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Papst Franziskus und die Kirche„Ich bin ein Sünder“

Die Signale des Papstes sind nicht nur mediale Koketterie. Seine Haltung zur Sexualmoral ist eine Kampfansage an die Konservativen.

Ein frischer Wind weht in der katholischen Kirche: Papst Franziskus bricht mit der konservativen Moral Bild: dpa

Es klingelt, und der Papst ist dran. Kann passieren. Bestätigt ist jedenfalls, dass Franziskus im September mit einer Italienerin telefoniert hat, deren Mann sie zu einer Abtreibung nötigen wollte. Die Frau hatte sich scheiden lassen, fürchtete deshalb die Exkommunikation und teilte das dem Papst in einem Brief mit.

Der griff zum Telefon, beschwichtigte die Frau und bot an, das Kind persönlich zu taufen, wenn es zur Welt komme. Er bemühte sich, einem Vergewaltigungsopfer in Argentinien Trost zu spenden und sprach einem Italiener Mut zu, der wegen persönlicher Schicksalsschläge den Glauben verloren hatte: „Hallo, Michele? Hier ist Papst Franziskus!“

Beim Establishment im Vatikan sind nicht nur die Anrufe des Papstes bei Gläubigen gefürchtet. Sein radikal neuer Stil stellt vor allem seine konservativen Mitarbeiter weltweit vor eine ganze Reihe von Problemen. Er trägt kein Kreuz aus Gold und rote Pantöffelchen, sondern ein Kreuz aus Blech und Straßenschuhe.

Er hat seine Wohnung im Apostolischen Palast nicht bezogen und wohnt weiterhin im Gästehaus Santa Marta, wo er auch seine Rechnungen selbst begleicht. Zum Friedensgebet für Syrien ließ er sich nicht in einer gepanzerten Limousine und unter Polizeischutz chauffieren – sondern setzte sich alleine hinter das Steuer eines weißen Renault R4, den er zuvor geschenkt bekommen hatte.

Diese zur Schau gestellte Bescheidenheit ist mehr als nur kokett. Die Gesten mögen medial inszeniert sein, ihre Wirkung ist darum aber nicht weniger politisch – auch im Inneren der Kirche, wo Bischöfe oft genug mit dem Gehalt von Staatssekretären gesegnet sind und den Lebensstil von Vorstandsvorsitzenden pflegen.

In der Außenwirkung gewinnt er mit seinem Beispiel zurück, woran es der Kirche gebricht – Integrität, Glaubwürdigkeit und damit moralische Autorität. Deshalb sind die Signale des Franziskus auch alles andere als symbolpolitische Petitessen. Das Aussenden von bestenfalls frohen Botschaften ist das eigentliche Kerngeschäft einer Kirche, die sich spätestens seit dem Ersten Vatikanischen Konzil nur noch Rückzugsgefechte mit der Moderne liefert.

Neuer Umgang mit gesellschaftlichen Themen

Damals, 1870, erklärte der noch unter Johannes Paul II. selig gesprochene Pius IX. die Unfehlbarkeit des Papstes bei der Verkündung eines Dogmas. Franziskus hingegen erklärte in seinem jetzt schon epochalen Interview für die Zeitschrift Civiltà Cattolica: „Ich bin ein Sünder. Das ist die richtigste Definition. Und es ist keine Redensart (…). Ich bin ein Sünder.“

Was den dogmatischen und seit Jahrzehnten fast neurotischen Umgang der Kirche mit Sexualität angeht, sagte der Papst im gleichen Gespräch: „Wir können uns nicht nur mit der Frage um die Abtreibung befassen, mit homosexuellen Ehen, mit den Verhütungsmethoden. Das geht nicht.“

Als „Sohn der Kirche“ teile er deren Auffassung über die göttliche Schöpfungsordnung. Hier nimmt er nichts zurück. Es dürfe aber „keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben“, so Franziskus. „Wenn eine homosexuelle Person guten Willen hat und Gott sucht, dann bin ich keiner, der sie verurteilt.“ Und das ist neu.

Im gleichen Gespräch erinnerte er an das Zweite Vatikanische Konzil, mit dem sich die Kirche in den Sechzigerjahren vorsichtig aufgeklärten Standpunkten öffnete. Der damalige Papst Johannes XXIII. habe auch nach dem Grundsatz gehandelt: „Alles sehen, viel übersehen, wenig korrigieren.“

Franziskus ist der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri. Man könnte, was der Papst gerade vollzieht, eine jesuitische Wende nennen. In Anlehnung an seinen Ordensvater Ignatius von Loyola sieht er es als seine Aufgabe, „die kleinen Dinge wertzuschätzen innerhalb der großen Horizonte“. Als zentralen Pfeiler seiner Spiritualität – und seines Amtes – nannte er „die Unterscheidung“, also die Fähigkeit, zentrale von randständigen Fragen zu trennen.

Daher sein Beharren darauf, Fragen der Sexualmoral keine allzu große Bedeutung beizumessen: „Die Lehren der Kirche – dogmatische wie moralische – sind nicht alle gleichwertig (…). Eine missionarische Verkündigung konzentriert sich auf das Wesentliche, auf das Nötige.“

Ein drittes Vatikanisches Konzil im Gespräch

Mit der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, die von seinen Vorgängern wegen ihrer Nähe zum Sozialismus erbittert bekämpft wurde, scheint er seinen Frieden gemacht zu haben – mit Gustavo Gutiérrez, einem ihrer Begründer, feierte er bereits gemeinsam Messe. Es könnte vorbei sein mit einem Verständnis der Kirche als prunkvoller Festung, die den „Schatz des Glaubens“ bewahrt und verteidigt – und der Anfang einer Kirche als „Feldlazarett nach einer Schlacht“, wobei die Schlacht noch tobt.

Denn was dem konservativen Klerus zu schnell geht, geht den Vertretern einer gesellschaftlichen Moderne zu langsam. Rufe nach einer Generalreform, einem Dritten Vatikanischen Konzil werden laut und Forderungen danach, Franziskus möge als absolutistischer Wahlmonarch endlich Progressives durchsetzen und heiße Eisen wie die Rolle der Frauen in der Kirche oder den Zölibat anzupacken.

Das alles erhöht allerdings einen Erwartungsdruck, den der Papst selbst aufgebaut hat. Belässt Franziskus alles beim Alten, wird das mächtige Schiff eines Tages auf Grund laufen. Reißt er das Ruder zu schnell herum, droht es zu zerbrechen. Im Grunde handelt der Mann so behutsam und besonnen wie der Aufsichtsratsvorsitzende eines metaphysischen Unternehmens, dem, 1.700 Jahre nach dem Mailänder Edikt, allmählich die Geschäftsgrundlage verloren geht.

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14 Kommentare

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  • Welches Land, welches politische System, welche Ideologie, welche Kulturepoche hat keine großen Verbrechen begangen? Wurden während der französischen Revolution etwa nicht hunderttausende im Namen der gerechtigkeit und im Namen der Menschenrechte abgeschlachtet? Ich glaube nicht an Ideologien, an Politik oder an sonstige Dinge, weil am Ende immer Menschen dahinter stecken und die lösen Probleme oftmals mit Gewalt. Der Mensch, nicht Systeme, ist die eigentliche Gefahr. Insofern mache ich mir gar keine Illusionen über gute, gerechte und liberale Politik.

  • R
    Ruhender

    Ich weiß nicht, warum sich Menschen überhaupt darum scheren, was die Kirche über ihre Sexualität sagt. Der Papst und die Pfaffen können ja ihre Meinung haben. Das wird mich nicht davon abhalten, mit meinen Penis zu machen, was ich will. Schließlich weiß ich auch nicht, was der Papst mit dem seinen macht und ich will es auch gar nicht wissen.

  • T
    Tipsy

    Ich weiß wirklich nicht was deutsche Medien da lesen.

     

    Es ist definitiv, eine Absage an weiteren Diskussionen über Homosexualität, Abetreibung oder sonstige Weltmittpunktsthemen deutscher Medien.

     

    Zitat aus dem KKK:

     

     

    "

    2358 Eine nicht geringe Anzahl von Männern und Frauen sind homosexuell veranlagt. Sie haben diese Veranlagung nicht selbst gewählt; für die meisten von ihnen stellt sie eine Prüfung dar. Ihnen ist mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen. Man hüte sich, sie in irgend einer Weise ungerecht zurückzusetzen. Auch diese Menschen sind berufen, in ihrem Leben den Willen Gottes zu erfüllen und, wenn sie Christen sind, die Schwierigkeiten, die ihnen aus ihrer Veranlagung erwachsen können, mit dem Kreuzesopfer des Herrn zu vereinen."

     

    Ich sehe also nicht, wo hier die weltbewegende Neuerung ist.

  • S
    Sebastian

    Es sollte mal überlegt wer die Fragen zur Sexualmoral und Abtreibung in den Mittelpunkt stellt. Das ist nicht immer die Kirche, das sind meist die Gegner, die die Kirche auf diese Punkte reduzieren. Wenn die Kirche auf alle "Forderungen" der kleinen Mitteleuropäischen Menge zu diesen Punkten eingehen würde, ginge die Kirche in der Masse unter. Als Gemeinschaft braucht man auch ein Alleinstellungsmerkmal um sich von der Masse abheben würde. Ein Religionsgemeinschaft kann sich nicht aller 10 Jahre dem Zeitgeist anpassen, da wäre sie nicht glaubwürdig. Welchem Zeitgeist soll sie sich anpassen, dem europäischen, aus nrw oder dem spanischen? Ein letzter Gedanke sei noch gegeben. Warum hinterfragt niemand die Sexualmoral des Islam oder des Judentums. Die Abtreibung wird in fast allen Religionen nicht akzeptiert.

  • B
    _bla_

    "wo Bischöfe oft genug mit dem Gehalt von Staatssekretären gesegnet sind und den Lebensstil von Vorstandsvorsitzenden pflegen."

     

    Und dafür hat die TAZ bestimmt einen Beleg oder? Der Limburger Bischof stolpert gerade über einen Flug erster Klasse und ein Amtssitz für geschätzte 15-20 Millionen. Die Vorstandsvorsitzenden großer Unternehmen können über derartiges nur lachen. Geflogen wird dort selbstverständlich mit einem Privatjet und für 15-20 Mio. gibt es nicht mal das Ferienhaus.

  • Der Papst will die Kirche für Schwule öffnen - das ist praktisch weit bedeutsamer, als ein Schwadronieren über das Unfehlbarkeitsdogma.

     

    DIESER Mann sollte einst den Friedensnobelpreis bekommen.

     

    Die Zeit war reif für diesen Papst.

    • A
      Atmender
      @Viccy:

      Nachdem in den vergangenen Jahren u.a. die Atomlobby IAEO, der Kriegsherr Barrack Obama zuletzt die EU den Friedensnobelpreis erhalten haben, kommt es jetzt auf einen Papst, der nichts gesagt hat, was nicht selbstverständlich sein sollte, auch nicht mehr an. Man sollte ihn zugleich noch heiligsprechen und seine direkte Abstammung von der Familie Jesu Christi genetisch nachweisen.

      • @Atmender:

        Homosexualität in der katholischen Kirche selbstverständlich?! Hab ich nicht mitbekommen bisher.

  • WM
    Wie modern

    Die Kirche ist der Hüter des Baal. Die dunkle Geschichte der Kirche zeigt es. Kann auch jeder in der Bibel erkennen. Die Kirche macht immer das Gegenteil von dem was da drin gefordert wird. Schon Propheten wiesen darauf hin: sie kleiden sich in Violett und Purpur. Niemand auf Erden sollst du Vater nennen, nur einer ist der Vater, der im Himmel. Häuser aus Stein (Kirchen) sind unnötig. Vermittler (Priester) zwischen Gott und Mensch sind unnötig. Jeder Mensch ist selbst mit den Fähigkeiten ausgestattet. Jesus hat sich nie als Gott bezeichnet, nur seinen Vater, womit einfach Gott gemeint ist. Das Neue Testament ist eine Auswahl der Kirche, es gab viel mehr Texte, die alle erst ab 1 Jhd. nach Chr. entstanden. Die Kirche fälschte noch Einiges hinein. Abweichler wurden verfolgt, und diffamiert: Essener, koptische Christen usw. Die Kirche erfand Märchen, Petrus habe ihr die Welt geschenkt "Konstantinische Schenkung". Die Kirche behauptete, die Erde sei eine Scheibe - wo doch Griechen den Erdumfang in der Antike bereits sehr genau berechnet hatten. Ablassbriefe, Inquisition, Kreuzzüge, Unterstützung Francos, des III. Reiches, was denn noch? Aber jetzt, in der Antike lief jeder Homosexuelle straffrei rum. Selbst Caesar vergnügte sich mit Jünglingen (belegt). Aber jetzt im 21. Jahrhundert entdeckt die Taz den Papst ob seiner Gnade. Ha.

  • G
    Götterpups

    Und wenn der Papst einen Pups lässt, dann ist die Welt in Aufruhr. Schauen wir uns mal das Manöver an (zuerst ein Zeitartikel):

    "Eine Organisation der Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen (LGBTT) will den Besuch des lateinamerikanischen Kirchenoberhauptes gleich zu mehreren spektakulären Aktionen gegen die Sexualmoral der katholischen Kirche nutzen.

    Denn Papst Franziskus gilt nicht als Vertreter von Schwulenrechten in der Kirche."

    http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-07/brasilien-homosexualitaet-kirche

    Brasilien ist ein durch und durch katholisches Land. Der Papst steht also unter Druck und will es sich bei den Schäfchen nicht verderben.

    Und was war mit der Präsidentin Kirchner?:

    "Kirchner und Erzbischof Bergoglio waren in Vergangenheit immer wieder aneinandergeraten. Der Grund: So sozial sich der neue Papst mitunter auch gibt, in zentralen Fragen vertritt er vehement die gängige Kirchenmeinung. Er ist gegen Verhütung. Er ist gegen Abtreibung. Er ist gegen Homosexuelle."

    http://www.blick.ch/news/ausland/kirchner-mag-franziskus-nicht-id2237718.html

    Und die Militärjunta-Geschichte, oho, da gibts aber ganz, ganz viel Büchlein dazu.

  • S
    Studierend

    Na, also. Genau das, was die kapitalistische Klassengesellschaft in Zeiten der sich immer weiter verschärfenden Systemkrise, der immer offener zu Tage tretenden eigengesetzlichen Widersprüche zur fortgesetzten Vernebelung der Massen und Aufrechterhaltung der Ordnung braucht.

  • R
    reblek

    Es mutet verrückt an, dass ausgerechnet aus dem Vatikan und als Teheran ermutigende Worte zu hören sind.

    "Ein dritter Vatikanischer Konzil..." - Wie wäre es mit "Ein drittes Vatikanische Konzil"? Aber das ist der Abteilung Überschriften wahrscheinlich zu korrekt. Steht schließlich so im Text, kann also nicht richtig sein.

    Franziskus möge ... den Zölibat anzupacken.! - "anpacken" hätte gereicht.

  • D
    D.J.

    Wieder einmal die üblichen Missverständnisse - als ob der Papst irgendwas Revolutionäres gesagt hätte. Darum ein paar Bemerkungen von einem ungläubigen ehem. Theologiestudenten:

    Das Unfehlbarkeitsdogma bezieht sich ausschließlich auf Lehrentscheidungen mit Berufung auf die Unfehlbarkeit (Entscheidungen ex cathedra). Geschah seit 1870 genau einmal (1950).

    Dass der Papst wie jeder Mensch sündhaft sei, ist eine nie bestrittene Selbstverständlichkeit. Das hat mit dem Unfehlbarkeitsdogma nichts, aber auch gar nichts zu tun.

    Die so genannte "Heiligkeit" des Papstes, die sich in solch seltsamen Formulierungen wie "Heiliger Vater" äußerst, ist als Amtsheiligkeit gemeint (das Amtshandeln des Papstes betreffend, z.B. wenn er den päpstlichen Segen spendet, also die göttliche Gnade vermittle), nicht als persönliche (nicht sehr viele Päpste seit der Antike gelten als persönlich heilig). Darum übrigens ist es übrigens theologisch äußerst fragwürdig, dass Ratzinger nach wie vor mit "Hl. Vater" angesprochen wird.

    • K
      Kandelaber
      @D.J.:

      Glaube, es geht hier weniger um das etablierte Dogma, als darum, welchen Aspekt desselben der jeweilige Papst in den Vordergrund stellt.

       

      Hierzulande mag so einiges fast selbstverständlich sein, aber die Mehrzahl der ernstzunehmenden Katholiken weltweit, etwa in Lateinamerika oder Italien, sieht den Papst doch weniger als ersten Sekretär der Institution Kirche, sondern als Stellvertreter Christi.

       

      Für uns mag da vieles kokett erscheinen, oder sogar aufdringlich, aber wir sind im Bezug auf die Weltkirche nur unbedeutende Provinz.