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Palästinensisches-Israelisches TheaterprojektKünstler in Uniform

Einst bekämpften sie sich mit Waffen. Seit fünf Jahren spielen die palästinensischen und israelischen Mitglieder der Combatants for Peace gemeinsam Theater: gegen die Besatzungspolitik Israels.

Nieder mit den Waffen: Israelischer Panzer im Abendrot. Bild: rts

Nach einer halben Stunde verliert der diensthabende Offizier die Nerven. "Schluss mit dem Theater!", brüllt er und stürzt mit wenigen, weit ausholenden Schritten auf die Bühne. "Zieh das Militärhemd aus", befiehlt er barsch, das Gesicht bedrohlich nahe vor dem Munirs, der mit zitternden Händen sein olivgrünes Oberteil aufknöpft. Munir ist Palästinenser aus dem Westjordanland und Schauspieler in der Theatergruppe der Combatants for Peace - der Kämpfer für den Frieden. Der Offizier der israelischen Armee dagegen ist echt. Dass Munir eine israelische Uniform trägt, verstoße gegen das Gesetz, sagt er. Sein Wort zählt. Ein kurzer Tumult, ein hitziges Wortgefecht, dann dürfen die Schauspieler fortfahren - ohne Uniform. Doch wer in dem Stück Soldat, wer Palästinenser ist, wird auch ohne klar.

Alle Mitglieder der israelisch-palästinensischen Friedensinitiative Combatans for Peace kämpften früher im Nahostkonflikt - mit Waffen, gegeneinander, auf Leben und Tod. Die Israelis als Soldaten in der Armee, die Palästinenser als Attentäter oder militante Kämpfer der palästinensischen Parteien. Mittlerweile haben sie die Waffen niedergelegt und begonnen, einander zu vertrauen - kein leichter Prozess. "Wir dachten anfangs, die Palästinenser seien von der Hamas, und sie dachten von uns, wir seien vom israelischen Inlandsgeheimdienst", erinnert sich der Israeli Chen Alon, Mitbegründer der NGO. Inspiriert durch die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission nach Ende des Apartheidregimes, redeten die Palästinenser und Israelis bei den Treffen viel miteinander. "Indem wir uns von unseren gegenseitigen Erfahrungen mit der Gewalt erzählten, haben wir Vertrauen geschaffen und eine gemeinsame Basis gefunden", erklärt Alon. Nun sind die Mitglieder Partner und kämpfen gemeinsam gegen die israelische Besatzungspolitik. Erst wenn Israel die Gebiete, die es im Sechstagekrieg von 1967 erobert hat, zurückgibt, sagen sie, kann es Frieden zwischen Israelis und Palästinensern geben. An diesem Nachmittag demonstrieren die Combatants for Peace gegen die Sperrung einer Straße, die einst die palästinensischen Orte Shuafat und Tul Karem verband. Nur israelische Siedler, die ihren vom Militär bewachten Außenposten auf einem Hügel dazwischen errichtet haben, dürfen die kurze Teerstraße befahren. Palästinenser müssen einen Umweg von 25 Kilometern machen.

Machtstrukturen auflösen

"Warum haben die Soldaten uns unterbrochen?", fragt Chen Alon Palästinenser und Israelis, die gemeinsam im Publikum sitzen. "Die Soldaten wissen, dass ihr Verhalten falsch ist und wollen das nicht vor Augen geführt bekommen", antwortet jemand. Dann beginnt die unterbrochene Szene von neuem: Zwei als Palästinenser verkleidete Männer stützen einen Dritten, der sich vor Schmerzen krümmt. An einem imaginären Checkpoint machen sie halt. Die beiden Soldaten, die ihre Pässe kontrollieren, tragen Regenschirme anstelle von Maschinengewehren. Einer der Palästinenser wird verhaftet, er ist als gesuchter Terrorist vermerkt. Die beiden anderen dürfen nicht passieren.

Danach bricht Chen Alon die Szene ab. "Wir werden das jetzt wiederholen", sagt er. "Wer aus dem Publikum möchte einen Schauspieler ersetzen und sehen, ob er eine andere Lösung findet?" Die fortlaufende Handlung sei bei den Theaterstücken der Combatants for Peace nicht so wichtig. "Es geht darum, die Machtstrukturen aufzulösen und festgefahrene Rollen zu verändern", erklärt Alon. Die Gruppe Tel Aviv - Tul Karem ist eine von fünf Regionalgruppen der Combatants for Peace. Doch während die anderen Gruppen in erster Linie Begegnungen zwischen ehemaligen Kämpfern auf beiden Seiten organisieren und Vorträge halten, sind die Israelis aus Tel Aviv und die Palästinenser aus Tul Karem auch im Protest aktiv. Als einzige Gruppe spielen sie gemeinsam Theater.

Chen Alon ist professioneller Schauspieler und Theaterprofessor an der Universität Tel Aviv. Seine Idee war es, das "Theater der Unterdrückten" auch im Westjordanland anzuwenden. In "seinem früheren Leben", wie er es nennt, war der 41-jährige Offizier einer israelischen Panzergarnison. "Mein Großvater war überzeugter Zionist und wanderte vor dem Zweiten Weltkrieg von Polen nach Palästina aus", erklärt Alon. Er überlebte als einziges Mitglied der Familie die Gaskammern der Nazis. "Ich wuchs in dem Bewusstsein auf, dass meine Familie dem Zionismus in einem ganz wörtlichen Sinne ihr Leben verdankt", sagt Alon.

Nach der Schule ging er zur Armee, weil er sein Land, dem er sein Leben verdankte, gegen Feinde beschützen wollte. Statt der obligatorischen drei Jahre blieb er ein Jahr länger, um seine Ausbildung als Offizier zu beenden. Danach begann er eine Ausbildung zum Schauspieler - sein Traumberuf. Wie alle israelischen Männer leistete er jedes Jahr einen Monat den verpflichtenden Reservedienst. "Es war damals normal für mich, einerseits Zivilist zu sein, Schauspieler, der Theater spielt, und eine Stunde später Soldat, der Ausgangssperren verhängt und Menschen verhaftet." 2001 dann, während der zweiten Intifada, wurde es Alon zu viel. Er habe den Widerspruch in seinem Leben nicht mehr ertragen, sagt er, die Schizophrenie, diese Lücke zwischen den beiden Persönlichkeiten. Er, der Schauspieler, der Künstler, der Humanist, wollte nicht mehr in die Uniform schlüpfen. Diese Rolle, die jeder Israeli bis zu seinem 40. Lebensjahr spielen muss, war Alon zuwider geworden.

An die Begebenheit, die ihn zum Umdenken brachte, erinnert er sich genau: Er stand an einer Straßensperre, die Palästinenser aus dem Westjordanland aus Sicherheitsgründen nur mit Genehmigung passieren durften. "Ein Taxi voller palästinensischer Kinder wollte ins Krankenhaus", erinnert er sich. "Doch sie hatten keine Genehmigung." Da rief ihn seine Frau auf dem Handy an. "Es war eine ganz alltägliche Situation", sagt er. Sie sei noch in der Arbeit und schaffe es nicht, unsere Tochter vom Kindergarten abzuholen, sagte sie. "Da telefonierte ich mit meiner Frau, während die kranken Kinder im Wagen darauf warteten, dass ich sie durchlasse", erzählt er. "Und plötzlich konnte ich es nicht mehr ertragen." Er, der Familienvater, musste den kranken Kindern die Durchfahrt zum Krankenhaus verwehren. "Ich fragte mich: Sind denn diese Kinder wirklich nichts anderes als potenzielle Terroristen?" Und er begann zu realisieren: "Indem wir die anderen, die Palästinenser, entmenschlichen, entmenschlichen wir uns selbst."

Konspirative Treffen

Kurz darauf verweigerte Alon, den Reservedienst in den besetzten Gebieten und schloss sich der gleichgesinnten israelischen Refusnik-Bewegung an. Die Strafe: ein Monat im Militärgefängnis. 2005 dann gründete er gemeinsam mit anderen Israelis die Combatants for Peace.

"Die Idee, mit Palästinensern zusammenzuarbeiten, hatte ich nicht von Anfang an", erinnert sich Alon. "Das war ein Prozess." Ein Journalist erzählte ihm von einer Strömung innerhalb der Fatah, die sich ebenfalls gegen den bewaffneten Kampf entschieden hatte und nach gewaltlosen Mitteln des Widerstands suchte. "Als Refusnik wollte ich immer nur meine eigene Gesellschaft verändern", sagt Alon. "Dafür mit Palästinensern zusammenzuarbeiten, war in meinem gedanklichen System nicht vorgesehen." Doch die Idee blieb haften. "Irgendwann dachte ich: Vielleicht ist es genau das! Vielleicht können wir nur in der Zusammenarbeit etwas erreichen."

Die ersten konspirativen Treffen wurden in einem Hotel in Ostjerusalem organisiert. Im Juli 2005 - also vor genau fünf Jahren - gingen die Combatans for Peace zum ersten Mal an die Öffentlichkeit und verabschiedeten ihre Grundsatzerklärung mit dem Bekenntnis zur Aussöhnung und dem gemeinsamen, gewaltfreien Kampf für Frieden.

Die untergehende Sonne taucht die steinigen Hügel von Shuafat und Tul Karem in orangefarbenes Licht. Die israelischen Soldaten sind abgezogen. Chen Alon diskutiert gerade mit dem Publikum, wie die nächste Szene weitergehen soll, als der Bürgermeister von Tul Karem zu ihm tritt. Die Palästinensische Autonomiebehörde habe ihn gebeten, die Bewohner der palästinensischen Dörfer nach Hause zu schicken, sagt er. Der nahe gelegene Checkpoint, der den Verkehr zwischen Israel und dem Westjordanland regelt, sei vom Militär gesperrt. "Sie machen erst auf, wenn ihr mit dem Theater aufhört", sagt er hilflos.

Wieder gibt es einen kleinen Tumult, wieder wird diskutiert. Das Wort "kollektive Bestrafung" macht die Runde. Militärsprecher Arye Shalicar wird später auf Nachfrage sagen, dass er zu dem speziellen Fall keine Angaben machen könne, es sei jedoch Aufgabe der IDF, für Sicherheit im Westjordanland zu sorgen. Alon ist enttäuscht: "Wir haben gerade erst angefangen und sind noch gar nicht dazu gekommen, die Rollen zu tauschen." Schließlich gibt er klein bei: "Wir respektieren die Bitte unserer palästinensischen Freunde und hören für heute auf." Dann fügt er kämpferisch an: "Aber wir kommen wieder, und kämpfen gegen die Besatzung - bis es sie eines Tages nicht mehr gibt!"

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4 Kommentare

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  • S
    @stefan

    spalten macht spaß, nicht? wenn palästinenser und israelis sich nicht die köpfe einschlagen, scheint dich das aus dem gleichgewicht zu bringen. deine einwände sind ja an fadenscheinigkeit nicht mehr zu überbieten, richtig konstruktiv - rein gar nix trägt das zur dikussion bei.

     

    ein tolles, mutiges projekt! respekt allen beteiligten!

  • E
    end.the.occupation

    Ein Lichtblick in der Finsternis.

     

    Schade, dass kein Pal. zu Wort kommt. Weil die kein englisch können - eher nicht so wahrscheinlich - weil die pal. Gesellschaft das als Zusammenarbeit mit dem Feind betrachtet - kann ein Grund sein - oder weil - was? Wer ist Munir? Vielleicht will die Autorin was dazu sagen.

     

    Auch gut, daß der Artikel die Checkpoints erwähnt - einen kleinen Eindruck davon gibt, was das eigentliche Ziel der Besatzer ist: Jeden einzelnen Palästinenser - gleich ob Mann, Frau oder Kind, gleich ob alt oder jung - zu demoralisieren und zu zermürben.

     

    Den Besatzern entkommt niemand - man kann ihnen nicht ausweichen - auch kranke Kinder nicht. Ihr wichtigstes Ziel: Den Palästinensern das Leben durch nicht enden wollende Folter zu versauern - durch psychische und physische Misshandlungen.

    Das Besatzerprogramm beinhaltet willkürliche bürokratische Schikanen und Strafen, permanente Freiheitsberaubung, Schläge bis hin zur Folter, Rollkommandos welche die Wohnung verwüsten, nächtliche Mordkommandos oder Entführungen und kafkaeske Militärgerichtsprozesse.

     

    Die israelischen Botschaften an die Palästinenser sind schlicht: 'Widerstand ist zwecklos', 'Hau ab, das ist unser Land' und 'Wir werden dafür sorgen, dass du hier niemals ein normales Leben führen wirst'.

     

    Warten wir also weiter auf den Tag, an dem die taz es einem veritablen Palästinenser gestattet - sei es auch nur in einem Interview - zu Wort zu kommen, ohne dazu - wie Juliano Mer Khamis - mit den üblichen Vorwürfen zugespammt zu werden.

     

    PS.: Was man hätte erwähnen können, sind die Schwierigkeiten, welche die combatants for peace mittlerweile haben sich auch nur zu treffen.

    Und - wo fand diese Sache überhaupt statt - in welcher Zone?

  • S
    Stefan

    Das nenne ich doch ein Beispiel für das übliche Muster: Israelis und Palästinenser kämpfen gemeinsam - nein, nicht für den Frieden, sondern GEGEN die israelische Besatzung. Vielleicht sollten die Jungs mal experimentelles Theater machen und als zweites ein Sück über Terror, Korruption und Verlogenheit auf den Spielplan setzen. Die Reaktion wäre dann ein wenig anders als nur eine vermeintlich unbegründete Strassensperre.

    Das Mantra "es kann erst Frieden geben, wenn die Israelis sich auf die Grenzen von 1967 zurück ziehen" wird natürlich gerne zitiert. Es fehlt nur noch der Hinweis auf einen "gerechten Frieden".

    Das Bild drückt natürlich auch aus, wo das Problem liegt.

  • S
    stauffenberg

    Das erinnert mich an den jüdischen Dirigenten Daniel Barenboim, der in Israel Auftrittsverbot bekam, weil er in seinem West-Eastern Divan Orchestra Palästinenser und Israelis zusammen spielen läßt. Sowas wird wohl in Israel nicht geduldet.