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Personalvorstellungen der SPD-SpitzeBedenkliche Auslesepolitik

Kommentar von Gunnar Hinck

Die SPD-Spitze will erfolgreiche Genossen fördern. Gute Leute aus dem Osten oder aus Süddeutschland hätten dann kaum noch eine Chance.

Neuer SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf (l.) will Wahlkreissieger fördern Foto: Christophe Gateau / dpa

D ass SPD-Chef Lars Klingbeil eine, nun ja, straffe Personalpolitik betreibt, hat sich spätestens beim Absägen der alten SPD-MinisterInnen-Riege gezeigt. Sein designierter Generalsekretär Tim Klüssendorf hat nun nachgelegt und dem Spiegel gesagt, dass ein Kriterium bei der Aufstellung des Spitzenpersonals grundsätzlich sein müsse, „in seinem Wahlkreis Erfolg“ zu haben, sprich einen Wahlkreis zu gewinnen. Als Beispiel führt er seinen Chef Klingbeil an, der bei der Bundestagswahl das beste SPD-Direktwahl­ergebnis holte.

Es ist stark zu hoffen, dass sich die SPD-Spitze dieses unfaire Auslesekriterium noch mal genauer anguckt. Von den Wahlkreisergebnissen her ist die SPD derzeit eine rein nordwestdeutsche Partei, was die Personalreserve bedenklich verengen würde. In Hamburg, ­Niedersachsen und im Ruhrgebiet hat sie fast alle ihrer nur noch 44 Direktmandate geholt. In ganz Ostdeutschland gewann sie bis auf Potsdam (Olaf Scholz) keinen einzigen Wahlkreis, ebenso wenig in Baden-Württemberg und Bayern.

Das liegt im Osten natürlich an der starken AfD. Im Westen ist das Wahlverhalten trotz aller Disruptionen noch erstaunlich traditionell: In den katholisch geprägten Regionen Süddeutschlands ist die SPD bei der Erststimme seit jeher praktisch chancenlos, und das wird auch so bleiben, selbst wenn sie dort Roland Kaiser aufstellen würde.

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DirektkandidatInnen können Wahlkreisergebnisse nur zu einem kleinen Teil beeinflussen – sie sind vom bundespolitischen Rückenwind und einer starken SPD-Verwurzelung vor Ort abhängig. Die SPD kann aber weder auf FachpolitikerInnen noch auf ein paar kluge DenkerInnen verzichten, die das Pech haben, aus der SPD-Diaspora zu kommen – und deren größte Stärke es sicherlich nicht ist, ihre street ­credibility an den Wahlkampfständen der Partei zu demonstrieren. Sie gelangen über die Listen in die Parlamente.

Übrigens: Wenn Lars Klingbeil seinen Wahlkreis nicht in Soltau, sondern 200 Kilometer weiter westlich im sehr katholischen und sehr konservativen Emsland hätte, wo die CDU seit Jahrzehnten die Wahlkreise holt, wäre auch er chancenlos. Ganz sicher.

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ist Redakteur im taz-Ressort Meinung.
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6 Kommentare

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  • In meinem Wahlkreis im sog. "Ostdeutschland" würde der Herr Generalsekretär auch so seine Schwierigkeiten haben sich durchzusetzen. Und das trotz seiner intellektuellen Brillanz, die er mit seinem schlichten Gedankengang hier zur Schau stellt.

  • Diese Partei hat ein Wahlrecht durchgedrückt, das verwaiste Wahlkreise zur Folge hat. Ausgerechnet in Kreisen die linke Parteien gewinnen müssten, wenn sie nicht zu viert antreten würden. Wenn ihr uns nicht wählt, kriegt ihr auch keinen Vertreter von der anderen Seite. Dafür haben wir jetzt 50 Hinterzimmerlistenmandate mehr, die sich um uns kümmern werden und die wir nie gesehen, oder gewählt haben.

  • Ganz genau: Das war eine aktuelle Ausrede, um gewisse Leute nach oben und andere nach unten zu schieben. Speziell, um die unbequem sozialdemokratische Esken loszuwerden und den "pragmatischen" Klingbeil nicht.

    Das sollte bloß keine Regel werden.

    Sonst wird auch nur noch um die "Erfolgs"-Wahlkreise gekämpft wie in UK, mit entsprechend unguten Ergebnissen. Die SPD würde zur Regionalpartei Nord-West. Wir brauchen Streiters für soziale Gerechtigkeit aber überall.

  • Wahlkampf hat ja auch etwas damit zu tun um Wählerstimmen zu kämpfen.



    Bei den Bundestagswahlen hat es nur die AFD geschaft an meiner Tür zu klingeln. Von den anderen Parteien nichts zu hören und zu sehen. Und ich wohne in der nähe von Göttingen in einem 1000 Seele Dorf.

  • mit dieser lustigen auswahlstrategie steht die spd bald ohne spitzenpersonal da :) :) :)

  • Die SPD war jahrelang von Proporz und Quote geprägt und hat dabei manch kuriose Personalentscheidung getroffen. Eine Abkehr davon kann der Partei in der gegenwärtigen Situation nur helfen.