Personalnot in Hamburger Kliniken: Hilferuf aus dem Krankenhaus
Pflegepersonal an Kliniken zeigt immer häufiger Missstände und Engpässe an. Für die Gewerkschaft Ver.di ein Hinweis auf unhaltbare Zustände.
Bei der Tagung wurden zwölf anonymisierte Gefährdungsanzeigen von Pflegepersonal aus Hamburger Kliniken vorgelesen. Mit Gefährdungsanzeigen kann das Personal die Klinikleitung auf Missstände und Gefahren aufmerksam machen.
So zeigte etwa eine Krankenschwester an, dass sie in ihrer Nachtschicht auf der Intensivstation wegen akuter Notfälle andere Patienten vernachlässigen musste. Sie habe Routineaufgaben des Nachtdienstes nicht erledigen können und das „ungute Gefühl, nicht alle Patienten im Blick gehabt und vor allem die Neuaufnahmen nicht suffizient versorgt zu haben“.
Aus einer anderen Klinik berichtete eine Krankenschwester: „Station unterbesetzt, Einsatz von Leasingkräften. Die ganze Arbeit bleibt am Stammpersonal hängen: Telefon, Angehörige, Neuaufnahmen, Entlassungen, Notfälle, Erklärungen an die Leasingkräfte, wie hier was gemacht wird jeden Tag aufs Neue. Nur selten kommt eine Leasingkraft, die die Situation kennt.“ Sie „hatte gerade erst Urlaub (…) und fühle mich schon wieder urlaubsreif“.
2004 trat das Krankenhausfinanzierungsgesetz in Kraft, mit dem von Verweildauer auf Fallpauschale umgestellt wurde.
Die Kliniken rechnen nun mit den Kassen unabhängig von der Aufenthaltsdauer ab. Das führt dazu,dass es mehr Patienten gibt, diein kürzerer Zeit behandelt werden.
Gespart wird seitdem am Personal: Allein in Hamburg wurden seit 2004 rund 3.000 Vollzeitstellen in der Pflege abgebaut.
Aus der Nachtschicht auf einer Kinderstation berichtete eine Schwester, die als Vertretung einspringen musste, dass sie keine Informationen erhalten habe, wen sie anrufe solle, wenn sie Hilfe benötigt. „Es gab nur ungenügende Anordnungen, da ich keine Kinderkrankenschwester bin und auch keinerlei Erfahrung mit kranken Kindern habe, war das für mich eine gefährliche Situation.“
Eine andere Krankenschwester meldete, dass sie an einem Tag neun frisch operierte Patienten betreuen musste. „Desweiteren waren elf andere Patienten übergeben worden. Darunter eine tracheotomierte bettlägrige Patientin, die häufig abgesaugt werden musste. Die anderen Stationen konnten mir nicht helfen, alle waren nur mit einer Schwester besetzt.“
Für Ver.di deuten diese Hilferufe auf unhaltbare Zustände hin. „Die Politik weiß um die dramatischen Engpässe und die damit verbundenen Risiken für Patienten und Beschäftigte“, sagte Bühler. Es sei zynisch, darauf zu setzen, dass es der Markt richten werde. Die Verantwortung, sichere medizinische Versorgung zu gewährleiste, liege bei der Bundesregierung.
Das war auch der Hintergrund der morgendlichen Lesestunde. Denn Montagmittag stand im Petitionsausschuss des Bundestags die Anhörung zu einer Petition für eine gesetzliche Personalbemessung in Kliniken an. Ver.di hatte dafür bundesweit mehr als 180.000 Unterschriften gesammelt. Bundesweit fehlen laut Ver.di nämlich mindestens 70.000 Pflegekräfte – in Hamburg sollen es 4.200 Krankenschwestern und Pfleger zu wenig sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
SPD-Linker Sebastian Roloff
„Die Debatte über die Kanzlerkandidatur kommt zur Unzeit“
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los