Palästina-Protest bei Kunstaktion: Ihr performt doch nur
Palästina-Aktivisten störten im Hamburger Bahnhof in Berlin eine Aktion der Künstlerin Tania Bruguera. Die beendete die Performance vorzeitig.
Eigentlich sollte die Performance zu Hannah Arendts „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ im Hamburger Bahnhof in Berlin „Raum für schwierige Diskussionen“ bieten. Die insgesamt 100-stündige Lesung mit dem Titel „Where Your Ideas Become Civic Actions“ war eine Kunstaktion der kubanischen Künstlerin Tania Bruguera. Von Mittwoch- bis Sonntagabend erhielten darin, neben ihr selbst, eine Vielzahl von Personen die Möglichkeit, Texte mit Bezug zu Arendts Analyse des Sowjet- und Nazitotalitarismus zu lesen.
Die Aktion stammt aus dem Jahr 2015. Da stand Bruguera in Kuba unter Hausarrest, weil sie Menschen auf dem Platz der Revolution in Havanna zu ihren Zukunftsvisionen sprechen lassen wollte. Aus Protest dagegen lasen Bruguera und rund 50 Personen in ihrem Haus 100 Stunden durchgehend aus Arendts Hauptwerk und diskutierten es mit dem Publikum.
Mit Lautsprechern übertrugen sie die Lesung auf die Straße. Die kubanischen Behörden reagierten, indem sie mit Presslufthämmern dagegenhielten. Die Aktion endete in einer mehrstündigen Festnahme Brugueras.
Nun wollte man also die Situation in Deutschland nach dem 7. Oktober mithilfe Hannah Arendts besprechen. Seit dem Terrorangriff der Hamas sagen deutsche Kulturinstitutionen vermehrt Veranstaltungen von Künstlern, unter anderem wegen zweifelhafter Äußerungen in Bezug auf Israel, ab.
Als Protest dagegen wurden schon unterschiedliche Vorwürfe laut; von „McCarthyismus“ war die Rede, von „Nazideutschland“. Die Verbindung mit dem kommunistischen Kuba, das immer wieder Künstler ins Gefängnis steckt, aber war neu.
50 Aktivisten mit Parolen
Zu Beginn der Aktion im Hamburger Bahnhof verlas Bruguera dann eine Liste mit ebensolchen Absagen und auch Kündigungen. Zusammen mit den beiden Direktoren des Hamburger Bahnhofs verlas Bruguera zudem Auszüge aus dem deutschen Grundgesetz, wie die Rechte auf Kunst- und Meinungsfreiheit.
Dass man sich für die Lesung auch eigenständig als Lesender anmelden konnte, nutzte eine Gruppe von 50 Aktivisten am Samstagnachmittag dann für Parolen, anstatt zu lesen. Die Personen hielten Zettel in die Luft, die zusammen den Schriftzug „Palestine will set us free“ ergaben.
Etwa sechs Stunden später kamen, auch das nach Angaben des Museums, 20 Teilnehmer der Gruppe zurück, um den Beitrag von Mirjam Wenzel, Direktion des Jüdischen Museums in Frankfurt, zu stören. Ein Mitglied der Gruppe filmte die Aktion, auf Instagram ist das Video zu sehen. Über fünfzehn Minuten lang schrien die Aktivisten Dinge wie „Zionisten sind Faschisten“ und „Zionismus ist Nazismus“. Einer Frau, die womöglich Mirjam Wenzel war, brüllten sie ins Gesicht: „Israel ist nicht real.“
Tania Bruguera, die das Gespräch mit der Gruppe suchte, schrien sie nieder, dass sie Zionisten eine Plattform gebe. Einer Frau, die intervenieren wollte und sagte, dass es nicht helfen würde, Personen zu beschämen, riefen sie zusammen entgegen: „Doch, das hilft, doch, das hilft!“
Aktivisten verlassen fluchend den Saal
Als Tania Bruguera schließlich selbst laut wurde und den Störern entgegenhielt, dass sie nicht wissen würden, wer sie sei und „wie viel sie für Palästina getan“ habe, schrie eine junge Antizionistin: „Du bist noch immer eine weiße Person.“ Unter Rufen wie „Fick diese Institution“, „Fick dieses rassistische Nazi-Land“ verließ die Gruppe schließlich den Saal. Am Morgen danach, am Sonntag, beschloss Bruguera, die Performance vorzeitig abzubrechen.
Zweifel daran, dass die Veranstaltung ein „Raum für schwierige Diskussion“ sein würde, hatte schon das Übergewicht antiisraelischer Stimmen unter den Prominenteren auf der Redner:innenlisten aufkommen lassen. Gegenüber Mirjam Wenzel, deren Engagement für Israel darin besteht, dass sie am 11. Oktober „fehlende Empathie“ mit Juden im Kulturbetrieb attestierte, stand eine Vielzahl bekannter Kritiker:innen Israels, wie Masha Gessen, Deborah Feldman und Tomer Dotan-Dreyfus.
Sogar Udi Raz von der Jüdischen Stimme war auf der Liste. Der Promotionsstudent der FU Berlin hatte kürzlich den Präsidenten der FU, Günter Ziegler, einen „Antisemiten, wie er im Buche steht“, genannt. Ziegler würde „Nicht-Arier“ wie ihn „terrorisieren“. Der Präsident erstatte Anzeige.
Am Samstagabend, etwa zwei Stunden vor der Störung, las Candice Breitz im Hamburger Bahnhof einen Brief mit dem Titel „Dear white Germany“. Es war der erste Auftritt der Künstlerin in einer staatlich geförderten deutschen Kulturinstitution nach dem 7. Oktober, die auf abgesagte Veranstaltungen teils so heftig reagierte, dass noch weitere Absagen folgten.
Bewegung radikalisiert sich
In ihrem Brief offenbarte sie die gleiche Fokussierung aufs Äußere, wie sie auch schon in ihrer Ausstellung „Whiteface“ in der Berliner Galerie Fotografiska gegenwärtig war. Hautfarbe scheint für die südafrikanische Künstlerin, die selbst mal unter Apartheid lebte, immer wieder die einzige Variable von politischer Relevanz zu sein. Zwar wolle sie mit der deutschen Öffentlichkeit „reden“, aber nur auf Basis des Vorwurfs, dass man sie „gaslighten“ würde. Damit würgte sie die Gegenseite ab, noch bevor das Gespräch überhaupt begonnen hatte.
Die Störaktion erschien unter diesen Umständen wie eine aktivistische Zuspitzung dessen, was intellektuell von den Lesenden dargeboten wurde. Eine Aktivistin sagte es so: „Ihr performt nur.“ Sie würden handeln.
Dass sich die antizionistische Aggression dann gegen eine Aktion richtete, die sowieso schon überwiegend israelkritisch war, schien auch die Künstler und Initiatoren selbst zu überraschen. Die antizionistische Bewegung scheint sich auch in Deutschland immer weiter zu radikalisieren. Erst kürzlich wurde der jüdische FU-Student Lahav Shapira von einem propalästinensischen Kommilitonen krankenhausreif geschlagen.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version war von „Gegner:innen Israels“ statt von „Kritiker:innen Israels“ die Rede. Wir haben diese Formulierung geändert. An einer Stelle war Mirjam Wenzel nicht mit Namen gekennzeichnet, wir haben den Namen im Nachhinein hinzugefügt. Einen Satz, in dem von einer Liste einer antizionistischen Gruppe die Rede war, haben wir ersatzlos gestrichen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken