Festival für Disability Art „No Limits“: „Gut, wenn es kompliziert wird“

Michael Turinsky ist Kurator des internationalen Festivals „No Limits“ und stellt Forderungen: sowohl ans Publikum wie an die Künstler*innen.

Ein Mann mit Kapuzenshirt blickt nach links

Michael Turinsky, Künstler und Kurator des „No Limits“ Festivals Foto: Danila Amodeo

Michael Turinskys erste bekannte Arbeit war ein Solo, in dem es um Philosophie, Jackson Pollock und das Wackeln ging. Seine zweite ein Gruppenstück, in dem er andern das Wackeln, Zucken, Krampfen beibrachte. „Den Sexappeal des Wackelns deterritorialisieren“, nannte er das Übertragen von Körperreaktionen, die durch Zerebralparese verursacht sind, als Bewegungsvokabular für Tänzer*innen.

Damit knüpfte er an die Tatsache an, dass sich Schauspieler*innen, wenn sie die Rollen behinderter Protagonisten spielen, immer wieder unhinterfragt deren äußere Körperlichkeit aneignen. Cripping up heißt der inzwischen gängige Begriff dazu. Turinsky begegnete der zweifelhaften Praxis mit Humor und machte geradezu einen Wettbewerb daraus, den er, als Fachmann, kontrollierte.

Vor vier Jahren war der Wiener Künstler mit „Heteronomous Male“ und „my body your pleasure“ zum Berliner Festival No Limits gekommen. 2019 ist er als Kurator da. Zwar war das Internationale Theaterfestival, das in diesem Jahr seine neunte Ausgabe präsentiert, schon lange tanzaffin, aktuell aber setzt es zum ersten Mal den Fokus auf Tanz und Performance.

Ohne Begleitschutz

„Disability and Performing Arts“, so der neue Untertitel. Ausgewählt sind vorzugsweise Stücke, bei denen behinderte Künstler*innen selbst verantwortlich zeichnen, das heißt, keine Produktionen, bei denen ein „großer Name“ aus der Kunstwelt einer „Inklusionstheatergruppe“ zu größerer Breitenwirkung verhilft. Bekannte Namen sind trotzdem dabei.

„No Limits“, 6. bis 16. November 2019 in Berlin, im Hebbel-Theater, Theater Thikwa, Ballhaus Ost, Sophiensæle. Programm unter no-limits-festival.de.

Das Wort „Inklusion“ versucht das Festival schon lange abzustreifen. Das gütige Adoptiertwerden von einem vorausgesetzten Mainstream entspricht nicht seiner Selbstverortung und damit auch nicht dem, für was es gesellschaftspolitisch stehen will. Turinsky hat zusammen mit dem Dramaturgen Marcel Bugiel kuratiert, der hinter mehreren diskursverschiebenden Produktionen steht.

So auch hinter „Regie 2“ von Monster Truck, einem Stück, das wie ein Blinddate funktionierte. Festivalbesucher*innen von No Limits wurden mit ihrem „Inklusionstheater“-Ticket mit Bussen zu Inszenierungen jenseits des Festivals gefahren. Zum Beispiel zum „Fliegenden Holländer“ an der Staatsoper. Das postinklusive Theaterzeitalter war angebrochen.

Tatsächlich sind an Berliner Theatern seitdem mehr Produktionen mit oder von behinderten Künstler*innen zu sehen und Prozesse des Zugänglichmachens von Ausbildungen und Produktionsweisen angestoßen. Wie schnell das Bewusstsein dafür jedoch vom Alltagsgeschäft verdrängt werden kann, hatte zuletzt der internationale Tanzkongress in Dresden im Juni des Jahres gezeigt. Er endete mit der Verlesung eines offenen Protestbriefes vieler Künstler*innen und Kurator*innen, die im Namen derer sprachen, die sich ausgeschlossen fühlten. Auch Turinsky hat unterschrieben.

Wer produziert wen?

Daher geht es Turinsky kuratorisch auch um einen produktionsästhetischen Blick. Wer produziert wen, wer choreografiert wen, in welchen Räumen, wer trägt die Verantwortung, übernimmt das Controlling? Eine komplizierte Blickrichtung, führt sie doch schnell zu der Forderung: Nur Gleiche dürfen mit Gleichen arbeiten. „Nein“, meint Turinsky, der „eine moralapostelschiefe Optik“ ablehnt: „Es besteht ein Unterschied zwischen einer identitätspolitischen Verengung und blinder Aneignung“.

Das heißt, die Arbeit mit Differenzen verpflichtet. Zum Andersdenken. Zum Andersmachen. Graubereiche findet Turinsky interessant. „Das halte ich für gut, wenn es kompliziert wird!“, ruft er begeistert aus.

Die Probe aufs Exempel: eine Frage, die sich auf sein Essay für das Programmheft von No Limits bezieht, in dem er mit einem Begriff Robert McRuers „compulsory ableism“ (in etwa: vorausgesetzte, behindertenfeindliche Qualitätsstandards) ablehnt. Wie verhält er sich in dieser Beziehung als stark an Wissenschaft und Philosophie anknüpfender Kurator nun zu einem Kollegen mit Lernschwierigkeiten?

Gegen die Fetischisierung

Die Antwort fällt ihm nicht leicht. Aber bei aller Unterschiedlichkeit körperlicher, kognitiver oder seelischer Behinderungen sieht er doch verbindende Elemente: Ausgrenzungserfahrungen und Abweichungen. Wenn diese nun nicht fetischisiert, sondern „zum Material werden, das in der Lage ist, die Identität des behinderten Körpers genauso wie die Identität des Tanzes zu verändern“, dann wird es für ihn interessant.

Kritisch mit der Frage von Fetischisierung und Spektakularisierung des behinderten Körpers umzugehen, erwartet er aber auch vom Publikum. Alles-Beklatscher-Zuschauer*innen will er nicht. Auf beiden Seiten gehe es um eine „differenzierte Haltung“, darum, „den Widerspruchssinn zu erhalten“ – „mit Empathie, aber ohne Anbiederung“.

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