Performancefilm „A Thought of Ecstasy“: Ein Mann sucht und findet den Exzess
Der Regisseur RP Kahl nutzt das Kino als Utopie und Schutzraum. In seinem Film „A Thought of Ecstasy“ inszeniert er gegen das Rationale an.
Frank spricht Englisch mit einem grobschlächtigen Akzent. Wie ausgestellt er spricht, das hat beinahe schon etwas Widerspenstiges gegenüber dem Amerikanischen. In den USA ist er nicht auf Dauer, sondern angeblich für einen Arbeitsausflug. Eigentlich aber, um seine ehemalige Geliebte Marie wiederzufinden. Sein Leben zu Hause klopft nur telefonisch an, im Grunde hat er längst allem abgeschworen und versucht sich in der kalifornischen Wüste auf radikalen Wegen selbst zu entdecken – oder vielleicht eine verlorene Facette seines Bewusstseins wiederzufinden.
Der Film begleitet ihn neugierig und trägt dabei seinen Titel stolz vor sich her: „A Thought of Ecstasy“. Der Regisseur und Hauptdarsteller RP Kahl steht mit Filmen wie „Angel Express“ und zuletzt insbesondere „Bedways“ und „Rehearsals“ für ein in Deutschland unterrepräsentiertes, intelligentes Performancekino, das ohne Scheuklappen körperliches Denken zelebriert.
„A Thought of Ecstasy“ solidarisiert sich ganz entschlossen mit dem soziologisch geprägten französischen Denker Georges Bataille, der Strategien der Verschwendung als erstrebenswerte Gegenposition zur kapitalistischen Wertlogik verteidigte. Und dann wird Jean Baudrillard zitiert: „But seduction is inevitable. No one living escapes it, not even the dead.“ Es geht hier also um Verführung.
Baudrillard entwarf, inspiriert von Bataille, einen methodischen Ansatz zur Interpretation von Medienbotschaften. Die Filmtheorie griff seine Gedanken in den Neunzigern auf und entwickelte daraus auch einen Zugang zum Kino als erotisches System. Besonders bei Filmen, die das sinnliche Erleben als zentral begreifen und die sich als schwer intellektualisierbar entpuppen, funktionieren eine solche Perspektive und die daraus resultierenden Fragen ganz gut.
„A Thought of Ecstasy“. Regie: RP Kahl. Mit RP Kahl, Lena Morris u. a. Deutschland 2017, 87 Min.
Kurzum: Bei „A Thought of Ecstasy“ sucht ein Mann den Exzess und findet ihn. Er sucht sich einen Strudel aus Sex und Macht, aus Sein und Schein, Leben und Tod. Er folgt den Spuren eines Romans, in dem er sich als Figur sieht, trifft die manipulative Autorin, begeht die Schauplätze des Textes. Und er begegnet Menschen, die in das Buch passen würden.
Doppeldeutig und irreal
RP Kahl versucht durch optische Verfremdungen, logische Zugänge zur Geschichte zu verwischen, er inszeniert gegen das Rationale an. Es gibt viel poetische Sprache, die aus dem Roman stammen könnte, damit sich alles doppeldeutig und irreal anfühlt. Und nur ganz kurz traut sich Kahl auch, ein Statement zum Kino zu machen. Während Frank viel Zeit mit einer Prostituierten verbringt, beginnt er auf ihre Einladung hin, BDSM-Sessions mit wohlhabenden Kunden zu filmen: „Sie zahlen für einen Film, niemals für Sex. Eine Art rechtliche Absicherung. Die Filme sind zu ihrem Schutz. Du filmst, um sie zu schützen … und uns.“
Damit kommentiert Kahl einerseits eine Verlogenheit im deutschen Kino, wo sich selten jemand auch nur einen Hauch von Exzess zugesteht. Und er zeigt die Antithese: Er ist offensichtlich heiß auf die Bilder, die er macht. Und er ist heiß darauf, als Figur ein Teil dieser Bilder zu sein. Diese Schamlosigkeit zeugt vom Mut zur Selbstentlarvung, schert sich aber wenig um die Problematik der Selbstdarstellung eines weißen Mannes.
Das Kino soll in „A Thought of Ecstasy“ Schutzraum sein und Utopie, zur Überwindung von politischer Stagnation und sogar Tod. Eigentlich reist hier nicht Frank, sondern Bataille, in eine Kultur, die mit Trump alle Facetten des reaktionären, weißen, männlichen Kapitalismus zelebriert: „Was wird uns retten, wenn die Vegas-Quellen versiegen? Dasselbe was das Land rettet, wann immer es in einer Krise ist … die Filme.“
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