Pandemie in Ostsachsen um Görlitz: Pflegekrise trifft Coronakrise
In Ostsachsen explodiert die Zahl der Coronainfizierten auf Intensivstationen. Pflegekräfte sind am Limit, manche arbeiten trotz eigener Krankheit weiter.
Gleichzeitig herrscht in dem östlichsten Landkreis Deutschlands nicht erst seit der Pandemie ein gravierender Pflegenotstand. Mit schwerwiegenden Folgen: In Görlitz arbeiten Coronapositive Pflegekräfte derzeit einfach weiter.
Görlitz, am Dienstagvormittag. Im Landratsamt haben sich Landrat Bernd Lange (CDU), die Sozialdezernentin des Landkreises Martina Weber und der Leiter des Kommunalamtes zusammengefunden. Die Verantwortlichen geben sich führungsstark, wollen zeigen, dass sie die Lage unter Kontrolle haben. Man spricht über die Allgemeinverfügung, darüber, dass die Polizei mehr kontrollieren müsse. Dass anders als zuvor auch Bußgelder strenger verhängt werden müssten.
Zu diesem Zeitpunkt liegt die 7-Tages-Inzidenz laut Robert-Koch-Institut im östsächsischen Landkreis an der polnischen Grenze bei 443,57. In der Woche zuvor waren es noch 400,8. Der Landkreis Görlitz gehört neben Bautzen, dem Erzgebirgskreis und dem Kreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge zu den aktuellen Corona-Hotspots. In keinem anderen Bundesland breitet sich das Virus derzeit so rasant aus wie in Sachsen.
Lässt sich die Lage noch kontrollieren?
Fünfzehn Pflegeheime stehen im Landkreis derzeit in Quarantäne, 417 Bewohner:innen und Mitarbeiter:innen sind davon betroffen. Dennoch sieht die neue Allgemeinverfügung kein explizites Besuchsverbot vor – diese Entscheidungen obliegt den Einrichtungen selbst. Die Krankenhäuser stellen ihre Notdienste ein, weil sie überlastet sind. Das Klinikum Görlitz hat mehr Betten bekommen, dennoch liegt die Auslastung der Intensivstation noch immer bei 96%. Einige Intensivpatient:innen wurden in den vergangenen Tagen in Krankenhäuser nach Dresden verlegt – manche Plätze sind durch Todesfälle frei geworden, so sagt es die Sozialdezernentin auf der Pressekonferenz am Dienstag.
Trotz dieser Krisenlage beteuern die politisch Verantwortlichen, dass es keinen Kontakt zwischen infizierten Pflegekräften und nicht-infizierten Patient:innen gebe. Im Juli hatte das RKI eine Empfehlung herausgegeben, in der es hieß, „in absoluten Ausnahmefällen“ sei „die Versorgung NUR von Covid-19-Patientinnen und Patienten“ durch SARS-CoV-2-positives Personal „denkbar“. Diese Ausnahme könne man garantieren, sagt Weber.
Doch lässt sich die Lage überhaupt kontrollieren? Nein, sagt Mirko Schultze aus Görlitz. Der Landtagsabgeordnete und Sprecher der Linksfraktion für Feuerwehr, Rettungswesen, Bundeswehr und Katastrophenschutz ist „fest davon überzeugt“, dass Coronapositiv getestetes Personal mit Personen in Kontakt kommt, die nicht infiziert sind.
Zwar arbeiten die infizierten Pflegekräfte in speziellen Schutzanzügen, laut Schulze könne angesichts der Arbeitsbelastung und dem Notstand aber nicht garantiert werden, dass es zu keinem Kontakt komme. „Es muss eine Pflegekraft am Bett stehen, wenn jemand an einer Beatmungsmaschine hängt.“ Dieses Risiko müsse man hier eingehen, um die Versorgung der Coronakranken zu gewährleisten.
Will man versuchen, mit Pflegekräften aus Görlitz zu sprechen, so findet man sich in einer Sackgasse wieder. Viele Leute haben Angst, sich zu äußern. Andere sagen, sie wollen nicht mehr über das Thema reden, sondern, dass sich endlich etwas ändere. Von den Stationen im Klinikum heißt es, man müsse sich an die Pressestelle wenden. Die Sprecherin des Klinikums Görlitz versichert, dass dort keine Mitarbeiter:innen eingesetzt werden, die mit Corona infiziert sind.
Eine Pflegerin aus dem nahegelegenen Bautzen sagt jedoch, angesichts des Pflegenotstandes sei nicht möglich, die RKI-Empfehlung zu garantieren. Man müsse ja weiterarbeiten. Denn: „Sobald einer von uns krank wird, bricht das ganze System zusammen.“
Seit Dienstag ist nun in Görlitz und Bautzen eine neue Allgemeinverfügung in Kraft, die unter anderem Ausgangsbeschränkungen beinhaltet. Am Mittwochmorgen sagte Ministerpräsident Kretschmer, dass auch landesweit eine Verschärfung der geltenden Coronaregeln in Betracht komme, sollten die Zahlen nicht sinken. Dann müssten auch Kindertagesstätten, Schulen und viele Geschäfte komplett schließen Doch es sind späte Maßnahmen, Ankündigungen und Drohungen. Man hat die Pandemie unterschätzt.
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