piwik no script img

Petition nach dem BrexitAktion für zweites Referendum

Kaum ist der Brexit besiegelt, fordern über eine Million Briten mit einer Petition ein neues Votum. Viele kommen aus großen Städten.

Der lange Schatten des Brexit. Hier im Bild: Zeitungsausgaben in Athen Foto: ap

London afp | Mehr als eine Million Briten haben bis Samstagmittag eine Petition für ein zweites Referendum über die Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union unterzeichnet. „Wir, die Unterzeichner, rufen die Regierung ihrer Majestät an, eine Regel anzuwenden, wonach es ein weiteres Referendum geben sollte, wenn das Remain- oder Leave-Votum unter 60 Prozent bei einer Beteiligung von unter 75 Prozent liegt“, heißt es in der Petition.

Bei dem Referendum am Donnerstag hatte sich eine knappe Mehrheit von 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU ausgesprochen bei einer Wahlbeteiligung von 72,2 Prozent. Bei einer Anwendung der von den Unterzeichnern beantragten Regel müsste ein zweites Votum abgehalten werden.

Bis Samstagmittag erreichte die Zahl der Unterzeichner der Petition auf der Internetseite von Parlament und Regierung mehr als eine Million. Dies waren zehn Mal mehr, als für eine Befassung des Unterhauses mit der Petition notwendig waren.

Der Petitionsausschuss, der darüber entscheidet, ob Petitionen im Parlament diskutiert werden, tagt das nächste Mal am kommenden Dienstag. Bereits wenn eine Petition mehr als 10.000 Unterschriften erreicht, muss sich die Regierung dazu äußern. Bisher gab es dazu noch keine Stellungnahme von Premierminister David Cameron.

Eine Debatte über die Petition im Parlament zieht aber keine Entscheidung oder Abstimmung nach sich; sie stellt auch nicht den Brexit-Beschluss der Briten vom Donnerstag in Frage.

Viele Unterstützer aus London

Unter dem Ansturm der Unterzeichner brach die offizielle Parlamentsseite vorübergehend zusammen. Eine Sprecherin sagte, die Zahl der Aufrufe sei „deutlich höher“ als bei allen früheren Fällen. Eine Karte der Unterzeichner der Petition zeigte, dass die meisten Unterstützer aus großen Städten wie London kamen.

Bei dem Referendum am Donnerstag war die Abstimmung nach Alter, Region und Bildung sehr unterschiedlich ausgefallen. Insbesondere wurde der Austritt vor allem mit den Stimmen der Älteren entschieden – obwohl dessen Folgen vor allem die Jungen betreffen. Während England und Wales mehrheitlich für den Brexit stimmten, befürworteten Schottland, Nordirland und die Hauptstadt London den Verbleib in der EU.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Das britische Jahr der Referenden, die so oft abgehalten werden, bis es allen recht ist.

    Wird ein lang(weilig)es Jahr.

    • @571 (Profil gelöscht):

      Sie meinen, bis es allen Profiteuren recht ist.

  • Erst wenn mehr als 16.141.241 die Petition unterschrieben haben, wird es bemerkenswert - denn so viele haben gegen den Brexit gestimmt und es wäre nicht überraschend, wenn die dann versuchten über eine Petition die demokratische Entscheidung nicht anerkennen zu wollen. Bis dahin sollte man das nicht besonders ernst nehmen!

  • Wenn ich das richtig verstehe mit der "Beteiligung mindestens 75%", dann könnten 25% entscheiden sich nicht zu beteiligen und damit jede Entscheidung blockieren - also eine Minderheit kann ihren Willen durch Nichtbeteiligung durchsetzen, den sie durch Beteiligung nicht durchsetzen könnte. Das macht für mich wenig Sinn! Das wäre Diktatur der Minderheit.

  • weitere über 320.000 Stimmen in etwas über 1,5 Stunden! https://petition.par...etitions/131215

  • Gerade schon über 2 Mio. Unterschriften; 19.22 Uhr. Man sollte selbst organisierten Bürgerwillen ernst nehmen: https://petition.parliament.uk/petitions/131215

    Wenn gleichzeitig um eine Abkehr von der neoliberalen Agenda in noch GB, sonst evtl. bald LB, gekämpft werden würde, sehe ich eine kleine zweite Chance.

    • @Markus Maria Strobl:

      "Gerade schon über 2 Mio. Unterschriften; 19.22 Uhr. Man sollte selbst organisierten Bürgerwillen ernst nehmen".

       

      Und was soll aus Ihrer Sicht mit den über 17 Millionen Stimmen für den Brexit passieren? Sollte man diesen Bürgerwillen nicht ernst nehmen?

  • „Wir, die Unterzeichner, rufen die Regierung ihrer Majestät an, eine Regel anzuwenden, wonach es ein weiteres Referendum geben sollte, wenn das Remain- oder Leave-Votum unter 60 Prozent bei einer Beteiligung von unter 75 Prozent liegt“, heißt es in der Petition.

     

    Wie viele Abstimmungen sollen dann noch folgen? Glaubt denn irgendjemand daran, dass eine der Seiten in der Lage ist, 60% der Stimmen zu erzielen? Absurde Forderung... und zudem ein wunderliches Verständnis von Demokratie.

  • hm, das ist reichlich kutz gedacht:

     

    1) Wird bei gleicher Beteiligung und gleichem Ausgang das Votum akzeptiert? Vermutlich ja.

    2) Wir bei gleicher Beteiligung und gegenteiligem Ausgang das neue Votum akzeptiert oder muss dann ein dritter (u. dann ggf. vierter?) Urnengang her? Das wäre nachvollziehbar und führt zum nächsten Punkt:

    3) Glauben die Initiatoren allen Ernstes, dass sie ein "Remain" erreichen können bei 75% Beteiligung oder eben mit mehr als 60% für die eigene Sache?

    4) Glauben die Initiatoren, dass man die Spielregeln für das bereits abgehaltene Referendum nachträglich ändern kann?

    Könnten dann bspw. die Liberalen beantragen, dass das Abstimmungsergebnis der letzten Unterhauswahlen vom Mehrheits- ins Verhältniswahlrecht umgerechnet wird (praktisch unsere Zweitstimme statt unserer Erststimme)?

    Oder könnte Italien beantragen, dass der EM-Modus noch vor dem Spiel gegen Spanien geändert wird?

    Wohl eher nicht. Theoretisch denkbar wäre ein anderes Referendum mit geänderter Formulierung und jedenfalls mit anderer Begründung. Die Unterzeichner dieser Petition machen sich eher lächerlich - so bedauerndswert ihre Situation auch ist.

  • Hier in Brighton haben wir fasr 2.2 : 1 gegen Brexit abgestimmt, daher sitzt der Schock bei uns besonders tief. Der Unglaube darüber, dass 17 Millionen Menschen wie 'Truthähne'für Weihnachten' (turkeys for Christmas) abgestimmt, und gleichzeitig so viele andere in den Dreck gezogen haben, erscheint wie ein surrealer Horror-Film.

    • @Jen:

      Sie sind Teil einer Gemeinschaft - ob Sie wollen oder nicht! Ihre nähere Gemeinschaft ist das Vereinigte Königreich - that's the truth

  • Die Entscheidung der Briten kann ich nicht gut heißen, aber sie ist jetzt getroffen.

     

    Im Nachhinein die Spielregeln zu ändern verstößt gegen ein gesundes Gerechtigkeitsempfinden. Das hätte man sich vorher überlegen müssen, zumal eine "Nachbesserung" der Ergebnisse nur für mehr Zündstoff auf der Insel sorgen wird.

     

    Ohnehin ist es fraglich, ob das Vereinigte Königreich noch länger vereint bleibt, oder ob es sich an der europäischen Frage zerlegt. Bleibt zu hoffen, dass die Rest-EU nicht auch noch scheitert.

  • ". Insbesondere wurde der Austritt vor allem mit den Stimmen der Älteren entschieden – obwohl dessen Folgen vor allem die Jungen betreffen."

     

    Das ist jetzt so ne Art Dauerschleife auf allen Kanälen, oder. Ich bin 42. Wahrscheinlich werde ich zu den Alten gezählt. Seit wann wiegt man die "Alten" gegen die "Jungen" auf? Das klingt so, als hätten die "Jungen" ja eigentlich mehr Rechte. Warum regte das niemand nach der letzten Bundestagswahl auf? Ich wählte übrigens "trotz Alter" noch nie die CDU.

     

    Ich für mich kann nur sagen: ja, ich bin ein EU-Skeptiker. Das war nicht immer so. Im Gegenteil. Frisch aus der Schule raus fand ich das auch ganz toll. Aber Dinge wie "Friedensprojekt" verkamen nur noch zu Phrasen. Spätestens seit Jugoslawien betreibt die EU keine Friedenspolitik mehr, Irak, aber vor allem die Politik bzgl. der Ukraine und Russland. Tut mir leid, ich verabscheue die EU. Dieses Rumgetue, diese Phrasen, diese Fassaden... Die EU-Binnenpolitik gegenüber Ländern wie Griechenland ist brachial. Ich fühle mich nur von machtgeilen Eliten hingehalten und ein geschnürt. Zum Glück lebe ich noch im goldenen Käfig Deutschland. Ich glaube es geht vielen Menschen so, in anderen Ländern viel mehr. Gerade auch was Themen wie TTIP anbelangt. Die EU interessiert sich nicht für seine Bürger, nur wenn es um's Zahlen geht, dafür ist man gutes Viech. Klar, "Junge" sehen das noch nicht so. Aber macht's das besser?

  • macht auch irgendwo sinn, fuer verfassungsaenderungen braucht es auch eine 2/3-mehrheit. und zumal des parlaments, deren vertreter meist die groesse der entscheidung fassen.

    • @the real günni:

      Dann hätte das vorher klar angekündigt gehört: 75% Minimum. Referenden durchzuführen bis das Ergebnis "stimmt", wäre ein Witz. Die Mehrheit ist zufrieden mit dem Ergebnis, für sie stimmt es. So ist eben Demokratie. Die andere Seite muss mit dem Ergebnis leben, verliert alles seinen Sinn.

    • @the real günni:

      in GB gibt es keine Verfassung

  • Ich möchte eigentlich mit dem Wort Inselaffen beginnen, aber das darf ich nicht, weil es gegen die Netiquette verstösst. Das wurde mir mitgeteilt. Eigenartig, dabei habe ich das Wort von einem taz Repoter "gelernt". Die Briten nennen uns in ihren vielen "Bild"Zeitungen Krauts, eine eher noch harmlosere Bezeichnzng. - Nun gut, zum Artikel nur eins: Raus ist raus! Noch ein Extrawürstchen ist nicht drin. Und im Viertelfinale heisst es auch: Raus..., hoffe ich.

  • Und wenn dieses Referendum anders ausfällt, welches ist dann gültig? Oder sagen wir so: Wieviele Referenden braucht es zum endgültigen Entscheid?

     

    Wer an der EU festhält, ist soweiso nur neoliberaler Profiteur.