Parlamentswahl in der Türkei: Kemalisten kuscheln mit Nationalisten
15 CHP-Abgeordnete wechseln auf Befehl der Parteispitze in die rechtskonservative Iyi-Partei. Deren Chefin kann nun gegen Erdoğan kandidieren.
15 Abgeordnete sind – „auf Anweisung des Vorsitzenden“ – aus der CHP ausgetreten und wechseln zur Iyi-Partei. Die politische Liason der kemalistischen CHP mit der rechtskonservativen Iyi-Partei verkündete Fraktionsvorstand Engin Altay am Sonntag bei einer Pressekonferenz, vor laufender Kamera und mit wehenden Fahnen im Hinztergrund. Mit diesem Coup kann der Ableger der ultranationalistischen MHP zu den vorgezogenen Parlamentswahlen am 24. Juni antreten und Parteivorsitzende Meral Akşener als Präsidentschaftskandidatin gegen Erdoğan in den Ring schicken.
Staatspräsident Erdoğan hatte vergangene Woche vorgezogene Wahlen angesetzt, was vor allem die Iyi-Partei in Aufregung versetzte. Nach bestehendem türkischen Wahlgesetz, wonach eine Partei mindestens sechs Monate bestehen muss, hätte sie frühestens im September diesen Jahres zu einer Wahl antreten dürfen. Obwohl die Partei sich bereits im Oktober 2017 gegründet hat, fand der erste Parteikongress am 1. April statt, was als Gründungszeitpunkt gezählt wird. Kämpferisch hatte daher Parteivorsitzende Akşener angekündigt unabhängig zu kandidieren. Hierzu wären allerdings 100.000 Unterschriften nötig gewesen, die sie binnen des kommenden Monats hätte zusammen kriegen müssen. Dies kann sich die „Iron Lady“ der türkischen Rechten nun durch den Zugang der bereits gewählten Ex-CHP-Abgeordneten sparen.
„Helden der Demokratie“
Möglich gemacht hat es Oppositionsführer Kemal Kılıҫdaroğlu, der schickte eine Delegation ins Parlament zu Gesprächen mit der Iyi-Partei. Laut CNN-Türk fiel nach zweistündiger Verhandlung die Entscheidung, die fünf Parlamentsabgeordneten der Iyi-Partei auf 20 zu erhöhen. Wenn eine Partei nicht die zeitliche Mindestanforderung erfüllt, kann sie mit 20 Abgeordneten eine Parlamentsfraktion stellen, was wiederum die Partei der Fraktionsmitglieder zu einem Wahlantritt berechtigt.
Was die CHP von diesem Deal hat? Bülent Tezcan, stellvertretender Vorsitzender der CHP, kommentierte gleich nach Entscheidungsverkündung: „Dies ist eine historische Verantwortung und Aufgabe. Unsere 15 Parteifreunde werden nicht als Abtrünnige, sondern als Helden der Demokratie in die Geschichte eingehen.“ Mit diesem Deal für den „Sieg der Demokratie“, wie ihn Tezcan bezeichnete, zeigt die kemalistische Opposition, dass ihnen alle Mittel Recht sind, um Erdogans Wahlerfolg zu verhindern.
Allerdings sind nicht alle CHP'ler mit der Entscheidung einverstanden. So wetterte Ilhan Cihaner, CHP-Abgeordneter aus Istanbul, wenige Minuten nach der Pressepressekonferenz auf Twitter gegen seine Parteispitze und verlangt ebenso 20 Abgeordnete für Kleinst- und Splitterparteien aus dem linken Spektrum, wie die Kommunistische Partei TKP. („20 Abgeordnete für die ÖDP, TKP und DSP.“). Außerdem kritisierte Cihaner, Jurist und ehemaliger Oberstaatsanwalt, dass dieser Parteiwechsel gegen das Parteigesetz verstoße und die CHP nicht nur auf die konservativen Stimmen im Land setzen sollte.
Allianz sei eine „politische Würdelosigkeit“
Auch der Regierung schmeckt dieser Deal nicht. AKP-Sprecher Mahir Ünal verkündete, das sei „kein Grundsatzbündnis“, wie Kilicdaroglu es nannte, sondern eine „politische Würdelosigkeit.“ Devlet Bahçeli, Chef der ultranationalistischen MHP, von der sich Iyi-Partei abgespalten hat, giftete ohne explizit Namen zu adressieren, der Wunsch nach politischen Spielchen kündige die „Brüchigkeit und das politische Verderben“ dieser Allianz an.
In knapp zwei Monaten wird in der Türkei gewählt, 18 Monate früher als geplant. Auch wenn vorgezogene Wahlen von allen Seiten erwartet wurden, wirkte Erdoğans Ankündigung dilettantischer als sonst.
Es ist nicht das erste mal in der Geschichte der türkischen Republik, dass sich die CHP auf einen Teufelspakt einlässt. 1977 wechselten elf Abgeordnete der national-konservativen Gerechtigkeitspartei (Adalet Parti) zur CHP, um den damaligen Premierminister Bülent Ecevit bei der Regierungsbildung zu unterstützen. Einige dieser Wechselabgeordneten wurden wegen Amtsvergehen verhaftet, was dazu führte, dass die CHP die Mehrheit im Parlament verlor. Doch wichtiger als die Frage „was ist los mit den Sozialdemokraten“, ist wohl die Tatsache, dass sich mit diesem Bündnis die Mutmaßung verdichtet, dass Meral Akşener eine reale Konkurrenz für Erdogan darstellt.
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