Patty Kim Hamilton am Deutschen Theater: Dem Dorf zuhören

Das Deutsche Theater in Berlin hat ein neues Förderprogramm für Dramatik. Die Autorin Patty Kim Hamilton reflektiert dort über geteilte Länder.

Porträt von Patty Kim Hamilton, auf einer Treppe sitzend

Patty Kim Hamilton im Foyer des Deutschen Theaters in Berlin Foto: Jasmin Schuller

Patty Kim Hamilton denkt oft an ihre Großmutter. An deren Mut, an deren Kampf. Wäre die Großmutter nicht gewesen, könnte sie, Patty Kim Hamilton, heute nicht das Privileg genießen, ein Leben für die Künste, als Theaterautorin, zu führen. Geboren in Nordkorea, hat ihre Großmutter es geschafft, von dort zu fliehen, in den 1950er Jahren. Ihre Kinder kamen in Südkorea zur Welt. Sie emigrierte in die USA, arbeitete dort, um das Geld zu verdienen, ihre Kinder nachzuholen und ihnen eine gute Ausbildung zu ermöglichen. „Alle ihre 17 Enkel haben studiert“ und das macht Patty Kim Hamilton auch stolz auf ihre Großmutter.

Das Leben in einem geteilten Land, Erfahrungen in einer kommunistisch geprägten Diktatur: Dieser Teil der Familiengeschichte ist ein Grund, warum sich die junge, in den USA geborene Autorin für Deutschland und seine Geschichte als geteiltes Land interessiert.

Sie hat hier einmal als Kind gelebt, war als Austauschschülerin in Deutschland und kam schließlich nach Berlin auf Anraten ihrer Mentoren an der Stanford University in Kalifornien. Wenn du deine eigene Stimme finden willst, geh nach Berlin, sagten die. Trump war gerade gewählt worden, erzählt Patty Kim Hamilton bei einem Gespräch in der Bibliothek des Deutschen Theaters, da wollte sie gerne weg aus den USA.

Und hier sitzt sie nun, neun Jahre später, als eine von vier Autorinnen, die an einem neuen Förderprogramm des Deutschen Theaters für Neue Dramatik teilnehmen. Ein Jahr lang werden sie unterstützt und können in den Kosmos des Hauses eintauchen.

Lange Nacht der Au­to­r:in­nen am Deutschen Theater in Berlin, 15. Juni, ab 18 Uhr.

Die Stücke von Patty Kim Hamilton sind im Suhrkamp Theater Verlag verlegt.

Patty Kim Hamilton ist gerade aus einer Probe ihres im Atelierprogramm entstandenen Stückes „Und der Himmel über uns ist sein eigenes Land“ gekommen, als wir uns treffen. Das Stück wird in einem Ausschnitt am 15. Juni uraufgeführt als Teil der Langen Nacht der Autorinnen, mit der das Deutsche Theater sein Festival Au­to­r:in­nen­thea­ter­ta­ge beschließt. Mit Schau­spie­le­r:in­nen über ihre Figuren und ihren Text zu reden, gemeinsam zu erleben, wie ihr Stück auf der Bühne lebendig wird, das Erzähltempo mit anderen zu bearbeiten, schnell etwas umzuschreiben, sich mit der Regisseurin und der Dramaturgie zu beraten: Für all das fand sie eine gute Möglichkeit in diesem Programm.

Sie braucht das Feedback. Allein zu Hause schreiben? Aus dieser Einsamkeit hat sie sich selbst auch schon Abhilfe geschaffen. Sie lebt mit befreundeten Künst­le­r:in­nen unterschiedlicher Genres zusammen auf einem Dorf, sie laden weitere Künst­le­r:in­nen ein, machen Projekte.

Beredte Geschichte, stumme Geschichte

Und dieses Dorf, das liegt in Sachsen-Anhalt. Finden viele überraschend, ihre Entscheidung, in den ehemaligen Osten zu ziehen. Sie dagegen ertappt sich immer wieder bei dem Gedanken, wie schön es da doch ist. Und es interessieren sie eben die Erfahrungen und Biografien der Menschen dort, die schon zu DDR-Zeiten da waren, und derer, die später kamen. Was sich davon vermitteln lässt für die, die es nicht erlebt haben. Welche Teile der Geschichte stumm bleiben. Welche zu Gespenstern werden.

In einem Dorf in Sachsen-Anhalt ist auch „Und der Himmel über uns ist sein eigenes Land“ angesiedelt, Erfahrungen der Flucht von Ost- nach Westdeutschland und aus Nordkorea prägen die Familiengeschichte des Protagonisten.

Für Patty Kim Hamilton ist diese Geschichte wichtig, weil sie findet, dass die Gegenwart im Osten Deutschlands viel zu selten den Weg auf die Bühnen findet. Eine Lücke, der sie zu Leibe rücken will. Nicht so ganz dazuzugehören, nirgendwo, diese Erfahrung ihres Protagonisten ist für sie nicht nur eine mögliche Spiegelung ihrer Geschichte, sondern etwas viel Allgemeineres: „Das wird immer relevanter für die Zukunft“, sagt sie, „wenn immer mehr Menschen über eine Mixed-race-identity“ verfügen.

Aber Hamilton sieht sich nicht nur als Autorin von Migrationsgeschichten. Andere „Lücken“, die zu bearbeiten ihr wichtig sind, betreffen den Schmerz, den weiblichen Körper, Trauer, über die nicht gesprochen wird. In Bremen wurde im November letzten Jahres ihr Stück „Schmerz Camp“ uraufgeführt, das unter den Patientinnen einer Schmerzklinik spielt. Warum gerade Frauen so oft unter chronischen Schmerzen leiden, warum die Ursachen dafür nicht mehr erforscht werden, warum diese Krankheiten oft nicht erkannt werden? Viele Fragen stellen sich mit dem Stück. Aber es erzählt auch vom Verlust der Außenwelt in der Klinik und einer Gleichförmigkeit der Tage, die den Kontakt zu Realität erschwert.

Kannst du sehen, was mir passiert? Kannst du es sehen, auch da, wo weder die Betroffenen eine Sprache dafür finden können noch die Experten mit ihren normierten Begriffen dem nahekommen? Der Schmerz der Frauen in „Schmerz Camp“ liegt eben auch gerade in dem Fehlen der Sprache für das, was sie zerstört. Dafür Empathie zu erzeugen, das ist es, worauf es Hamilton ankommt.

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