Pastawissenschaft: Die perfekte Welle
Der US-Amerikaner Dan Pashman tüftelte mehrere Jahre an der idealen Nudelform. Dabei fand er heraus, auf welche drei Dinge es besonders ankommt.
Es gibt Lebensmittel, die haben ihre Form gefunden: Hot Dogs, zum Beispiel, Schokoküsse, Haferflocken oder Bananen. Und dann sind da Nudeln. Nudeln sind ein wenig wie Hunde, sie sind ganz offensichtlich alle of one kind, und doch gibt es sie in den verschiedensten Formen und Größen.
Nun könnte man sagen, das sei ja egal, weil sie schließlich alle Sorten – abgesehen von gefüllten Nudeln, das ist noch mal eine ganz andere Welt – ausschließlich aus Hartweizengrieß bestehen, und am Ende schmecken sie ohnehin nach der Soße. Dann sollte man an dieser Stelle vielleicht lieber nicht weiterlesen. Und sich auch nicht mit Dan Pashman anlegen.
Denn Pashman, 44, und seit 2010 Betreiber des Food-Podcasts „The Sporkful“, ist einer, der seine Cheeseburger vor dem Verzehr umdreht, weil sie dann besser schmecken. Er hat auch schon in einem Comedy-Keller in der New Yorker Lower East Side einen Abend damit gestaltet, vor Publikum über Nudeleigenschaften zu streiten. So klare Vorstellungen hat Pashman davon, was die perfekte Nudel ausmacht, dass er sich 2018 schließlich vornimmt, sie selbst zu erfinden.
Drei Jahre dauert es, dann ist Pashman am Ziel. In diesem Frühjahr wurden die ersten Schachteln der von ihm erdachten Cascatelli verschickt. Den langen, steinigen Weg dorthin hat er in einem fünfteiligen Special seines Podcasts dokumentiert. Es ist große Unterhaltung!
Auf seiner „Mission: ImPASTAble“ trifft Pashman unter anderem Weizenfarmer in North Dakota und besucht eine Nudelfabrik in Brooklyn, wo er sieht, wie Teig „wie Play-Doh“ durch riesige Formen gedrückt wird. Er lernt den Unterschied zwischen Hart- und Weichweizen, dass der perfekte Grieß nicht zu fein gemahlen sein sollte, damit er nicht so schnell oxidiert, es aus Kostengründen aber häufig trotzdem ist, und dass in der „Enyclopedia of Pasta“ um die 1.200 Nudelsorten verzeichnet sind, die sich auf über 300 verschiedene Formen aufteilen.
Was die Suche nach einer weiteren natürlich nicht unbedingt leichter macht. Pashman identifiziert früh drei Kategorien, in denen eine gute Nudel glänzen muss: Die forkability definiert, wie gut sich die Nudel aufgabeln lässt. Je mehr Soße auf einem Nudelbissen mitkommt, desto höher ist die sauceability. Und dann ist da schließlich die Königsdisziplin, die toothsinkability, die beschreibt, wie viel Biss eine Nudel im idealgekochten Zustand hat, sprich: mit wie viel Wonne die Zähne in ihr versinken können.
Nach vielen Nudelverkostungen, Debatten und Gedanken schwebt Pashman schließlich eine Kombination aus zwei Langnudeln vor: aus Mafaldine, einer platten Sorte mit auffällig gekräuselten Rändern, und Bucatini, einer Art langer Makkaroni. In der Theorie ist diese Idee gut, in der Herstellungspraxis nur leider nicht umsetzbar, und so wird der Entwurf Schritt für Schritt verändert: Die Nudel wird kürzer, die Bucatini-Röhre wird zur Halfpipe, die Rüschen wandern vom Rand auf die Unterseite, wo sie – ein positiver Nebeneffekt – im rechten Winkel andocken, was Pashman zufolge sehr selten im Nudelkosmos vorkommt und der toothsinkability noch mal einen ordentlichen Boost gibt.
Als beim ersten Probeessen ein Drittel der Rüschen abfällt, muss die ganze Nudel stabiler gebaut werden. Das bedeutet Anpassungen im Millimeterbereich an der Bronzeform. Denn natürlich wird eine Bronzeform verwendet und keine teflonbeschichtete, damit die Nudeln eine rauere Oberfläche bekommen, und diese Oberfläche hilft bei, Sie ahnen es schon: der sauceability.
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Nicht nur über Nudeln und ihre Formen lernt man was in Pashmans „Mission: ImPASTAble“, sondern auch über die Lebensmittelindustrie. So kommt es etwa zu monatelangen Verzögerungen, als die Coronapandemie ausbricht. Weil dann auch in den USA der Nudelverkauf anzieht, wird der einzige US-amerikanische Hersteller von Bronzeformen mit Aufträgen überschüttet – und weil weltweit die Produktion und die Lieferketten stocken, kriegt er außerdem keine Bronze für eine neue Form.
Auch die richtige Getreidesorte muss Dan Pashman aussuchen, einen angemessenen Preis für seine Nudeln festlegen (stolze $ 4,99), und dann fehlt natürlich noch der optimale Name: Millepiedi sind in der engeren Auswahl, weil die erste Fassung der Pashman-Nudel an Tausendfüßler erinnerte, auch Chiaverini (Notenschlüsselchen) werden diskutiert; am Ende landet Pashman schließlich bei Cascatelli. Was sich vom italienischen Wort für Wasserfall, cascata, ableitet, allerdings mit ausgedachtem Plural, denn „-telli“ klingt einfach mehr nach Nudel.
Rund drei Stunden ist Pashmans Making-of-Podcast insgesamt lang. Stellenweise wird er dabei ein wenig effektheischend und redundant. Ihm ist auch nicht immer leicht zu folgen, weil Pashmans Englisch schnell und manchmal undeutlich ist (die zusätzlichen Transkripte aller Folgen können helfen), und weil in einem Audioformat eben die Visualisierungen fehlen. Wo genau an der Entwurfsnudel wird jetzt noch eine Ecke oder Rüsche umgestaltet?
Was man aber immer hört und spürt, ist Pashmans dedication, seine Hingabe für Essen, und die heilige, nerdhafte Ernsthaftigkeit, mit der alle Beteiligten ihr Nudelbusiness betreiben, wenngleich Pashman auch ziemlich selbstironisch sein und unheimlich dreckig lachen kann.
In seinem bedingungslosen „Ich habe das alles noch nie gemacht, aber ich zieh das jetzt durch“-Geist ist Dan Pashmans Mission außerdem sehr US-amerikanisch. Und erfolgreich: Die ersten 3.700 hergestellten Cascatelli-Packungen waren schon am ersten Tag vergriffen. Inzwischen wurden mehr als 186.000 Boxen verschickt, der New Yorker Nudelhersteller Sfoglini veranschlagt aktuell drei Monate Wartezeit für weitere Bestellungen. Die Nutzer-Reviews auf seiner Webseite lassen erahnen, dass sich das auch lohnt.
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