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Parteitag der Berliner LinkenKein Antisemitismus-Skandal

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

Der Eklat auf dem Parteitag der Linken steht nicht für ein Problem mit Antisemitismus. Er ist Ausdruck von Kompromisslosigkeit und einem Machtkampf.

Nicht jeder Streit der Linken ist Antisemitismus Foto: dpa

W urde der Holocaust geleugnet? Sind Juden als Strippenzieher verunglimpft worden? Durfte ein Vertreter der Hamas ein Grußwort halten? Man könnte all das annehmen, wenn man sich die öffentliche Empörung über den „Antisemitismusskandal“ auf dem Landesparteitag der Berliner Linken am Wochenende anschaut. Es passt ja auch ins Bild: Antisemitismus wird in bürgerlichen Kreisen inzwischen vor allen als linkes und migrantisches Problem markiert. Wenn sich Linke über Nahost zerlegen, muss demnach Antisemitismus und linksradikaler Israel-Hass dahinterstehen.

Doch wer einen genauen Blick auf den Parteitag und die Streitparteien wirft, muss zu einem anderen Schluss kommen: Es gab keinen Antisemitismusskandal. Stattdessen gab es einen Kampf um Begrifflichkeiten und die jeweils für angemessen betrachtete richtige Priorisierung – eine klassisch linke Debatte, wie sie tausendfach geführt und meist gescheitert ist. Blinde Einseitigkeit; stereotype Zuschreibungen, gar Menschenfeindlichkeit waren nicht Gegenstand der Anträge und Änderungswünsche.

Beim Antrag des Landesvorstands war man sich gar einig, die „verbrecherischen Massaker der Hamas“ und den „anhaltenden völkerrechtswidrigen Krieg“ zu geißeln. Beides gehört – auch wenn sich einige Mitglieder an der Basis anders positionieren – zum Parteikonsens, ebenso wie das programmatische Bekenntnis gegen Antisemitismus. Die große Mehrheit der Linken ist in ihrem Verständnis der komplexen Lage in Nahost damit weiter als jeder Staatsräson-Diskurs.

Entzündet hat sich der Streit, an dessen Ende Ex-Landeschef Klaus Lederer und gut zwei Dutzend seiner Getreuen den Parteitag verließen, an einem Antrag, der ausführlich einen bestimmten Blick auf das Thema Antisemitismus postulieren wollte – ohne Bereitschaft auf Bedenken einzugehen, die nicht in einer antisemitischen Weltsicht zu suchen sind. Doch Lederer und Co. zogen den Antrag lieber zurück und gingen, als ihn mit Detailänderungen beschließen zu lassen.

Streit im Detail

Mehrheitlich abgelehnt wurde die Bezeichnung des Hamas-Terrors als „eliminatorischen Antisemitismus“, weil die Begrifflichkeit als Beschreibung für die Schoah verstanden und eine Gleichsetzung mit dem Holocaust vermieden werden sollte. Den Antragsstellern ging es demnach explizit nicht darum, Hamas und Hisbollah zu relativieren.

Ersetzt werden sollte zudem die Formulierung, jüdische Menschen „unter Einsatz rechtsstaatlicher Mittel zu schützen“. Aus Sorge, damit eine polizeiliche Repression gegen Pro-Palästina-Proteste zu legitimieren, wollte die Partei daraus den Satz machen: „Wir stehen für eine Linke ein, die jüdisches Leben in Deutschland verteidigt und jüdische Menschen konsequent schützt.“

Nicht Antisemitismus hat diesen Parteitag ausgezeichnet, sondern die Unfähigkeit zum Kompromiss. Dahinter steht auch ein Machtkampf, den der einst tonangebende Lederer-Flügel verloren hat. Verloren hat dabei die ganze Linke.

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
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6 Kommentare

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  • Dem möchte ich zustimmen. Vordergründig ging es um Antisemitismus, im Hintergrund steht m.E. der Konflikt zweier Milieus der Berliner Linken. Der Einfachheit halber möchte ich sie "Pankower Linke" und "Neuköllner Linke" nennen.

    Pankower Linke, die absteigende Großmacht im Landesverband. Ostberliner Bürgertum. Repräsentative Linke mit einer Neigung, allen zu gefallen. Einstmals "mia san mia", zwei Senatoren, ein Bundestagsdirektmandat, dazu der Bezirksbürgermeister. Aber ... sic transit gloria mundi ... Straff organisiert, aber demographisch im Nachteil.

    Neuköllner Linke, die aufsteigende Großmacht im Landesverband. Westberliner Proletariat. Jakobinische Linke, Reden wie bei Robespierre, konfrontativ, hitzig. Inzwischen in ihren Kerngebieten mehr Stimmprozente als in den früheren östlichen Hochburgen der Linken. Demographisch im Vorteil.

    Wobei beide sich m.E. doch zusammenraufen müssen, soll die Berliner Linke eine Zukunft haben. Die "Neuköllner Linke" ist stark nur in der westlichen Innenstadt, das ist zuwenig für gesamtstädtische Repräsentation. Und die "Pankower Linke" droht ohne die Neuköllner Vitalität in ziemlicher Beliebigkeit zu versinken.

  • Ich habe sowohl den Live-Stream gesehen, als auch die Anträge gelesen und bin der Meinung, dass dieser taz-Text sehr gut beschreibt, was eigentlich vorgefallen war.

    Ergänzen würde ich zwei Dinge:



    Die Antragsteller der Änderungsanträge hätten lieber alternative Formulierungen, statt komplette Streichungen beantragen sollen und die ursprünglichen Antragsteller schienen sich nicht ausreichend mit dem Begriff "eliminatorischer Antisemitismus" auseinander gesetzt zu haben. Ich kann mir sonst nicht erklären, dass der Verweis auf eine mögliche holocaustrelativierende Auffassung so persönlich aufgenommen wird.

  • Das tragische ist, dass Linke (und damit sind nicht nur Mitglieder der Linkspartei gemeint) es regelmäßig schaffen sich selbst zu zerlegen.

    Konservative und Rechte können sich da beruhigt zurücklehnen. Der Sozialismus scheitert nich daran, dass er das falsche Gesellschaftsmodell ist, sondern an Klugscheißern die weniger das Ziel im Auge haben, sondern vorrangig sich selbst.

  • "Nicht Antisemitismus hat diesen Parteitag ausgezeichnet, sondern die Unfähigkeit zum Kompromiss. Dahinter steht auch ein Machtkampf, den der einst tonangebende Lederer-Flügel verloren hat. Verloren hat dabei die ganze Linke."



    Könnte - unabhängig von Namen und konkretem Anlass - als Grabrede für die gesamte Linke (nicht die Partei!) stehen.



    Das Hauptproblem für Linke waren immer schon andere Linke.

  • danke für die einordnung.

    • @Pflasterstrand:

      Denk ich mir auch - jetzt habe ich den "



      Skandal" bzw den Disput erst richtig verstanden. Und ja, es ist verständlich.