Personalstreit nach der Europawahl: Merkel sorgt für schlaflose Nacht
Mit einem Sondergipfel wollte die EU am Sonntag den wochenlangen Personalstreit beilegen. Doch der Konflikt weitete sich sogar noch aus.
Ausgerechnet Bundeskanzlerin Angela Merkel sorgte für Ärger: Ihr Vorschlag, den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans zum neuen Chef der EU-Kommission zu machen – und nicht den deutschen CSU-Politiker Manfred Weber – erhitzte die Gemüter.
Der Streit war so heftig, dass der Start des Gipfels um dreieinhalb Stunden aufgeschoben wurde. Doch um 23 Uhr war schon wieder Schluß. EU-Ratspräsident Donald Tusk versuchte danach, in nächtlichen Einzelgesprächen neue Kompromisse auszuloten.
Das so genannte Beichtstuhl-Verfahren wird angewandt, wenn im großen Kreis nichts mehr geht. Es brachte jedoch zunächst kein Ergebnis. Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte ließ offen, wie es weitergeht. „Es ist schwierig zu sagen. Derzeit gibt es keine Einigung“, sagte er.
Von Weber abgerückt
Besonders pikant ist die Lage für Merkel. Sie war in die Schusslinie geraten, weil sie schon beim G-20-Gipfel in Osaka von Weber abgerückt war. Gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Spaniens Ministerpräsidenten Pedro Sánchez und dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte hatte sich Merkel in Osaka auf Timmermans als nächsten Kommissionschef verständigt.
Doch die Konservativen wollen sich damit nicht abfinden. „Die Vereinbarung ist tot“, hieß es am späten Sonntagabend aus der Europäischen Volkspartei (EVP). Die EVP, der auch Merkels CDU angehört, habe erklärt, „dass sie den Deal von Osaka nicht akzeptieren wird“.
Es sei ein „Skandal“, dass Weber „demontiert“ worden sei, obwohl er die Europawahl gewonnen habe, empörte sich Daniel Caspary, der Chef der deutschen CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament. „Wir werden das Amt des Kommissionspräsidenten nicht so einfach aufgeben“, sagte der irische Premierminister Leo Varadkar.
Der CSU-Politiker selbst hielt sich bedeckt. Er sei zu beschäftigt, um eine Stellungnahme abzugeben, ließ er die wartenden Journalisten wissen. Seit einem Treffen mit Merkel im Berliner Kanzleramt am Mittwochabend hatte sich Weber nicht mehr öffentlich geäußert.
Großer Widerstand aus dem Osten
Dass Tusk nun Timmermans vorschlägt, hat mit dem Streit um die Spitzenkandidaten zu tun. Merkel versucht, das „Prinzip“ der Spitzenkandidaten zu retten. Gegen dieses Prinzip – und gegen Weber – hat sich jedoch Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron ausgesprochen.
Der Niederländer Timmermans ist vor diesem Hintergrund ein Kompromiss, da er als „echter“ Spitzenkandidat in die Europawahl gegangen war. Zudem verfügt er – anders als Weber – über Regierungserfahrung. Der rechte Sozialdemokrat war Außenminister in Den Haag und zuletzt Vizepräsident der EU-Kommission in Brüssel.
In dieser Funktion war Timmermans auch für die Rechtsstaats-Verfahren gegen Polen und Ungarn zuständig. Aus diesen Ländern kommt nun auch der größte Widerstand. Timmermans sei „kein Kompromisskandidat“, sagte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Er sei „sehr spaltend, er versteht Zentraleuropa nicht“.
Auch Tschechien äußerte sich kritisch. Die Person sei nicht geeignet, um Europa zusammenzubringen, sagte Regierungschef Andrej Babis. Tusk sprach sich in der Nacht mit den so genannten Visegrad-Staaten, um dem Widerstand gegen Timmermans die Spitze zu nehmen.
Vestager ist umstritten
Die Osteuropäer verfügen nicht über genug Stimmen, um eine Entscheidung zugunsten Timmermans zu blockieren. Nach Angaben von EU-Diplomaten ist es dennoch schwer vorstellbar, einen Kommissionspräsidenten zu nominieren, der im Osten auf Ablehnung stößt. Dies könnte die EU noch mehr spalten.
Sicherheitshalber hat Gipfelchef Tusk bereits eine Verlängerung bis Montag Vormittag eingeplant. Auch ein weiterer Sondergipfel am 15. Juli ist im Gespräch. Was passiert, wenn auch Timmermans scheitert, ist offen. Theoretisch könnte dann die liberale EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager zum Zuge kommen.
Vestager ist jedoch umstritten, da sie erst spät ins Rennen um die Juncker-Nachfolge eingestiegen war. Zudem lehnen die Liberalen das Prinzip der Spitzenkandidaten ab. Es müsse um EU-weite Wahllisten ergänzt werden, fordern sie.
Weitere mögliche Ausweich-Kandidaten sind die bulgarische Weltbank-Chefin Kristalina Georgieva und der irische Ministerpräsident Leo Varadkar. Ratspräsident Tusk brachte sie in der Nacht ins Gespräch – doch offenbar ohne großen Erfolg. Die Reaktionen seien zurückhaltend ausgefallen, sagten EU-Diplomaten.
Immerhin haben die Chefs noch nicht ganz aufgegeben: Um sieben Uhr trafen sie sich am Montag wieder im Brüsseler Ratsgebäude – zum Frühstück.
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