piwik no script img

Parlamentswahl in AustralienHistorisches Patt

Zum ersten Mal seit 70 Jahren erreicht keine der beiden großen Parteien eine absolute Mehrheit. Die Grünen legen zu. Die Opposition feiert schon ihren Sieg.

Einer der beiden Nicht-Gewinner: Oppositionsführer Tony Abbott. Bild: dpa

CANBERRA taz | Die Parlamentswahl vom Samstag war eine Zitterpartie, wie sie Australien seit Generationen nicht erlebt hat. Nach der Schließung der Wahllokale um 18 Uhr Ortszeit pendelte die Aussicht auf einen Sieg fast minütlich zwischen der regierenden Labor-Partei unter Premierministerin Julia Gillard (48) und der liberal-konservativen Oppositionskoalition unter Tony Abbott (52). Schließlich zeichnete sich ab, dass keine der beiden Großparteien eine absolute Mehrheit von 76 Sitzen im 150 Sitze zählenden Repräsentantenhaus erreichen würde. Dagegen schaffte es ein Vertreter der Grünen Partei ins Unterhaus sowie drei, eventuell sogar vier Unabhängige.

Kurz vor Mitternacht räumten Gillard und Abbott ein, eine Regierungsbildung werde erst gegen Ende nächster Woche möglich werden. Bis dann sind die per Post abgegebenen Stimmen ausgezählt. Experten glauben allerdings nicht, dass ein "Patt verhindert werden kann" - das erste seit 70 Jahren. Am Sonntagabend lag die Zahl der von Labor gewonnenen Sitze bei 70, die der liberal-nationalen Koalition bei 71.

Für die Labor-Partei ist das Ergebnis eine Niederlage von gigantischem Ausmaß. Labor war 2007 nach elf Jahren konservativer Regierung unter Premierminister John Howard in einem erdrutschartigen Sieg an die Macht gekommen. Noch vor acht Monaten galt die Position der Regierung unter Premierminister Kevin Rudd mit einer Mehrheit von 17 Sitzen als unanfechtbar. Dann scheiterte Rudd mit einem Gesetzesvorschlag zur Einführung eines Handelssystems mit Schadstoffemissionen im Parlament am Widerstand der Konservativen. In den Augen der Wähler hatte er damit das Kernversprechen von 2007 gebrochen, scharfe Maßnahmen gegen den Klimawandel einzuführen, der "größten moralischen Herausforderung unserer Generation". Anfang Jahr verärgerte Rudd die mächtige Bergbauindustrie, als er eine Steuer auf hohe Gewinne von Rohstoffunternehmen in Aussicht stellte. Nach einer aggressiven Kampagne der Industrie gegen Rudd fürchtete die Labor-Partei den Machtverlust und ersetzte Rudd durch seine Stellvertreterin Julia Gillard. Wenig später rief die ehemalige Gewerkschaftsanwältin Wahlen aus.

Noch in der Nacht auf Sonntag begannen die Großparteien, unter den Unabhängigen Verbündete zu suchen. Kann sich eine Seite die Unterstützung dieser Parlamentarier sichern, wird sie eine Regierung bilden können. Für wen sich die Unabhängigen entscheiden werden, ist völlig offen. Bei den drei bestätigten Parlamentariern handelt es sich zwar um ehemalige Abgeordnete der Nationalen Partei, dem Koalitionspartner der Liberalen. Sie hatten aber aus Frustration über die Richtung der Partei den Weg in die Unabhängigkeit gewählt. Sie dürften von den Großparteien in erster Linie Konzessionen für die ländlichen Gebiete fordern, die sie vertreten.

Die wirkliche Gewinnerin der Wahlen war die Grüne Partei, die neben dem neuen Sitz im Unterhaus ihre Position im Senat von bisher fünf auf neun Sitze ausbauen konnte. Damit wird sie künftig im Oberhaus die Politik in Australien maßgeblich mitbestimmen. Wie Grünen-Chef Bob Brown am Sonntag nach Gesprächen mit Julia Gillard meinte, sei seine Partei aber "nicht in einer Position, Forderungen zu stellen". Er sei einzig daran interessiert, das Bestmögliche für das Land zu erreichen. Die Konservativen feierten das Ergebnis als überwältigenden Sieg und meinten am Sonntag, Labor habe "kein Recht auf Regierungsbildung". Tony Abbott sei "ein Held", weil er die Opposition innerhalb weniger Monate "von den Toten zurückgeholt" habe, so Expremier John Howard.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • R
    Royalist

    Rudd scheiterte mit seinem Gesetzesvorschlag zur Einführung eines Handelssystems mit Schadstoffemissionen im Parlament zwar am Widerstand der Konservativen, aber auch den Grünen war es egal, denn sie wollten lieber kein ETS als Rudds.

     

    Ob die Grünen in der neuen Legislaturperiode wie ein Juniorpartner mit einem der beiden Blöcke verhandeln oder weiterhin auf Fundamentalopposition schalten, wird über ihre Zukunft entscheiden.

     

    Wenig gebracht hat Julia Gillards Vorschlag von letzter Woche, Australien zur Republik zu machen. Im Referendum von 1999 hatte ein Drittel der Labor-Wähler gegen eine Republik gestimmt. Vielleicht hat sie mit ihrer Ankündigung die entscheidenden Wählerstimmen verloren. Who knows?

  • F
    Frank

    Zuerst habe ich eine Stunde im Internet gesucht, bevor ich die Idee hatte, mal wieder bei der TAZ auf den Internetseiten zu gucken.

    Hier habe ich dann gefunden, was ich gesucht habe, nämlich mehr Hintergründe, insbesondere wohin die Unabhängigen bei der Wahl tendieren.