Parlamentswahl in Moldau: „Alle schauen auf uns“

Moldau wählt ein neues Parlament. Der Staat ist zwischen Russland und der EU hin- und hergerissen. Bürger sagen, warum die Wahl nicht leicht ist.

Plakate in Chisinau: Wahlkampf im ärmsten Land Europas. Bild: dpa

Ramin, 27 Jahre, Fotojournalist

Viele Menschen hier wünschen sich die Unabhängigkeit von Russland. Ich mag diese Idee aber ich frage mich, warum man nicht schon vor 10 Jahren darauf hingewirkt hat. Nun sind die großen Länder mit im Spiel, denen die Republik Moldau zwar keine Ressourcen bringt, aber immerhin einen kleinen strategischen Vorteil.

Sollte Russland stärkeren Einfluss gewinnen, werden sich wohl keine großen Veränderungen ergeben. Die meisten Menschen in diesem Land wollen auch gar nicht, dass sich so viel ändert. Vielleicht etwas mehr Reisefreiheit, um die Verwandten im Ausland besuchen zu können – aber darüber hinaus? Wir haben hier keine kritische Masse an konstruktivem Denken.

Die EU könnte einiges für unser Land bewirken: kann lokale Reformationen anstoßen oder etwas gegen die Korruption tun. Dennoch sollte die Republik Moldau sich selbst treu bleiben und sich nicht zu sehr beeilen, zur EU aufzuschließen. Wir sollten die Vorteile, die sich uns auf dem Weg in die EU anbieten, nutzen, um unser Land zu modernisieren und dann sehen, was in fünf oder zehn Jahren ist. Wir müssen erst noch dechiffrieren, was die EU für uns bedeutet.

Das Land: Die Republik Moldau, die 1991 unabhängig wurde, ist mit einer Fläche von 33.843 Quadratkilometern etwas kleiner als Baden-Württemberg. Dort leben 3,1 Millionen Menschen, eine weitere Million arbeitet im Ausland.

Die Bevölkerung: Rund 70 Prozent sind rumänische Moldauer, 11 Prozent Ukrainer sowie knapp 10 Prozent Russen, von denen die meisten in der nicht anerkannten Republik Transnistrien leben.

Die Parteien: Letzten Umfragen zufolge dürften fünf Parteien in das neue Parlament einziehen. Die Liberaldemokratische Partei, die Demokratische Partei sowie die Liberale Partei, die als pro-westlich gelten. Dem gegenüber stehen die Kommunistische Partei sowie die pro-russischen Sozialisten. Die neu gegründete Partei Vaterland, die ebenfalls den Schulterschluss mit Moskau sucht und die Sechsprozenthürde übersprungen hätte, wurde von den Wahlen ausgeschlossen.

Natalia, 28 Jahre, Tourismusmanagerin

So kurz vor den Wahlen ist es noch schwer, eine Tendenz zu erkennen, in welche Richtung sich die Republik Moldau entwickeln wird. Dennoch haben viele die Hoffnung, dass sich etwas ändern wird. Wir dürfen nicht nur an die kurzfristigen Sicherheiten denken, wir müssen auch die längerfristigen ökonomischen Interessen unseres Landes berücksichtigen.

Unter den älteren Menschen gibt es sicherlich noch etliche, die daran gewöhnt sind, dass der Staat immer für sie sorgt und sie selbst nichts zur Zukunft ihres Landes beitragen müssen. Aber die jüngere Generation sieht das anders – wir wollen unser Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ich habe einige Zeit in den Vereinigten Staaten gelebt und war sehr beeindruckt von dem, was ich dort gesehen habe. Mit einem Mal wurde mir klar, wie leicht es ist, einfach fort zu gehen und im Ausland ein neues Leben zu beginnen.

Dennoch habe ich mich entschieden, zurückzukommen. Die Möglichkeit, im Ausland Erfahrungen zu sammeln, ist sehr wichtig und gleichzeitig gibt es eine wachsende Zahl an Menschen, die zurückkommen, weil sie in die Zukunft unsers Landes investieren wollen.

Ion, 31 Jahre, Weinhändler

Manchmal schaue ich mir die russischen Sender an. Die sind so gut gemacht, dass ich schnell umstelle, weil ich Angst habe, dass ihnen auch geglaubt wird. Die meisten Menschen hier sind nicht in der Lage, zwischen den Zeilen zu lesen. Das Problem ist, wer an Russland glaubt, geht zur Wahl. Die anderen bleiben weg.

Das erste Embargo im Jahr 2006 hat uns Weinhändler sehr hart getroffen, damals hat niemand erwartet, dass Russland solche Maßnahmen treffen würde. Danach haben wir uns nach neuen Märkten umgeschaut, so dass uns das jüngste Embargo nicht mehr so hart getroffen hat. Einer der renommiertesten Winzer unseres Landes hat jetzt einen „Freedom Blend“ im Sortiment, mit Trauben aus Georgien, der Ukraine und der Republik Moldau, die alle vom Handelsembargo betroffen sind.

Die Ukraine kämpft für ihre Unabhängigkeit, Rumänien hat vor zwei Wochen gezeigt, dass es weiter Richtung Europa geht, jetzt schauen alle auf uns. Wir haben uns schon zu lange nach Osten orientiert, von dort kommt nichts Gutes. Wer in 10 Jahren zwei Embargos verhängt, ist kein geeigneter strategischer Partner.

Igor, 46 Jahre, Manager und Musiker

Unser Volk tut sich sehr schwer damit, seine Identität zu finden. Ich spreche Rumänisch, aber ich fühle mich als Europäer. Viele von uns sind von ihrer Abstammung her Rumänen und dann gibt es noch Russen, die nach dem zweiten Weltkrieg gekommen sind. Die sprechen kein Rumänisch haben aber moldauische Pässe. Wie sollen wir da für unsere Identität kämpfen?

Es gibt in unserem Land eine pro-europäische Koalition, die eine Straße nach Europa baut. Aber trotzdem wünschen sich viele Menschen das Leben in der Sowjetunion zurück. Nicht umsonst ist Wladimir Putin übergroß auf den Wahlplakaten in der Stadt zu sehen. Im November hat unser Nachbarland Rumänien gewählt. Ich habe die langen Schlangen vor den Wahllokalen gesehen – die Rumänen, die hier in Chisinau leben, mussten viel Geduld haben, um ihre Stimme abzugeben. Aber sie haben etwas erreicht. Die Demokratie in Rumänien hat sich schon so gut entwickelt, dass man inzwischen eine echte Wahl zwischen den Kandidaten hat. Es ist mir wichtig, wählen zu gehen, aber wir haben einfach nicht so viel auf dem Menü.

Juliana, 35 Jahre, Lehrerin und alleinerziehende Mutter

Meine Eltern haben panische Angst davor, dass wir nach der Wahl eine Situation wie in der Ukraine haben könnten. Ich bin mir aber sicher, so wird es nicht kommen, denn wir stehen schon mit einem Bein in der EU. Der Wahlkampf der Parteien ist sehr schmutzig, der Kandidat Usatîi hat sogar Postwurfsendungen für die russischen Wähler im Norden verteilt, an die 100 Leu-Scheine (ca. fünf Euro) geheftet waren. Eigentlich wollte ich nicht wählen gehen, aber letztendlich werde ich es doch tun.

Manchmal habe ich den Wunsch, fortzugehen. Aber wer ein Kind hat, denkt nicht zuerst an seine eigene Zukunft. Die ersten Jahre musste ich meinen Sohn alleine lassen, weil ich im Ausland gearbeitet habe. Anfangs wusste er nicht, wer eigentlich seine echte Mama ist – die Großmutter oder ich. Er fühlt sich wohl hier in Chisinau und deswegen werde ich bei ihm bleiben. Neben meiner Arbeit als Hochschullehrerin habe ich noch zwei weitere Jobs. Ich träume davon, eines Tages nur noch einen einzigen Job zu haben, von dem ich uns ernähren kann.

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