Para-Kanutin war Fahnenträgerin: Karriere i-Tüpfelchen aufgesetzt
Edina Müller aus Hamburg hat bei den Paralympics 2024 Bronze geholt. Sie wünscht sich eine bessere Vereinbarkeit von Leistungssport und Elternrolle.
Hamburg taz | Es war nicht immer nur leicht in Paris bei den Paralympics. So schön die Teilnahme an den Olympischen Spielen für Menschen mit körperlicher Behinderung war – für die querschnittsgelähmte Hamburgerin Edina Müller gab es abseits ihres Sports Para-Kanu gefühlt noch eine weitere Disziplin. „Handlungsschnelligkeit bei Terminherausforderungen“ könnte diese staubtrocken in Funktionärssprache heißen oder krass hipp: „Ultimate Challenge Spontaneous Rescheduling“.
Das fing schon damit an, dass der 41 Jahre alten Sporttherapeutin vor der Eröffnungsfeier eine besondere Ehre zuteil wurde. Sie wurde an der Seite von Triathlet Martin Schulz zur deutschen Fahnenträgerin ernannt. Das sei, so sagte sie, das i-Tüpfelchen auf ihrer Karriere.
Diese hat so einige Höhepunkte zu bieten. Müller hatte im Rollstuhlbasketball fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt, bevor sie 2014 zum Para-Kanu wechselte. Dort hielt der Medaillenregen an: Gold bei den Paralympics 2021 in Tokio, Silber zuvor bei jenen 2016 in Rio, dazu gewonnene Welt- und Europameisterschafen. Bei den Paralympics in Paris kam nun am noch eine Bronze-Medaille hinzu.
Dieses i-Tüpfelchen, also das Tragen der Fahne, brachte aber das erste Mal die Planungen der Familie durcheinander. Eine frühere Anreise nach Paris war notwendig. Müllers Partner Niko Claasen musste die beruflichen Aufgaben so gestalten, dass sie im Einklang mit der Betreuung des fünfjährigen Sohnes Liam standen.
Leistungssport und die Elternrolle schwer vereinbar
Grundsätzlich musste Edina Müller in Paris immer wieder erfahren, dass es alles andere als einfach ist, Leistungssport und die Elternrolle zu verbinden. Sie wünscht sich deshalb einen Wandel.
Weil ihr Partner während der Paralympics von Paris aus im Homeoffice arbeiten musste, war das Paar auf die Kinderbetreuung angewiesen. Nur: Als einmal eine wichtige Trainingseinheit für Müller anstand, gab es diese Betreuung für Liam nicht. Die gebürtige Brühlerin, die am BG Klinikum in Hamburg arbeitet, musste sich etwas einfallen lassen.
„Unser Physiotherapeut musste mit ihm rausgehen und auf dem Parkplatz zwei Stunden warten, bis ich fertig war. Zum Glück war gutes Wetter, sodass die beiden sich unter einen Schirm setzen konnten“, berichtete Müller dem Sportinformationsdienst SID über die für sie „unbefriedigende Situation“.
Auch bei anderen Wettkämpfen zuvor habe sie immer wieder vor der Herausforderung gestanden, ihren Leistungssport mit dem Familienleben zu verbinden. Viel geändert hat sich in den vergangenen Jahren aber nicht. „Es passiert viel im Hintergrund, und es werden auch Gespräche geführt. Aber es kommt nicht so viel bei den betroffenen Müttern und Vätern an“, sagt sie.
Es geht in die richtige Richtung
Als einen Schritt in die richtige Richtung bezeichnet Müller, dass es im paralympischen Dorf einen Bereich für Eltern und Kinder gegeben hat. Der konnte für die Dauer von einer Stunde gebucht werden. „Das ist ein Anfang. Es gibt der Sache irgendwie Aufmerksamkeit. Aber es ist noch nicht das, wohin es gehen sollte“, erklärt Müller.
Vorbild seien hier die USA, wo es ganz andere Möglichkeiten gebe. Dort gebe es bei den großen Veranstaltungen eine Kinderbetreuung und Räume, in denen Mütter stillen und wickeln könnten, so Müller. Vor dem Hintergrund gibt es die Chance auf einen großen Entwicklungssprung bei den nächsten Paralympics – die finden 2028 in Los Angeles statt. Ob Edina Müller dann noch als Athletin dabei sein wird, wird sich zeigen.
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