Parlamentswahl in Frankreich: Der Premier muss zittern
Viele Kandidaten in Frankreich müssen sich entscheiden: Bei der Stichwahl antreten – oder für ein Bündnis gegen rechts verzichten? Ein Überblick.
Der rechte Rassemblement National (RN) ist der große Gewinner. Es wurde samt seinen Verbündeten von 10,6 Millionen Menschen gewählt, nach 4,2 Millionen vor zwei Jahren – 33,1 Prozent gegen 18,7 Prozent. 38 Abgeordnete sind bereits direkt gewählt, in 297 der 577 Wahlkreise liegen RN-Kandidaten vorn.
Die linke Nouvelle Front Populaire (NFP) aus Sozialisten, Kommunisten, Grünen und der linkspopulistischen LFI (La France Insoumise) legt ebenfalls zu, aber nicht so stark. 2022 errang das Vorgängerbündnis NUPES in der ersten Runde 5,8 Millionen Stimmen (25,7 Prozent) – jetzt sind es 9 Millionen (28 Prozent). 32 Abgeordnete sind bereits direkt gewählt, es liegt in 159 Wahlkreisen vorn.
Das Zentrumsbündnis Ensemble der Anhänger von Präsident Emmanuel Macron legt von 5,9 auf 6,4 Millionen Stimmen zu, stürzt aber von 25,8 auf 20 Prozent ab.
Alle Kandidaten, für die in der ersten Runde mehr als 12,5 Prozent der Wahlberechtigten in ihrem Wahlkreis stimmen, können in der zweiten Runde am kommenden Sonntag antreten – müssen aber nicht. Hier einige Konstellationen:
Premierminister Gabriel Attal, Getreuer von Präsident Macron und als möglicher Nachfolger gehandelt, hat die direkte Wiederwahl im Wahlkreis Hauts-de-Seine-10 verpasst. Mit 43,9 Prozent muss er in die Stichwahl gegen Cécile Soubelet von den Sozialisten (35,5).
Innenminister Gérald Darmanin, der von den konservativen Republikanern zu Macron stieß und ebenfalls Ambitionen auf seine Nachfolge hegt, hat es noch schwerer. Im Wahlkreis Nord-10 landete er mit 36 Prozent zwar vorn, aber der RN-Kandidat folgt dicht mit 34,3 Prozent. Die mit 24,8 Prozent drittplatzierte Leslie Mortreux von LFI muss nun überlegen, ob sie zugunsten des für seine Verteidigung von Polizeigewalt berüchtigten Darmanin verzichtet.
Außenminister Stéphane Séjourné verfehlt im Wahlkreis Hauts-de-Seine-9 mit 46,1 Prozent knapp die Wiederwahl und muss in die Stichwahl gegen die Grünen (21,4 Prozent).
Ex-Premierministerin Elisabeth Borne muss zittern. Im Wahlkreis Calvados-6 kam sie mit 28,9 Prozent nur noch auf den zweiten Platz hinter RN-Kandidat Nicolas Calbrix (36,3). Ein LFI-Kandidat zieht mit 23,2 Prozent ebenfalls in die zweite Runde ein und Borne ist auf seinen Rückzug angewiesen.
Marine Le Pen, Chefin des Rassemblement National (RN), hat ihren Wahlkreis Pas-de-Calais-11 mit 58 Prozent klar gewonnen.
François Hollande, Sozialist und Expräsident, geht mit 37,6 Prozent im Wahlkreis Corrèze-1 in die zweite Runde. Er muss nun hoffen, dass RN (30,9) und Republikaner (28,6) kein Bündnis gegen ihn eingehen.
Eric Ciotti, Chef der konservativen Republikaner, kommt im Wahlkreis Alpes-Maritimes-1 auf 41 Prozent. Das RN unterstützt ihn ohnehin, nun können gegen ihn die Kandidaten von LFI (26,6) und der zu Macrons Bündnis gehörenden Partei Horizons (22,8) antreten.
Eric Coquerel, führender LFI-Abgeordneter und wegen Vorwürfen sexueller Übergriffe in der Kritik, gewinnt seinen Wahlkreis Seine-Saint-Denis-1 souverän mit 65,3 Prozent.
Sandrine Rousseau, führende Abgeordnete der Grünen und Aktivistin für Opfer sexueller Übergriffe, hat ihren Wahlkreis Paris-9 mit 52,1 Prozent knapp gewonnen.
Fabien Roussel, Chef der Kommunisten, scheidet aus dem Parlament aus. Sein Wahlkreis Nord-20 fällt an Guillaume Florquin (RN) mit 50,3 Prozent.
Der bisher älteste Abgeordnete José Gonzalez (81) aus Oran im damaligen Französisch-Algerien* hat für den RN die direkte Wiederwahl im Wahlkreis Bouches-du-Rhône-10 mit 48,9 Prozent knapp verpasst. Für die zweite Runde qualifiziert sind die Kandidaten von Ensemble (21,5) und LFI (20,8).
Der bisher jüngste Abgeordnete Tematai Le Gayic (23) von der Pazifikinsel Tahiti, Aktivist der dortigen Unabhängigkeitsbewegung, vertrat seit 2022 den Wahlkreis Polynesien-1 für das Linksbündnis Nupes. Er verlor gegen Moerani Frebault, der den Wahlkreis mit 53,8 Prozent für eine lokale Partei holt.
[Anm. d. Red.: In einer vorherigen Version des Textes hieß es „aus Oran in Französisch-Algerien“. Um Missverständnisse zu vermeiden haben wir die Formulierung angepasst.]
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Israel und Hisbollah
Waffenruhe tritt in Kraft
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich