Perspektiven der Rosa-Luxemburg-Stiftung: „Wir haben ein hartes Einsparungsprogramm hinter uns“
Die Linken-nahe Stiftung war in einer schweren finanziellen Krise. Nun ist eine große Bildungsoffensive geplant, sagt der neue Chef Bernd Riexinger.
taz: Herr Riexinger, auf der Mitgliederversammlung der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) Ende November soll es kräftig Streit gegeben haben. Was war da los?
Bernd Riexinger: Na ja, von Streit würde ich nicht sprechen. Aber wenn es konkurrierende Kandidaturen gibt, dann gibt es natürlich immer unterschiedliche Positionierungen. Anders als zu früheren Zeiten gab es dieses Mal für die Wahl mehr Kandidierende als Vorstandssitze, auch für den Vorsitz und die Geschäftsführung. Dass das zu intensiveren Diskussionen führt, finde ich völlig normal.
taz: In der Konsequenz gibt es jetzt mit Ihnen einen neuen Vorsitzenden und mit der früheren Thüringer Ministerin Heike Werner eine neue Geschäftsführerin. Das sieht fast nach einem Putsch aus.
Riexinger: Davon kann nicht die Rede sein. Wir erleben bei der Linkspartei gerade einen starken Aufbruch mit einem beeindruckenden Zustrom von vielen jungen Mitgliedern. Es wird jetzt darauf ankommen, diesen Aufbruch und diese Dynamik auch in die Stiftung zu tragen. Das hat eine Mehrheit der RLS-Mitglieder mit der neuen Führung in Verbindung gebracht.
Jahrgang 1955, ist gelernter Bankkaufmann und arbeitete viele Jahre als Gewerkschaftssekretär bei Verdi. Von 2012 bis 2021 stand der gebürtige Schwabe zusammen mit Katja Kipping der Linkspartei vor, von 2017 bis zum März 2025 gehörte er dem Bundestag an. Als Nachfolger von Heinz Bierbaum wurde Riexinger Ende November 2025 zum neuen Vorsitzenden der Rosa-Luxemburg-Stiftung gewählt. Mit 58 zu 51 Stimmen setzte er sich dabei gegen den Ex-Bundestagsabgeordneten Jan Korte durch.
taz: Wie wird man eigentlich Mitglied der RLS? Kann man da einfach eintreten?
Riexinger: Man wird vom Vorstand vorgeschlagen und die Mitgliederversammlung muss dann diese Neuaufnahme bestätigen. Das hat den Grund, dass die RLS eine parteinahe Stiftung ist. Wobei unsere 150 Mitglieder nicht stromlinienförmig zusammengesetzt sind, sondern eine pluralistische Linke widerspiegeln. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat übrigens nur 130 Mitglieder, bei der Konrad-Adenauer-Stiftung dürfen es höchstens 55 sein.
taz: Ungewöhnlich für eine parteinahe Stiftung ist, dass viele aus der Linkspartei Ausgetretene weiterhin Mitglied der RLS sind. Wie eng ist die Stiftung noch mit der Partei verbunden?
Riexinger: Das ist ein Produkt der zahlreichen Konflikte in der Partei in den zurückliegenden Jahren. Auf das Verhältnis der Stiftung zur Partei hat das keine Auswirkungen. Wir sind der Partei weiterhin eng verbunden.
taz: Welche Auswirkungen hatte die Abspaltung von Sahra Wagenknecht und ihrem Anhang von der Linkspartei auf die RLS?
Riexinger: Die Wagenknecht-Leute, die bei uns Mitglied waren, sind ausgetreten. Das wollten wir auch, weil es ja schon skurril wäre, wenn Leute von konkurrierenden Parteien in der RLS mitbestimmen könnten. Dass die Stiftung durch die Austritte in irgendeiner Form an Substanz verloren hätte, lässt sich nicht feststellen.
taz: An Substanz hat die RLS allerdings durch die schlechten Wahlergebnisse der Linkspartei in den vergangenen Jahren verloren, weil sich dadurch die staatlichen Mittel drastisch verringert haben. Wie ist die Lage jetzt?
Riexinger: Wir haben ein hartes und schmerzhaftes Einsparungsprogramm hinter uns. Vor allem wegen des schlechten Wahlergebnisses 2021. Mit dem Betriebsrat musste über einen Interessenausgleich und Sozialplan verhandelt werden. Der Gestaltungsspielraum für unsere Arbeit war in den letzten zwei Jahren deutlich eingeschränkt. Durch das gute Wahlergebnis der Linkspartei bei der Bundestagswahl in diesem Jahr, das wesentlich besser ausfiel als gedacht, hat sich die Situation erfreulicherweise inzwischen wieder entspannt. Das ist eine Riesenentlastung für die Stiftung, vor allem für die Beschäftigten, die nun ihre Zukunft wieder gesichert planen und sich auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren können.
taz: Im kurz nach der Bundestagswahl veröffentlichten Jahresbericht hieß es noch, bis 2026 müsse die RLS „einen erheblichen Personalabbau vornehmen“, auch „durch betriebsbedingte Kündigungen“. Gilt das noch?
Riexinger: Zum Glück nicht. Wir mussten keine betriebsbedingten Kündigungen aussprechen und es wird sie auch nicht geben. Zur Wahrheit gehört jedoch, dass im Zuge unserer finanziellen Krise 50 Mitarbeiter*innen die Stiftung verlassen haben, wenn auch allesamt freiwillig. Trotzdem ist das natürlich ein schmerzhafter Verlust.
taz: Welche politische und gesellschaftliche Funktion hat die Stiftung aus Ihrer Sicht?
Riexinger: Eine große Bedeutung hat sie für die analytische Arbeit. Wohin geht die gesellschaftliche Entwicklung nicht nur in der Bundesrepublik? Wenn es stimmt, dass wir es gerade mit einer Faschisierung zu tun haben, was bedeutet das für die gesellschaftliche wie die parteiorientierte Linke? Was ist eine geeignete linke Strategie gegen die Rechtsentwicklung? Da müssen viele intellektuelle Ansätze theoretisch und praktisch aufgenommen werden.
taz: Die RLS als eine Art Theorie-Antifa?
Riexinger: Ja, warum nicht? Aber nicht nur. Zum einen sollte die Stiftung dazu beitragen, längerfristige politische Linien im programmatischen Bereich zu entwickeln, zum Beispiel wenn es um Fragen der verbindenden Klassenpolitik oder der sozialökologischen Transformation geht. Zum anderen kann und sollte die RLS ein Anziehungspunkt für Intellektuelle und organische Intellektuelle sein, also auch für Leute in Gewerkschaften oder in Bewegungen. Das halte ich für eine ganz zentrale Aufgabe. Die Stiftung bietet die Möglichkeit, Debattenräume zu organisieren, die eine Partei so nicht anbieten kann. Ein Beispiel dafür sind unsere „Streikkonferenzen“, die seit 2013 stattfinden, zuletzt im vergangenen Mai. 3.000 Gewerkschafter*innen und Betriebsrät*innen zu versammeln, um drei Tage lang über Gewerkschaftspolitik und Methoden der Arbeitskämpfe zu diskutieren – wer schafft das schon außer der RLS? Da haben wir eine wichtige Vernetzungsfunktion.
taz: Im Vergleich zu Ihrer Zeit als Parteivorsitzender hat sich die Linkspartei stark verändert. Sie zählt inzwischen über 120.000 Mitglieder, doppelt so viele wie früher, und einen Altersdurchschnitt von nur noch knapp 39 Jahren. Hat das auch Folgen für die RLS?
Riexinger: Die Linke ist nicht nur in ihrer Mitgliedschaft viel größer und jünger geworden, sondern auch in ihrer Wählerschaft. Bei den unter 25-Jährigen ist sie mit rund 25 Prozent zur stärksten Partei gewählt worden. Das drückt eine erfreuliche Politisierung einer ganzen Generation aus, der selbstverständlich auch die Stiftung Rechnung tragen muss. Wir sind uns einig, dass wir eine große Bildungsoffensive in der Fläche machen wollen. Es geht um die Vermittlung einer fundierten Grundlage für politische Praxis und politische Betätigung. Dafür müssen wir Bildungsformate aufbauen und umsetzen.
taz: Als letzte parteinahe deutsche Stiftung ist im Juli auch die RLS in Russland zur „unerwünschten Organisation“ erklärt worden. Welche Auswirkungen hat das auf die Arbeit der Stiftung?
Riexinger: Einerseits empfinde ich es persönlich ja als Kompliment für die Stiftung, vom Putin-Regime nicht erwünscht zu sein. Das zeigt, was für ein repressiver Staat Russland unter Putin heute leider ist. Andererseits bedeutet das natürlich eine Einschränkung unserer Arbeit. Eine aktive Zusammenarbeit mit der Stiftung ist für Menschen in und aus Russland gefährlich. Dies betrifft auch die Stipendiat*innen der Stiftung. Unser Büro mussten wir schließen, aber im Ausland arbeitet die Stiftung dennoch mit Vertreter*innen der russischen Zivilgesellschaft zusammen.
taz: Welche Bedeutung hat für Sie die internationale Arbeit der RLS generell?
Riexinger: Ich habe der internationalen Arbeit schon zu meiner Zeit als Parteivorsitzender eine große Bedeutung beigemessen. Damals haben wir zum Beispiel eine internationale Sommerschule aufgebaut, die jetzt alle zwei Jahre stattfindet, wo jüngere engagierte Leute sich international kennenlernen und miteinander diskutieren können. Für Linke sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, über den eigenen nationalen Tellerrand hinauszublicken. Da sind die 26 Auslandsbüros der Stiftung schon ein Pfund. Das gilt besonders für unsere Büros in Europa. Denn die europäische Linke ist derzeit leider gespalten, was ein schlechter Zustand ist. Ich glaube, dass wir da eine wichtige Scharnierfunktion haben können zwischen den linken Parteien und Bewegungen in Europa.
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