Pestizide zum Fest: Oh Tannenbaum, oh gift’ger Baum!
Der Anbau von Weihnachtsbäumen ist ein Riesengeschäft. Um sie in die perfekte Form zu bringen, sind Monokulturen und jede Menge Pestizide nötig.
BERLIN taz | Zwei Meter groß, pyramidenförmig, weiche, sattgrüne Nadeln: So sieht nach Ansicht der Deutschen der perfekte Weihnachtsbaum aus. Doch die Ästhetik hat ihren Preis – denn ohne Pestizide und giftige Dünger gäbe es sie nicht. Der Waldreferent des WWF, Christian Beuter, warnt, dass das nicht nur die Umwelt, sondern auch Menschen massiv schädigen kann.
Die Branche macht einen Umsatz von mehr als 700 Millionen Euro. 30 Millionen Tannen werden dieses Jahr nur für das deutsche Weihnachtsfest gefällt. Die Nordmanntanne mit den nichtpieksenden Nadeln etwa wird eigens für diesen Zweck angebaut.
Jeder dritte Baum kommt aus dem Sauerland. Denn 2007 zerstörte der Sturm „Kyrill“ in Südwestfalen große Waldflächen, auf denen dann riesige monokulturell strukturierte Tannenplantagen angelegt wurden. Das Ergebnis: dauerhaft geschädigte Böden und viele Tiere, die ihren Lebensraum verloren haben. Denn damit die Tannen weihnachtstauglich werden, spritzen und düngen die Bauern sie mit allerhand Chemie.
Laut den Experten des Deutschen Naturschutzrings (DNR) gehören die verwendeten Pestizide zu den fünf gefährlichsten Substanzen der Welt. Acht bis zehn Prozent aller Krebserkrankungen seien auf sie zurückzuführen, sagt DNR-Generalsekretär Helmut Röscheisen. In einem Mischwald seien Pestizide überflüssig. Auch die Anwohner protestierten gegen den Einsatz der Gifte.
Jetzt ist der nordrhein-westfälische Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) aktiv geworden. Pünktlich zur Weihnachtszeit hat die rot-grüne Koalition das Landesforstgesetz geändert. Das Ergebnis wird allerdings auf sich warten lassen, denn die Bäumchen wachsen langsam. Aber ab 2028 soll der Anbau von Tannen nur noch auf landwirtschaftlichen Flächen erlaubt sein. „Plantagenwirtschaft hat im Wald nichts zu suchen“, so Remmel.
Umweltorganisationen empfehlen Ökobäume
Für Rudolf Fenner von der Umweltorganisation RobinWood ist das jedoch nur ein winziger Schritt Richtung ökologische Waldwirtschaft. Das wahre Ziel müsse die Minimierung des Pestizideinsatzes sein, „hier ist jedoch kein Fortschritt ersichtlich“, sagt er. Die Plantagenwirtschaft an sich müsse verboten werden, nicht nur örtlich verschoben wie in diesem Fall.
Die Umweltschutzorganisationen empfehlen Ökobäume. Robin Wood hat detaillierte Listen mit den zertifizierten ökologischen waldwirtschaftlichen Betrieben in jeder Region online gestellt. Weitere Verbände wie der Nabu oder der WWF empfehlen, auf einen heimischen Ursprung und die Siegel von Naturland oder dem FSC, dem Forest Stewardship Council, zu achten.
Bei diesen Bäumen steht die perfekte Optik nicht unbedingt im Mittelpunkt, doch die Umwelt profitiert. Und eventuelle Lücken zwischen Zweigen fallen bei genügend Christbaumschmuck auch niemandem auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe