Performances in ehemaliger Klavierfabrik: Theater aus dem Luftschutzkeller

Beim Festival „InBetweenFires“ treten belarussische und ukrainische KünstlerInnen auf. Eines der Stücke entstand während der Angriffe auf Kiew.

Szene eines Theaterstücks, eine Frau vor Büchern.

ProEnglisch Theatre aus Kiew mit ihrem Stück „The Book of Sirens“ Foto: ProEnglish Theatre

BERLIN taz | Tisch, Schlafsack, Bücherstapel und Verdunkelungsvorhang. Das sind die Requisiten, die das ProEnglish Theatre aus Kiew braucht, um „The Book of Sirens“ aufzuführen. Während des Festivals „InBetweenFires“ stehen sie im Keller des Berliner Hotels Continental. Dieser neu eröffnete Kunst- und Begegnungsraum für KünstlerInnen aus der Ukraine und Belarus hat seine Zelte in den Räumen einer ehemaligen Klavierfabrik an der Treptower Elsenstraße aufgeschlagen. Ein Vorkriegsbau.

Der Keller wurde im Zweiten Weltkrieg sehr wahrscheinlich als Luftschutzraum genutzt. Und dieser Keller wird im Sommer 2022 mit einem Stück bespielt, das während der Luftangriffe auf Kiew entstanden ist. Es ist in den Räumlichkeiten des ProEnglish Theatre entwickelt worden, die sich im Souterrain eines Kiewer Hauses befinden und seit dem 24. Februar als Luftschutzraum genutzt werden.

„Wir haben eigentlich nur abends geprobt, oft nicht mehr als eine Stunde, mehr Zeit hatten wir nicht. Unser Probenraum war eine kleine Ecke in unserem Luftschutzkeller,“ beschreibt der Regisseur Alex Borovenskiy die damalige Situation. Im Keller waren viele druckfrische Exemplare der ukrainischen Übersetzung des Buchs „Die Bücherdiebin“ von Markus Zusak. Mit ihnen wurden die Fenster des Souterrains „bombensicher“ gemacht. Und gelesen wurde das Buch im Keller immer wieder neu. Es spielt im Deutschland des Dritten Reichs und handelt von dem Mädchen Liesel Meminger, das Bücher stiehlt, um zu überleben.

Im Frühjahr 2022 hilft dieses Buch dem Ensemble des ProEnglish Theatre beim Überleben und ist so der Grundstock für die Inszenierung „The Book of Sirens“, die am 9. April vor 15 ZuschauerInnen im Luftschutzkeller und einem großen Online-Publikum gezeigt wurde. Ende Juli 2022 sind Alex Borovenskiy und seine Darstellerin Anabell Ramirez in Berlin. Im alten Fabrikkeller sitzen Menschen auf Stühlen, und Ramirez erzählt von Liesel Meminger. Die sitzt im Keller, liest und liest und überlebt so dieLuftangriffe. Extrem beklemmend ist das Sirenengeheul, das Teil der Inszenierung ist. Denn es ist ein ehemaliger Luftschutzkeller, in dem wir sitzen.

Slapstick und Kabarettszenen sorgen für Putin-Satire

Im dritten Stock der ehemaligen Klavierfabrik zeigt die Theatergruppe MinskiyBerlin ihre erste Inszenierung „InBetweenFires“, nach der auch das ganze Festival benannt ist, das am letzten Juli-Wochende nicht nur Theater, sondern auch Arbeiten ukrainischer FotografInnen und Musik von dort in die Elsenstraße brachte. MinskiyBerlin besteht aus belarussischen, ukrainischen und Berliner SchauspielerInnen und ist aus dem Kreuzberger ogalala Theater heraus entstanden. Von dort kommen die Berliner SchauspielerInnen und die Regisseurin, Theaterleiterin Christine Dissmann.

Auf der Bühne sind alle Muttersprachen der Ensemble-Mitglieder zu hören, überwiegend aber Englisch. Am stärksten ist die Inszenierung, wenn sie (fast) ohne Worte auskommt. Dann ist „InBetweenfires“ todtraurige Gegenwartssatire. Pippi-Langstrumpf-mäßig werden so drei Tische zu einer imaginären Arche Noah verbaut, in der die Tiere nun Zuflucht vor dem Krieg finden sollen. Die Tierfiguren zeichnen sich durch eine kluge Naivität aus, ihre Gespräche, um zu verstehen, was eigentlich passiert, sind entlarvend und berührend zugleich.

Oleksii Dorychevskiy ist eine Entdeckung. Wie „sein“ Hund die Pfote nach oben streckt, hat eine wunderbare Natürlichkeit. Er hat auch immenses Talent zum Slapstick, das er bei den Kabarettszenen präsentiert. So gibt es ein herrliches StückPutin-Satire, wenn auf Anweisung eines Einzigen immer mehr Tische aneinandergeschoben werden, um den Tisch unendlich lang werden zu lassen. Durch Dorychevskiys Slapstick bekommt die Szene „Fleisch“: So hat er den Arm zwischen zwei Tischen eingezwängt, ist wenig später mit dem ganzen Körper zwischen den nächsten Tischen eingeklemmt, fliegt dann auf den Tisch und rollt schließlich herunter.

Eine andere Kabarettszene handelt von den Erfahrungen der ukrainischen und belarussischen KünstlerInnen mit der deutschen Bürokratie. Amina Aliyeva ist die Letzte in der Reihe vor dem Tisch mit dem imaginären Stempel. Sie erzählt ihre persönliche Geschichte auf der Bühne: Sie ist 2020 aus Minsk nach Kiew geflohen und von dort nach Berlin. Und hat Probleme, hier als Flüchtling anerkannt zu werden. Das Hotel Continental existiert auf alle Fälle bis zum Herbst.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.