Parteitag in Erfurt: Altern Grüne schneller?
Am Samstag entscheidet sich in Erfurt die spannende Frage, ob der Grünen-Parteitag wieder Junggrüne in den Vorstand wählt - oder mit dem Generationenwechsel ein wenig warten will.
Julia Seeliger muss jetzt zur Abwechslung Geld verdienen gehen und kann darum nicht mehr so viel Politik machen, sagt sie. Die 29-jährige Grüne will dieses Wochenende auf dem Grünen-Parteitag in Erfurt nicht wieder in den Parteirat gewählt werden.
Damit wäre der politische Aufstieg einer der originellsten grünen Nachwuchskräfte für ein Weilchen unterbrochen. Das ist bedauerlich, doch hinterlässt die engagierte Bloggerin ("zeitrafferin") der Welt und ihrer Partei einen lesenswerten Rechenschaftsbericht über ihre zwei Jahre im Parteirat (julia-seeliger.de). Sie schlägt vor, das Koordinierungsgremium, in dem sich Bundes- und Länderchefs regelmäßig treffen, zum "Think Tank" aufzumöbeln. Die Diskussionen verliefen bislang nach dem Schema "Es darf sich jede und jeder mal verorten", berichtet Seeliger. Im Wesentlichen würden "Sprachregelungen für die kommende Sitzungswoche" des Parlaments abgestimmt sowie die Frage erörtert, wer seine "privilegierten Pressezugänge" wofür nutzt. "Man könnte in dieser Zeit Sinnvolleres tun", schreibt Seeliger trocken. Dies wird die 15 weiteren Parteiratsmitglieder nicht amüsieren.
Nun dient der grüne Parteirat in Oppositionszeiten ohnehin vor allem dazu, seine Mitgliedern das Prominenz-Häubchen aufzusetzen. Wer dort sitzt, ist Gesicht der Partei. Wenn nun zum Parteitag etwa die Ex-Fraktionsvorsitzende Krista Sager (55) der neuen Hamburger Senatorin Anja Hajduk (45) Platz macht, möchte die Parteiführung dies als Erneuerung, ja als Generationenwechsel jenseits der Spitzenpersonalie Cem Özdemir (42) verstanden wissen.
Nun sind zehn Jahre so ein himmelweiter Unterschied auch nicht, weshalb sich die Frage stellt, ob Grüne möglicherweise schneller altern als andere. Auch die Behauptung - die eine Turbovergreisung vielleicht erklären könnte -, wonach die Mittvierziger eben nicht die kräftezehrenden Flügelkämpfe und Regierungszeiten durchgemacht hätten, ist angesichts der Karrieren von Özdemir oder Hajduk etwas problematisch.
Eigentlich kommt die Generation, die wirklich eine neue grüne Balance sucht zwischen Establishment und Radikalismus, zwischen Kabinettsvorlagen und Gorleben-Demos, erst dahinter. Darum ist interessant, ob der Grünen-Parteitag sich wieder dafür entscheiden wird, jemand Junggrünes in den Parteirat zu wählen, den Kandidaten Arvid Bell zum Beispiel.
Der 24-jährige Bell hat sich Partei-Sporen damit verdient, dass er sowohl für die Grüne Jugend als auch für die grünen Erwachsenen friedenspolitische Berichte mitverfasst hat. Er hat jüngst seine Diplomarbeit über Afghanistan geschrieben und weiß mehr über das Land als manch ein grüner Oberstratege.
Wie alle auffälligen Junggrünen ist Bell zunächst einmal links und versteht sich auch so. Stärker noch als Seeliger steht er jedoch für den junggrünen Trend, wonach Gräben dazu da sind, bisweilen übersprungen zu werden. Das wirkt sich dann zwar so aus, dass große Realos sagen: "Er ist rationaler Argumentation zugänglich", ist aber nicht grundsätzlich rufschädigend. Da Bell ein gewitzter Schnellredner ist, wird er sich gegen diesbezügliche Vorwürfe von linken Grabenkämpfern wehren können.
Rundum angreifbar
Noch weiter aus dem Schutz der Parteiflügel heraus gewagt hat sich Malte Spitz, ebenfalls 24. Er sitzt seit 2006 im sechsköpfigen Bundesvorstand und möchte dort auch bleiben. Dass er jedoch einerseits viel mit der linken Parteichefin Claudia Roth zusammenarbeitet, sich andererseits mit dem Thema "Grüne Marktwirtschaft" den Wimpel der Realotauglichkeit verpasst hat, macht ihn aus beiden Richtungen angreifbar.
Doch gehört Spitz zu der Nachwuchs-Crew um den damaligen Frontmann Stephan Schilling, die es noch zu Regierungszeiten verstand, ganze Parteitage aufzumischen. Dieser Trupp ist nicht ohne. Mit Anfang 20 und kaum mehr als einem Semester Irgendwas-Studium hatte sich der Schilling-Spitz-Trupp in Theorie und Mathematik der Bürgerversicherung versenkt. Die jungen Herren produzierten Anträge, die bei den an zweieinhalb Fingern abzuzählenden Gesundheitsexperten der Partei den Schweiß ausbrechen ließen.
Taktisch überangepasst?
Schilling wurde 2005 beim Versuch, in den Bundestag zu kommen, jedoch abgemeiert - womöglich deshalb, weil ihm der Erfolg zu Kopf gestiegen war. Er hatte eine gewisse rhetorische und taktische Überangepasstheit entwickelt. Dieses Wochenende in Erfurt wird Schilling, inzwischen fast 26, aber wieder glänzen: Gemeinsam mit den beiden neuen grünen Finanz-Stars Gerhard Schick und Sven Giegold hat Schilling den Antrag zur Finanzkrise geschrieben, der mit viel Lob und Zustimmung rechnen darf.
Auch dem Bundestagsabgeordneten Schick (36) und dem EU-Parlamentarier in spe Giegold (am Montag 39) ist zuzutrauen, Julia Seeligers Kriterium für sinnvolle Politik zu erfüllen: mehr als nur nach Sprachregelungen für die kommende Woche zu suchen. Auch wenn sie, nun ja, schon kurz vor der zu befürchtenden, grünentypischen Alterung im Zeitraffer stehen.
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