Pariser Terrornacht 2015: Die Suche nach dem Sohn

Wie der taz-Olympiareporter Augenzeuge des islamistischen Terrors vor neun Jahren wurde und warum ihn das lange Zeit nicht losgelassen hat.

Verwirrung im Stade de France: Zuschauer im Innenraum in der Terrornacht des 14. November 2015 Foto: sportfotodienst/imago

Plötzlich sind sie wieder da, die Bilder vom November 2015. Als ich das Stade de France verlasse und Richtung Vorortbahn gehe, bleibt mein Blick haften an einer kleinen Brüstung, kurz bevor es in den Bahnhof geht. Eine dreckige Ecke. Ich kenne sie. Dort hatte ich an jenem Tag, an dem Paris von den Massenmördern des sogenannten Islamischen Staats terrorisiert worden ist, Schutz gesucht. Kinder kauerten dort nach dem Länderspiel der französischen Nationalmannschaft gegen Deutschland am Boden.

Ihr Betreuer stand mit ausgebreiteten Armen vor den Zwergen, als hätte er eiserne Flügel, mit denen er die Kinder beschützen könnte. Hinter der Gruppe hatte sich eine Gruppe von Polizisten in Stellung gebracht – Gewehre im Anschlag, merkwürdig alte Waffen, die aussahen wie Requisiten für einen Film über den Ersten Weltkrieg. Es ist eines der Bilder von jenem Tag, die sich eingebrannt haben in mein Gedächtnis. Wegen dieser Eindrücke war ich lange nicht in der Lage, ein Fußballstadion zu betreten.

Als ich damals das Stadion, das drei Selbstmordattentäter in die Luft jagen wollten, verlassen habe, war das ganze Ausmaß des Verbrechens noch lange nicht bekannt. 130 Menschen wurden von den Terroristen an diesem Abend getötet. 90 davon im Musikclub Bataclan, keine 400 Meter weg von dem Hotel, in das ich mich eingebucht hatte. Mein Sohn, damals 19, lebte zu jener Zeit in Paris. Mit ihm, der sich eine Karte für das Spiel besorgt hatte, war ich nach Abpfiff vor dem Stadion verabredet. Falls wir uns verlieren sollten, hatten wir vereinbart, uns in der Nähe meines Hotels zu treffen.

Keine Fehlzündung

Plötzlich knallte es. Wahrscheinlich eine Fehlzündung bei einem Moped. Eine Panik brach aus. Ich fand mich plötzlich im Inneren des Stadions wieder, ohne dass ich hätte sagen können, wie ich da hingekommen war. Ich versuchte, meinen Sohn zu erreichen. Nichts. Ich wollte ihm sagen, dass er auf keinen Fall zu meinem Hotel kommen soll. Meldungen geisterten durchs Netz, nach denen genau da die Terroristen immer noch unterwegs seien und wahllos um sich schossen. Immer wieder versuchte ich, meinen Sohn zu erreichen. Keine Rückmeldung.

Ich hatte mich auf den Weg in mein Hotel gemacht. Am Gare du Nord wurde ich durch ein Spalier Soldaten geführt. Vor dem Bahnhof angekommen, hörte ich nichts als Schreie und Sirenen. Als ich ankam, nahm mich der ältere Herr, der Nachtwache schob, in den Arm. Er war froh, dass sein Gast wieder da war. Gemeinsam schauten wir uns im Fernsehen an, was geschehen war.

Immer noch konnte ich meinen Sohn nicht erreichen. Dann endlich der erlösende Anruf. Sein Akku war leer, sagte er, nachdem er vom Apparat der Familie angerufen hat, bei der er damals wohnte. Während ich dies schreibe, werden meine Augen feucht. Morgen muss ich wieder ins Stade de France. Leicht wird mir es nicht fallen.

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