Performance auf Kampnagel: Ein starker Geruch von Kürbiskernöl

Wie Delphine glitschen die Per­for­me­r in „Soiled“ durchs Öl. Michael Turinskys Choerografie ist ein lustvoller Gegenentwurf zum aufrechten Körper.

Drei Menschen verknäulen sich am Boden liegend

Die Per­for­me­r*in­nen rutschen, krümmen ihre Körper… Foto: Michael Loizenbauer

Auf der Website findet sich eine Triggerwarnung: „Der erste Teil der Performance findet im Dunkeln und leise statt.“ Und: „Mit der Zeit wird sich ein starker Geruch von Kürbiskernöl verbreiten.“ Hoffentlich schlafe ich nicht ein. Ich nehme U-Bahn und Bus und eine Freundin mit. Der Weg hier in Hamburg zu Kampnagel ist immer weit.

Im Bus verquatschen wir uns und verpassen beinahe die Haltestelle, holen schnell unsere Karten ab und an der Bar noch ein Bier. Dann überlegen wir, wie sie werden wird, „Soiled“, die neue Performance von Michael Turinsky, und ob überhaupt jemand kommt. Zu Turinsky, der sich – ausgehend von der eigenen Situiertheit als körperlich behinderter Choreograf und Performer – mit der Phänomenologie des als „behindert“ markierten Körpers auseinandersetzt. Doch da knubbelt sich schon eine mittlere Menschenmenge vor den Stahlglastüren der K1, einer Halle mit circa 200 Plätzen.

Mit festen Ellenbogen und gleichgültigem Gesichtsausdruck schmuggeln wir das Bier in die abgedunkelte Halle. Dort bauscht eine orangefarbene Stoffblase von der Decke, eine „pumpkin sun“, wie man aus der kunstvollen Audiodeskription erfährt. Schemenhaft erkennt man drei Performer*innen. Sie kauern in einem runden, plastikweiß ausgekleideten Bassin, in das leise und rhythmisch Kürbiskernöl tröpfelt.

Nach den Aufführungen in Hamburg ist Michael Turinskys Choreografie vom 10. bis 15. November im Rahmen des Berliner „No Limits“-Festivals im HAU2 zu sehen. „No Limits“, Deutschlands größtes und wichtigstes Festival für Disability & Performing Arts, feiert in diesem Jahr seine zehnte Ausgabe. Das Festival startet am 9. November.

Als es wieder heller wird, hat sich eine grünliche Pfütze gebildet. Langsam rutschen die Per­for­me­r*in­nen durch sie hindurch, krümmen ihre Körper. Sie glitschen wie Delphine, wie Pinguine durch das Becken, wirken hilflos wie blinde Katzenbabys. Die Tän­ze­r*in­nen – ein lustvoller, pulsierender Gegenentwurf zum „aufrechten, zivilisierten geradlinig voranschreitenden Körper“ – werden sich im Laufe der Performance nicht aufrichten, sondern irgendwann rücklings aus dem Becken gleiten.

Begeisteter Applaus und gedämpfte Pausengespräche

Die Frau in der Reihe vor mir zeichnet Aktstudien in ihr Skizzenbuch, während der junge Mann schräg hinter mir zu schlafen scheint. Oder meditiert er? Sein Kinn ist auf die Brust gesunken, seine Augen sind geschlossen. Andächtige Ehrfurcht breitet sich aus. Leises Räuspern oder Stuhlknarzen wirken wie ein sträflicher Tabubruch. Wer hustet, verlässt augenblicklich den Raum. Herrlich, dass zumindest der anwesende Choreograf regelmäßig und laut auflacht.

Auf den begeisterten Applaus folgen gedämpfte Foyergespräche mit Mutmaßungen über den Kürbis und sein Öl. Es sei ja bald Halloween, scherzen die einen. Der Choreograf, der mit „Soiled“ auch auf Tournee ist, komme aus der Steiermark, sagen andere, dort habe das „grüne Gold“ eine eigene Tradition. Ein dritter wiederum äußert seine Enttäuschung, dass kaum behinderte Tän­ze­r*in­nen auf der Bühne gewesen seien. Irritierende Aussagen in löchrigen Samthandschuhen. Jetzt aber habe man Hunger, vor allem nach dem intensiven Geruch.

Auf der Premierenfeier dann ein heiterer, vollkommen barrierefreier Austausch mit der sehbehinderten Sophia Neises, einer der drei Performer*innen. Dazu Wein, Bier und vegetarische Flammkuchen. Kürbissuppe ist aus.

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