Performance „Sehr schön und sehr tot“: Alle Frauen müssen sterben

Die Kultur des Femizids von der Antike bis zur Gegenwart untersucht das Staatstheater Braunschweig in einer textlastigen Performance.

Drei Personen auf einer Bühne, eine Trägt eine Hirschmaske, eine eine Fischmaske und die dritte eine Mütze mit Blumenkranz.

Tiersymbolik in Braunschweig: Carmen wird zum goldenen Hirsch und Ophelia trägt Fischmaske Foto: Joseph Ruben

Was macht Mann, wenn Frau ihm nicht mehr zu Diensten ist oder sein will? Ein Beispiel zeigt Schauspieler/Bühnenmusiker Camill Jammal in einer kauzigen Stand-up-Comedy-Nummer zum Durchstarten der „Sehr schön und sehr tot“ betitelten „musikalischen Séance“ am Staatstheater Braunschweig. Er sei der expressionistische Maler Oskar Kokoschka, behauptet Jammal, seine Gemütslage ist definiert durch Alma Mahlers Abwesenheit.

Nachdem er die zweijährige Affäre in über 400 Bildern gefeiert und verarbeitet hat, inspiriert sie ihn nun, eine Sexpuppe in Auftrag zu geben. Alma nennt er die Aufblasfigurine, aber sie hat weder Haare noch Gesichtszüge, Brüste oder Geschlecht.

In die Empörung über spärliche Ausstattung schleicht der Lyriker Heinrich Stieglitz (Daniele Szeredy), dessen Gattin sich gerade für sein Wohlergehen erdolcht hatte. „Unglücklicher konntest Du nicht werden, Vielgeliebter! Wohl aber glücklicher im wahrhaften Unglück!“, heißt es im Abschiedsbrief.

Ein Opfertod. Ja, so will Mann die Frau haben. „Beide Seiten, Künstler und Muse, kriegen so ihren gerechten Teil des Handels! Der Leichnam ist schön; das mildert den Schrecken, der Leichnam ist weiblich; das hilft, sich als Sieger über den Tod zu fühlen“, schließlich sei man selbst ja männlich, meint Kokoschka.

Zudem nehme bewusstlos totes Fleisch in weiblich attraktiver Gestalt etwas vom Schrecken der Frau „als unergründlichem Wesen mit geheimnisvoller Schöpferkraft und gefährlicher Sexualität“. Ach!, „der Tod einer schönen Frau ist und bleibt ohne Zweifel das poetischste Thema der Welt“. Heinrich dichtet auch gleich los: „Die Frau ist vervollkommnet, ihr toter Körper trägt das Lächeln der Vollendung.“

Die Tat ist eindeutig brutaler Ausdruck maskuliner Machtbehauptung

Willkommen im Diskursfeld, für das sich das Darsteller:innen-Quartett unter Leitung der Regisseurin Rebekka David interessiert, die Frage, warum in Kunst und Literatur das Motiv der schönen Frauenleiche so bedeutend ist. Und bleibt: Sie prangt auf Buchcovern, TV-Krimis beginnen häufig damit, auch dunkel gestimmte Lieder beschreiben die ästhetisch hochrangige Tote gern so geheimnisvoll, wie Gemälde sie abbilden.

Wirken die anmutig drapierten Frauenleichen für Männer erotisch und begehrenswert, sind sie gerade in ihrer totalen Passivität und Machtlosigkeit ein stummes Sehnsuchtsprojektionsobjekt? In der Performance werden nun Szenen aus Theaterklassikern mit Zitaten von Vergil bis Carolin Emcke locker collagiert und musikalisch arrangiert.

Da der Programmflyer schon John Everett Millais’ „Ophelia“-Gemälde abbildet, wird ihr Ableben gleich auch thematisiert. Szeredy spielt die Shakespeare-Heldin mädchenhaft verdruckst in ihrer Liebesverwirrung und verzweifelt angesichts Hamlets Hass auf die ewig weibliche Verführungskunst. Schon treibt die reine Unschuld vollends mundtot im Fluss … schnell zum nächsten Fall, dem bis heute ungelösten Mord an Hazel Irene Drew, Vorbild für die Laura-Palmer-Leiche in der Serie „Twin Peaks“.

Ein oberschlauer Kommissar befeuert anhand spärlicher Indizien seine Fantasie, was Frauen so alles hinterm Rücken der Männer treiben. Der Krimi-Klassiker: Die physischen und psychischen Versehrungen der Frau gilt es nicht nachzuvollziehen, sie ist nurmehr sezierbare Materie und Auslöserin der polizeilichen Ermittlungen, die vor allem die Psychopathologie der Täter mit Empathie ergründen.

In der Aufführung wird dazu ein Verführungsapfel verspeist. Eine Anspielung wohl auf die biblische Eva und eine These von Elisabeth Bronfen, die bei Frauenmorden von „kultureller Rache“ der Männer spricht: Würden Frauen im Patriarchat doch als „Synonym für Störung und Spaltung“ wahrgenommen, also als Nachfolgerinnen Evas, dem Sinnbild für Verführung und der Einschleuserin der Sterblichkeit ins Paradies.

Nun geben sich Darstellerinnen als Lady Macbeth (Gina Henkel) und Carmen (Amy Lombardi) zu erkennen. Ihr Beziehungsstreit mit Don José wird mit Georges Bizets Opernvorlage ausgebreitet. Er liebt sie, will sie als „exotisiertes Objekt seiner Begierde einkassieren“, erklärt Lady Macbeth. Carmen aber will nicht Requisit seiner Lüste sein, sondern ihre Freiheit leben. Er rast und tötet sie. Mord aus Leidenschaft.

In Braunschweig wird diese Kultur des Femizids nicht wie in so vielen Opern und Dramen als schon okay dargestellt. Die Tat ist eindeutig brutaler Ausdruck maskuliner Machtbehauptung. Männerdarsteller Jammal setzt sich dann auch bald einen Tigerkopf auf, Carmen kommt als goldener Hirsch daher und Ophelia mit Fischmaske.

Tiersymbolik der fragwürdigen Sorte. Lady Macbeth fasst zusammen: „Unser Drama liegt im Konflikt zwischen der individuellen Erfahrung des Ichs und der kollektiven Erfahrung des Frauseins. Für uns selbst sind wir meinetwegen von Natur aus zentral und wesentlich, aber für eine Gesellschaft sind wir unwesentlich, sekundär und werden über unsere Beziehung zu Männern definiert.“

Auch Arthur Schnitzlers „Fräulein Else“ darf noch ihren Zwiespalt artikulieren. Ihr Vater braucht Geld, sie soll einen reichen Freund darum bitten, der aber verlangt als Gegenleistung, sie nackt betrachten zu dürfen. Den Vater ehren und helfen sowie gleichzeitig selbstbestimmt über den eigenen Körper verfügen zu wollen, geht nicht zusammen. Folge: Wieder treibt eine Frau tot im Fluss. Ein Anblick, „gleichzeitig anklagend wie erbauend und tröstlich“.

„Sehr schön und sehr tot“, 26. & 27. 2. sowie 5. & 6. 3.,, Staatstheater Braunschweig, Aquarium, jeweils 20 Uhr

Zur Aneinanderreihung solcher Geschichten gesellt sich eine Gegenbewegung. Unterm Bühnenbild, einer rustikal getischlerten Berginstallation, haust ein einsamer Mann und brütet Misogynie aus. Die Regisseurin hat ihn als Hummer verkleidet, woraufhin Lady Macbeth gierig einen echten Hummer verspeist.

Der Mann im Hummergewand wurde als Kind, so seine Narration, von einem Mädchen derart beschämt, dass er sich fortan chronisch minderwertig fühlt und bis heute ungeküsst blieb. All sein Leid hätten Frauen begründet, sagt der Typ – und will nun ihre Bestrafung. „Wenn ich euch nicht haben kann, werde ich euch zerstören.“ Er zieht in den Krieg für sein Recht auf Macho-Männlichkeit.

Die arg textlastige Inszenierung ist teilweise mehr feministisches Manifest denn vitaler Theaterabend, analysiert andererseits aber an prägnanten Beispielen, wie geschlechtsspezifische Gewalt gedeiht und gerechtfertigt wird. Allem schauspielerischen Spaß zum Trotz müssen Besucher allerdings reichlich Wissen mitbringen oder sich hinterher anlesen, um die Texte der Aufführung kontextualisieren und die Argumentationslinie im Assoziationsstrom nachvollziehen zu können.

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