prozent des BIP aus.
Aber eine 2018 veröffentlichte Studie der Brooke-Stiftung, für die in sechs Städten insgesamt 180 Fahrer befragt wurden, zeigt eindrücklich, dass Pferdefuhrwerke eine zuverlässige Verdienstmöglichkeit bieten: 88 Prozent ihres Gesamteinkommens verdienen Fahrer mit ihrem Gespann. Besonders lukrativ ist der Transport von Gütern. Diese Fahrer haben einen Tagesverdienst von durchschnittlich zwölf US-Dollar. Bei der Beförderung von Personen liegt der durchschnittliche Verdienst bei nur noch fünf US-Dollar pro Tag. Die Betriebskosten für die Fahrer liegen täglich bei gut sechs US-Dollar.
Die Anschaffungskosten für ein sofort einsatzfähiges Pferd liegen umgerechnet zwischen 400 und 760 Euro. Zum Vergleich: Der monatliche Mindestlohn in Senegal beträgt knapp 100 Euro. Aussagekräftig sind diese Zahlen allerdings nur sehr bedingt, denn neun von zehn Personen arbeiten nach Informationen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) im informellen Sektor. Sie verkaufen am Straßenrand Waren des täglichen Gebrauchs, bieten Dienstleistungen an oder verdingen sich als Tagelöhner. Mindestlohn ist für sie notgedrungen kein Thema.
Dennoch: Wenn es der teuren Anschaffung Zugtier gut geht, dann geht es also auch dem Geschäft gut. Denn je besser die Pferde in Schuss sind, desto höher ihre Leistungsfähigkeit. Wilane betont, dass er seine Pferde regelmäßig impfen lässt, was ARPA gemeinsam mit Veterinär:innen organisiert. Seitdem haben viele Pferde von Rufisque Impfbücher.
Kritik am schlechten Zustand der Tiere bleibt allerdings nicht aus. Vor allem Europäer:innen sind mitunter entsetzt. Es gibt Pferde mit offenen Wunden, einige lahmen deutlich. Manchmal passiert es sogar, dass Kutscher auf sie einprügeln und sie anschreien. Viel häufiger sieht man jedoch viel zu magere Tiere. Ndao geht einmal quer über die Straße.
Auf einem großen Feld sind rund zehn Pferde angepflockt. Vor ihnen stehen Autoreifen, aus denen sie gefüttert werden, sowie gelbe Wasserkanister. Ein Schimmel ist besonders mager. Die Knochen stehen heraus, jede Rippe ist zu sehen. Auch damit sind Ndao und seine Kolleg:innen konfrontiert. Bei Besitzer:innen, die mit ARPA zusammen arbeiten, würde das nicht passieren, sagt er schnell. „Wir sehen es aber häufiger bei neuen Pferden.“
Jene, die am HLM-Kreisverkehr auf Kundschaft warten, sind gepflegter und geputzt. Eins trägt sogar eine Kette mit kleinen Glöckchen. In Rufisque fällt das Geläut auf. Und sie sind gut im Futter. Früher, sagt Boubacar Ndao, sei das nicht so gewesen. Damals hätten die Besitzer zweimal am Tag Hirse gefüttert und so Vögel angelockt. „Wir haben ihnen erklärt, dass sie nicht die Vögel füttern sollen. Mittlerweile mischen sie es mit Heu. Der Verlust ist geringer, und die Pferde fressen mehr.“ Heu lässt sich nicht überall in Westafrika herstellen. Im Süden der Küstenstaaten, wie in Benin und Togo, ist dafür beispielsweise die Luftfeuchtigkeit zu hoch. Anders ist es in den Sahelländern, aber auch in Senegal. Das vereinfacht die Pferdehaltung.
Fester Bestandteil des Alltags
Ein Leben ohne Tiere kann sich Malick Wilane überhaupt nicht vorstellen. Seine Familie züchtete stets Pferde, aber auch Ziegen. Sie sind fester Bestandteil seines Alltags, der sich aber nicht immer in Rufisque abspielt.
Wie viele andere Kutscher ist Wilane eigentlich Ackerbauer. Hauptsächlich werden die Pferde in der Feldarbeit eingesetzt. Wenn die Äcker gerade allerdings nicht bestellt oder abgeerntet werden müssen, zieht er mit seinem Gespann in den Großraum von Dakar, wo er sich als Fahrer ein zusätzliches Einkommen sichert.
In Rufisque ist in den vergangenen Jahren ein ganzer Wirtschaftszweig rund ums Pferd entstanden. 20 Minuten vom Zentrum entfernt steht die Schmiede, in der für umgerechnet 1 Euro 50 mehrere Hufschmiede lockere Hufeisen wieder festnageln oder verlorene ersetzen. Ganz in der Nähe liegt auch die Werkstatt von Boubou Diawara. An den Wänden hängen vergilbte Fotos mit Pferden, Reitern und Männern, die sich die Hände schütteln. Auf einem ist auch Präsident Macky Sall zu sehen.
Alphonse Sene, Direktor im senegalesischen Ministerium für Viehzucht und Tierproduktion
Aufgenommen wurden sie auf den verschiedenen Galopprennbahnen im Land. Dass in Senegal regelmäßig Pferderennen stattfinden, ist ebenfalls eine Besonderheit in Westafrika. Für die Rennpferde polstert Diawara Sättel und näht Zaumzeug. Gemacht habe er das schon immer, sagt er. Eine richtige Ausbildung erhielt er 2010 durch die nichtstaatliche Organisation „World Horse Welfare“ in Zusammenarbeit mit der Regierung und der senegaleischen Schule für Tierärzte. „Seitdem mache ich manche Dinge ganz anders“, sagt Diawara. Gelernt habe er beispielsweise, wie ein Sattel richtig sitzen müsse, damit er nicht drücke. Das Geschäft laufe, und die Nachfrage sei groß. „In Senegal haben wir so viele Pferde, aber kaum Sattler.“
Die größte Rolle spielen Pferde aber bis heute auf dem Land; vor allem im Nordosten des Senegal, in der Region Ferlo, wo die Vegetation karg ist und nur extensive Weidewirtschaft betrieben werden kann. Während einer internationalen Konferenz von „World Horse Welfare“ hat vergangenes Jahr Alphonse Sene, Direktor der Abteilung Pferde innerhalb des Ministeriums für Viehzucht und Tierproduktion, betont, wie sehr die Gegend vom Wetter abhängig sei. Rund zwei Millionen Menschen leben dort. Viehzucht ist eine zentrale Einnahmequelle.
Doch die Regenmengen variieren stark, Flächen werden überweidet, vor allem durch die extensive Rinderhaltung, und Besitzer müssen zunehmend ihr Vieh verkaufen, um Alltagsausgaben zu decken. Der Besitz schrumpft. Pferde und Esel leiden wie alle anderen unter dem Klimawandel. Neben fehlendem Futter werden Wasserstellen knapper und die Wege dorthin länger. Gleichzeitig tragen die Tiere viel zur Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung bei, sagt Sene.
Denn nur mit ihnen lässt sich Wasser transportieren. Familien, die bis heute als Halbnomaden leben, bewahrt das davor, ständig mit dem ganzen Hausstand unterwegs zu sein. Alphonse Senes Forderung ist deshalb klar: „Pferde und Esel dürfen nicht länger unsichtbare Arbeiter sein.“ Sie seien in Ferlo von zentraler Bedeutung für die Menschen.
So lange Strecken wie dort muss Karim Wade in Rufisque nicht zurücklegen. Für ihn geht es nun endlich los. Sein Kutscher Malick Wilane hat einen Auftrag, er soll Zement transportieren. Ein paar Jungs packen die 50-Kilo-Säcke auf die Ladefläche. Dann löst Wilane die Bremse. Karim Wade trabt an und die mit Eisen beschlagenen Hufe klappern im Takt über den Asphalt. Auf die erneute Frage, warum es denn nun ausgerechnet nach dem Präsidentensohn heiße, lacht Wilane wieder.
„Es ist an jenem Tag auf die Welt gekommen, an dem der ins Gefängnis kam“. Das war der 17. April 2013. Zwei Jahre später verurteilte man Karim Wade zu einer sechsjährigen Haftstrafe wegen „unerlaubter Bereicherung“, ein gutes Jahr später wurde er allerdings dann begnadigt. So viel Glück hatte er jetzt aber nicht: Alles Zähnezeigen wegen der Ablehnung seiner Kandidatur hat nicht geholfen. Bei der Präsidentschaftswahl, die nun am 24. März stattfindet, steht Karim Wades Name nicht auf dem Stimmzettel.
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