Partystimmung wegen Jesus: Auf Höllenfahrt im Spackenexpress
Das Karfreitags-Tanzverbot bis faktisch 21 Uhr führt zu Horden von Menschen, die mit dir in die nächste freie Hansestadt fahren. Schön ist das nicht.
I ch weiß nicht, ob Junge Liberale gegen das Tanzverbot an Karfreitag mobilisieren. Es ist auch nicht so wichtig. Sonst hätte ich’s im Internet nachgeschlagen oder notfalls noch einen ihrer Pressekasper angerufen, um zu fragen, ob und warum gerade hier nicht oder eben doch. Die Grünen frage ich auch nicht. Die sind bestimmt dagegen, von wegen „Dance Dance“ und weil’s ja auch strategisch gesehen völlig bescheuert wäre, sich die Chance entgehen zu lassen, mal nicht als Verbotspartei dazustehen. Gerade wo es hier ja auch wirklich überhaupt niemandem mehr weh tut, die Zügel locker zu lassen. Die Linke war schon immer dagegen, das ist ja klar.
Es ist überhaupt müßig, sich über den Stand des Liberalismus in Deutschland den Kopf zu zerbrechen. Der kommt halt hoch, wenn es gerade passt, und verschwindet auch wieder, sobald es ernst wird.
Dass ich trotzdem ins Grübeln kam, lag nun daran, dass ich mir entgegen meiner Gewohnheit tatsächlich vorgenommen hatte, am Karfreitag ins Konzert zu gehen. Nicht aus Protest und schon gar nicht zum Tanzen, sondern aus akademisch-nostalgischem Interesse. Und weil ich halt auf der Gästeliste stand.
Goethes Erben sollten nach Bremen kommen, vielleicht kennen Sie die noch. Um den Auftritt an Karfreitag rankt sich ein Gerücht: dass nämlich der Veranstalter es geschafft habe, der Kulturbehörde zu erklären, dass noch niemals jemand zu dieser Musik getanzt habe und dass überhaupt der verquarzte Schwermut dieser Schmerzmusik dem stillen Feiertag durch und durch angemessen sei. Als wäre sie dafür geschrieben worden.
Das ist eine schöne Geschichte, die nur leider nicht stimmt. Tatsächlich lässt es Bremen einfach wie Berlin um 21 Uhr gut sein mit dem Tanzverbot. Und darum können Oswald Henke und Goethes andere Erben dann eben auch ohne Sondergenehmigung aufspielen: „Verstümmelung“ würde sicher auf der Setlist stehen, der „Traum vom Leben“ vielleicht und „Darwins Jünger“.
Prähistorisches Recht der Kirche
Der Kompromiss ist faul und ärgerlich, weil er der längst auch im eigenen Laden völlig marginalisierten Kirche ein prähistorisches Recht einräumt, das ihr schlichtweg nicht zusteht: nämlich Juden, Muslimen, Hindus, Atheisten und Teilzeitmystikern wie mir vorzuschreiben, was wir wegen Jesus zu tun und was zu lassen haben. Umgekehrt wäre ich aber auch als autoritärer Christ beleidigt, wenn zwar das Ordnungsamt nach meiner Pfeife tanzte (haha), dann aber um neun wieder damit aufhört. Also kurz bevor der erste Jungmensch auch nur anfängt, sich für seine sündigen Sauf- und Fickfeste die Haare schön zu machen.
Für uns Landbewohner:innen entsteht dadurch übrigens noch ein ganz anderes Problem. Normalerweise tanzt man hier nämlich eh nicht wild drauf los, nur weil Wochenende ist. Dafür gibt es Schützenfest, Maifeier, Karneval oder Feuerwehrbälle – und diesen verordneten Frohsinn nun ausgerechnet auf den Karfreitag zu legen, käme den zuständigen Dorfältesten ja nicht in den Sinn. So weit so gut.
Weil Bremen das Verbot nun aber qua Lockerung eventisiert, machen sich Horden von Feierwütigen aus dem niedersächsischen Gottesstaat in die freie Hansestadt auf, um mir die betrübt-besinnliche Anreise zum Erbenkonzert („Das Sterben ist ästhetisch bunt“, „Ein Licht erlischt“ oder „Ich liebe Schmerzen“) zu versalzen. Es ist wie mit verkaufsoffenen Sonntagen in der Kreisstadt: Man nimmt der Kirche ein Stück Macht und wird zur Strafe von Idiot:innen zertrampelt. Aber wie heißt es doch so schön in der Bibel und/oder „Pulp Fiction“: „Der Pfad der Gerechten ist zu beiden Seiten gesäumt mit Freveleien der Selbstsüchtigen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen