Parteitag der Linken von Griechenland: Syriza plant Offensive
Griechenlands Ex-Ministerpräsident Tsipras betont die Veränderungen in seiner Partei Syriza. Bei den Wahlen im Sommer 2023 hofft er auf ein Comeback.
Tsipras ist nicht nur der Präsident von Syriza, er ist auch der unbestrittene Star der 2012 aus einem Wahlbündnis entstandenen Partei. Seine groß zelebrierten Auftritte hatte der 47-Jährige zum Kongressauftakt am Donnerstagabend und zum Abschluss am Sonntagnachmittag. Jeweils mehr als eine Stunde sprach er zu den rund 5.500 Delegierten, immer wieder unterbrochen von heftigem Jubel.
Tsipras ist ein rhetorisch brillanter Redner, der mit der Stimmung im Saal zu spielen weiß, vergleichbar vielleicht mit Oskar Lafontaine oder Joschka Fischer in ihren besseren Tagen, nur innerparteilich weniger polarisierend. Dabei ist ihm ein Hang zum Pathos ebenso wenig abzusprechen wie eine blumige Sprache, etwa wenn er formulierte, Syriza sei „keine Partei von Ehegatten der Macht, sondern Liebhabern der Gerechtigkeit“.
Seine Chancen, das Ministerpräsidentenamt zurückzuerobern, sind durchaus real. Die konservative Regierung des derzeitigen Amtsinhabers Kyriakos Mitsotakis schwächelt und hat an Ansehen in der Bevölkerung deutlich verloren. Dessen aggressive neoliberale Politik habe die soziale Ungerechtigkeit im Land dramatisch verschärft, attackierte ihn Tsipras. Der Alleinregierung der Nea Dimokratia warf er vor, das Land auszuplündern und die Demokratie zu untergraben. So würde sie kriminellen Banker:innen Immunität gewähren und gleichzeitig Journalist:innen illegal überwachen lassen. Griechenland sei zu einem Paradies für Oligarchen und zur Hölle für die Gesellschaft geworden, sagte Tsipras. Der „Albtraum der Mitsotakis-Regierung“ müsse beendet werden.
Nächste Parlamentswahlen im Sommer 2023
Falls Mitsotakis nicht schon früher zu den Urnen ruft, finden die nächsten Parlamentswahlen im Sommer 2023 statt. Dann wird es ein einfaches Verhältniswahlrecht geben, nicht wie bisher einen Bonus von 50 Mandaten für die stärkste Partei. Diese undemokratische Regelung, die aktuell der Nea Dimokratia (ND) mit einem Wahlergebnis von unter 39 Prozent die absolute Mehrheit an Parlamentssitzen beschert, hatte Syriza während ihrer Regierungszeit abgeschafft und damit ein Wahlversprechen eingelöst. Inzwischen hat die ND zwar erneut ein Bonussystem eingeführt, das greift aber erst wieder beim übernächsten Mal.
Dass es nach der kommenden Wahl erneut zu einer Alleinregierung einer Partei kommt, gilt daher als unwahrscheinlich. In den aktuellen Umfragen rangiert die ND um 35 Prozent, Tendenz sinkend. Syriza liegt zwischen 24 und 29 Prozent. An dritter Stelle steht die sozialdemokratische Kinima Allagis (KA) mit rund 15 Prozent. Hinter der verbirgt sich die einstige Langzeitregierungspartei Pasok. Zusammen mit ihr sind die Aussichten für Syriza nicht schlecht – falls die KA zur Zusammenarbeit bereit ist. Tsipras umwirbt sie heftig, ebenso ihre Anhänger:innen, die er zu Syriza herüberziehen will. Das macht das Verhältnis zwischen den beiden Parteien schwierig.
Für einige Aufregung sowohl bei der politischen Konkurrenz als auch in den griechischen Medien sorgte, dass Tsipras am Donnerstag davon sprach, die Alternativen in Griechenland seien „Barbarei und Sozialismus“. Am Sonntag stellte er dann klar, dass das nicht ganz so revolutionär gemeint war, wie es klang. „Sozialismus ist unsere Vision“, sagte Tsipras. Doch was Syriza an der Regierung zunächst umsetzen wolle, sei „nicht der Sozialismus“.
Konkret nannte er als Programm für die ersten 100 Tage eine Erhöhung des Mindestlohns, die Verbesserung des desolaten griechischen Gesundheitssystems, Maßnahmen gegen die explodierenden Energiekosten, die Bekämpfung der Wohnungsnot junger Paare, die Wiedereinführung einer 13. Monatsrente für alte Menschen und die Wiederherstellung von Arbeitnehmer:innenrechten, die die Mitsotakis-Regierung abgeschafft hat. Syriza hat während ihrer Regierungszeit viel Lehrgeld zahlen müssen. Eine Lehre daraus ist, nicht mehr allzu große Versprechungen zu machen.
Syriza ist auf Modernisierungskurs
Nach der Wahlniederlage 2019 hat sich die „Koalition der radikalen Linken“, wofür die Abkürzung Syriza steht, einen Namenszusatz gegeben. Ihr vollständiger Parteiname lautet jetzt Syriza – Progressive Allianz. Mit ihren 61.600 Mitgliedern ist sie inzwischen größer als die deutsche Linkspartei – obwohl die griechische Bevölkerung wesentlich kleiner als die deutsche ist. Dabei hat Syriza den Anspruch, eine „Partei der Bewegung und der Erneuerung“ zu sein.
Einen breiten Raum nahm auch die Diskussion über eine Veränderung der Parteistrukturen ein. Mit großer Mehrheit beschloss der Kongress, dass künftig der Parteipräsident und das Zentralkomitee (ZK) nicht mehr von einem Parteitag, sondern basisdemokratisch in einer Urabstimmung von allen Mitgliedern gewählt werden.
Und erstmalig führte eine griechische Partei eine 50-Prozent-Frauenquote für ihr Führungsgremium ein. Falls Syriza die kommende Regierung bilden könne, dann werde das auch die erste mit einer gleichberechtigten Beteiligung von Frauen in Regierungspositionen sein, versprach Tsipras.
„Die Botschaft lautet: Wir verändern uns, um das Land zu verändern“, begründete Tsipras die beschlossenen Strukturveränderungen. Ziel sei, Syriza zu einer der demokratischsten und partizipativsten Parteien in Europa zu machen. Weiterhin gültig sind die schon bisher geltenden Minderheitsschutzrechte im Wahlverfahren, die verhindern, dass eine 51-Prozent-Mehrheit bei der Wahl mehr als 70 Prozent der Mitglieder im ZK stellen kann. Die Urabstimmung soll am 15. Mai stattfinden. Dass Tsipras auch danach Syriza vorstehen wird, daran besteht kein Zweifel.
„Wichtig, dass alle progressiven Kräfte gemeinsam handeln“
Die lautstarke Minderheit der EU-Gegner:innen hatte bereits Mitte 2015 Syriza verlassen, nachdem sich die Regierung von Tsipras nur eine Woche nach dem eindrucksvollen Oxi-Votum der Bevölkerung gegen das Spardiktat der Eurogruppe gezwungen gesehen hatte, sich diesem doch zu unterwerfen. „Wir setzen uns für einen anderen Kurs für Europa ein“, sagte Tsipras am Sonntag. Für das Ziel eines vereinten Europas würde sich seine linke Partei auch mit anderen Kräften beraten: den Grünen und den Sozialdemokrat:innen.
Tatsächlich versucht Syriza auf europäischer Ebene einen Spagat. Einerseits ist sie nach wie vor Mitglied der Europäischen Linken (EL), dem Zusammenschluss von Parteien links der Sozialdemokratie, und will das bleiben. Auch der deutsche EL-Präsident Heinz Bierbaum war beim Kongress dabei. Andererseits nimmt Tsipras jedoch als Beobachter an den Versammlungen der Sozialdemokratischen Partei Europas teil. Dahinter steckt auch die strategische Hoffnung, bei einer erneuten Regierungsübernahme nicht mehr so isoliert in Europa dazustehen wie beim ersten Anlauf.
Dass seine Bemühungen durchaus auf Gegenliebe stoßen, zeigten die Videogrußbotschaften von Enrico Letta, Vorsitzender der Partito Democratico in Italien, und vor allem des portugiesischen Premiers António Costa, der ganz auf Tsipras-Linie sagte, es sei „heute wichtig, dass alle progressiven Kräfte gemeinsam handeln“. Aus Spanien wurden nicht nur die Generalsekretär:innen der kleineren linken Regierungsparteien Podemos und Izquierda Unida eingespielt, auch der sozialdemokratische Ministerpräsident Pedro Sánchez schickte ein Grußwort.
Tsipras wiederum bezeichnete in seiner Eröffnungsrede Portugal und Spanien als positive Beispiele für „fortschrittliche Regierungen, die versuchen, einen Weg zu gehen, der Ungleichheiten verringert, anstatt sie zu vergrößern, selbst in Krisenzeiten“.
Tsipras stolz auf Nordmazedonien-Abkommen
Für herzlichen Applaus sorgte am Freitag der Auftritt des sozialdemokratischen Ex-Ministerpräsidenten Nordmazedoniens, Zoran Zaev, auf dem Parteitag. Zaev hatte mit Tsipras 2018 das Prespa-Abkommen vereinbart, mit dem die jahrzehntelang erbittert geführte Auseinandersetzung um den Namen von Griechenlands Nachbarrepublik beendet werden konnte. „Mit Alexis haben wir für den Frieden gearbeitet und es ist uns gelungen, einen Streit mit tiefen historischen Wurzeln zu lösen“, sagte Zaev. Es sei „nicht nur das Gesetz der Starken, das sich durchsetzen kann“, fügte er mit Blick auf den russischen Überfall auf die Ukraine hinzu.
Er sei „stolz darauf, dass wir an das historische Prespa-Abkommen geglaubt und es um jeden Preis umgesetzt haben“, sagte Tsipras. Gegen die Vereinbarung, durch die Mazedonien in Republik Nordmazedonien umbenannt wurde, hatten in beiden Ländern Nationalist:innen mobil gemacht. In Griechenland zerbrach darüber die Regierungskoalition von Syriza mit einer nationalistischen Kleinpartei. Letztlich stimmte das griechische Parlament nur dank Abweichler:innen aus der Opposition ganz knapp dafür.
Das Abkommen sei eine „Botschaft des Friedens und der Solidarität der Völker“, die „jetzt in den Tagen des Krieges noch wichtiger ist“, sagte Tsipras, der die Invasion Russlands scharf verurteilte. Seine Solidarität gelte der leidenden ukrainischen Bevölkerung.
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