Kinofilm „The Untamed“: Das Sex-Alien meint es gut mir dir

Auf recht brutale Weise: Der mexikanische Regisseur Amat Escalante erkundet in „The Untamed“ die Kehrseite von Hippie-Utopien.

Eine blutbesprenkelte Frau

Ruth Ramos in „The Untamed“, Szene aus dem Film Foto: Forgotten Film Entertainment

Amat Escalante zählt zu den sichtbarsten und stilistisch prägnantesten mexikanischen Regisseuren seiner Generation. Escalante ist Ende der Siebziger geboren, machte seinen Debütfilm „Sangre“ mit 27 und startete direkt in einer Nebenreihe der Filmfestspiele in Cannes, wo er mit dem Preis der internationalen Filmkritik ausgezeichnet wurde.

Auch seine nächsten drei Langfilme reisten um die Welt: Nach „Los Bastardos“ (2008) und „Heli“ (2013 im Wettbewerb von Cannes) wurde zuletzt auch „The Untamed“ von der internationalen Filmöffentlichkeit deutlich wahrgenommen. In Venedig erhielt er für den Film den Silbernen Löwen für die Beste Regie.

Erstmals bedient sich der Regisseur des Fantastischen. Und doch bleibt Escalantes Kino eines der formalen Strenge, nüchtern und punktuell extrem brutal. Das funktioniert nicht für alle Filmverleihe, so eine Ästhetik fordert eine gewisse Verwegenheit. Nach der Uraufführung von „The Untamed“ vor rund eineinhalb Jahren startet der Film erst durch die Unterstützung des jungen Nürnberger Verleihs Forgotten Film Entertainment in deutschen Kinos.

„The Untamed“ kreist um rohe Energie, insbesondere um grenzüberschreitende Sexualität, verkörpert durch ein außerirdisches Wesen, dessen Tentakel schon in der ersten Szene zwischen den Beinen einer jungen Frau namens Verónica (Simone Bucio) herumflutscht. Weil sie aus der Begegnung mit dem Wesen mit einigen Blessuren herausgeht, lernt sie kurz darauf den Krankenpfleger Fábian (Eden Villavicencio) und dessen Schwester Alejandra (Ruth Ramos) kennen. Diese möchte sie ebenfalls von den Vorzügen des außerirdischen Lovers überzeugen.

„The Untamed“. Regie: Amat Escalante. Mit Ruth Ramos, Simone Bucio u. a. Mexiko u. a. 2016, 100 Min.

Darüber Bescheid weiß das Wissenschaftler-Pärchen Vega, die sich beide für die Biologie des Fantasiegeschöpfs fanatisch zu interessieren scheinen und dafür mitunter über Leichen gehen. Die Vegas wohnen in einem kleinen Häuschen am Rande der Stadt. Als Alejandra sie zum ersten Mal besucht, mustert Herr Vega aufmerksam und ziemlich ruppig ihre Augen und ihren Mund. Dann macht er sich Notizen. Wissenschaftler seien so, meint seine Frau.

Entzauberung durch drastische Sichtbarkeit

Escalante geht in seinem Film ebenso unherzlich vor, bisweilen unsensibel. Auch von einem Interesse an einem langsamen Spannungsaufbau kann hier schwerlich die Rede sein. Stattdessen setzt Escalante, wie schon in früheren Filmen, auf Entzauberung durch drastische Sichtbarkeit, sucht nach einem Sinn für philosophische Härte. Er zeigt soziale Unwegbarkeiten, betont insbesondere immer wieder die Diskriminierung schwuler Männer.

Alle Kerle haben hier Komplexe und beißen ins Gras, gehen an der Gesellschaft zugrunde und bekommen den sexuellen Ausbruch mit dem utopischen Alien verwehrt

Er thematisiert häusliche Gewalt und handlungsunfähige, teils selbstzerstörerische Charaktere, stöbert nach Klassenfragen und letztlich nach der Kehrseite von Hippie-Utopien als gegengesellschaftlichem Ausbruch. Das Sex-Monster meint es einstweilen eigentlich gut mit den Menschen und Tieren. Wo es auftaucht, da prickelt es. Und so lieben sich im Einschlagkrater Tiere aller Arten.

Das Ganze ist klug ausgedacht und präzise inszeniert. Öfters findet der Film zu einer beunruhigenden Anspannung, weil er das Publikum in die Ecke drängt. Escalante fordert eine Positionierung zum Geschehen auf der Leinwand mehrfach ein. Doch immer wieder wackelt der Film, wenn er Verständnis für die schwulen Figuren andeuten will und doch nur Diskriminierungsroutinen wiederholt.

Alle Kerle haben hier Komplexe und beißen ins Gras, gehen an der Gesellschaft zugrunde und bekommen den sexuellen Ausbruch mit dem utopischen Alien verwehrt. Utopien können scheitern, natürlich. Doch das Scheitern bleibt hier ziemlich schablonenhaft und das Menschenbild doch etwas schematisch: „Du spürst, wie sich dein Kopf und dein Körper voneinander lösen.“

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