Konflikt an der Alice Salomon Hochschule: Solidarität mit Präsidentin nach Palästina-Besetzung
Jüdische Studierende und Mitarbeiter der Berliner Hochschule stellen sich hinter Präsidentin Völter. Die Antisemitismusvorwürfe seien ungerechtfertigt.
Sieben derzeitige und ehemalige Lehrbeauftragte sowie Studierende der Hochschule schreiben in einem öffentlichen Statement, sie stünden „voll und ganz hinter der Entscheidung des Präsidiums, die Besetzung und die damit verbundenen Äußerungen und Symboliken intern und deeskalierend zu beenden und keine polizeiliche Räumung zu veranlassen“. Zudem verteidigten sie Völter gegen den Vorwurf, sie habe „in ihrem Handeln Antisemitismus geduldet, gefördert oder unterstützt“. Das Gegenteil sei der Fall.
Bettina Völter und die gesamte Leitung der ASH waren wegen ihres Umgangs mit der Aktion in die Kritik geraten. Am vergangenen Montag hatten Studierende aus Protest gegen das israelische Vorgehen im Gazastreifen das Audimax der Hochschule in Hellersdorf besetzt. Nach Gesprächen erlaubte die Hochschule den Protestierenden, den Hörsaal bis einschließlich vergangenen Donnerstag für „Wissensaneignung, zum Austausch und zur kritischen Auseinandersetzung“ zu nutzen. Im Gegenzug mussten die Besetzer*innen den Raum jeden Abend zur üblichen Schließzeit der Hochschule verlassen.
Dabei stellte sich Völter schützend vor die Aktivist*innen, als diese am ersten Abend aus dem Gebäude traten. Videos in den sozialen Netzwerken zeigen ein Wortgefecht mit einem Polizisten, der sich neben der Tür postiert hatte. „Wir erleben es als bedrohlich, dass Sie vorn am Eingang stehen“, sagt Völter darin, und: „Ich habe Sie nicht gerufen. Wir brauchen Sie nicht.“
Beihilfe zu Straftaten?
Seitdem reißt die Kritik an Völter nicht ab. Bereits in der vergangenen Woche hatten sich der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU), Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) und weitere Berliner Politiker*innen zu Wort gemeldet. Wegner etwa nannte Völters Handeln „völlig unverständlich“ und sprach von „vermummten und gewalttätigen Antisemiten“. Zudem bat Wegner Czyborra, „mögliche Maßnahmen“ gegen die Hochschulleitung „zu prüfen“. CDU-Fraktionschef Dirk Stettner forderte Völter zum Rücktritt auf.
Am Montag befasste sich auch der Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses mit dem Thema. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) kritisierte „Verhalten und Äußerungen“ von Völter als „nicht nachvollziehbar und deplatziert“. CDU-Innenpolitiker Burkard Dregger warf der Hochschulleitung vor, durch die Genehmigung der Besetzung Beihilfe zu Straftaten geleistet zu haben.
Raum für jüdische Stimmen geschaffen
Die Gruppe jüdischer Hochschulangehöriger widerspricht diesen Darstellungen. In dem Schreiben lobt sie zunächst das Handeln von Bettina Völter seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023. Völter habe sich nicht angemaßt, über die Sorgen und Bedürfnisse der jüdischen Studierenden und Mitarbeitenden zu sprechen, sondern diese „aktiv mit ins Boot geholt und Raum für unsere eigenen Stimmen geschaffen“. Damit habe sie etwas geschafft, „was wir im allgemeinen Diskurs schmerzlich vermissen“.
Vor diesem Hintergrund habe die Besetzung ohne Räumung die Chance geboten, „mit den Studierenden an den Erfahrungen zu arbeiten und sie nicht nur auszuschließen und gesellschaftlich zu stigmatisieren“. Alle Beteiligten der Besetzung pauschal als „Antisemiten“ zu bezeichnen, sei „diskriminierend und in dieser Verallgemeinerung schlichtweg falsch“, schreiben die Verfasser*innen mit Blick auf die Äußerungen von Wegner. „Wenn jede Solidaritätsbekundung mit den Menschen in Gaza als Antisemitismus markiert wird, verlieren tatsächliche antisemitische Äußerungen und Taten an Bedeutung.“
Anzeigen wegen Hamas-Slogans
Gleichwohl sei es während der Besetzung zu antisemitischen Äußerungen und Handlungen gekommen, heißt es in dem Statement. Man habe Hamas-verherrlichende Symbole gesehen und Parolen gehört. Doch die Hochschulleitung habe „mit persönlichem Einsatz deeskalierende Gespräche geführt und klare Grenzen formuliert“. Daraufhin seien diskriminierende Plakate von den Besetzenden selbst entfernt worden.
Das widerspricht einer Darstellung der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU), wonach die Hochschulleitung bei einem Besuch von Pressevertretern vergangenen Donnerstag „eilig belastendes Material von den Wänden gerissen“ und Journalisten daran gehindert habe, „es zu dokumentieren“.
Die Hochschulleitung hat zwölf Vorfälle allerdings auch zur Anzeige gebracht, wie am Montag bekannt wurde. Es seien vier Variationen der Parole „From the River to the Sea“ auf Postkarten sowie sechs rote Dreiecke registriert worden, berichtete Wissenschaftsstaatssekretär Henry Marx (SPD) im Innenausschuss.
Darüber hinaus sei in „verschieden kontextualisierten Sprüchen“ auf die Hamas verwiesen worden – etwa mit dem Schriftzug „Hamas Habibi“ („Hamas, mein Liebling“). „Dies sind klar Dinge, die gewalt- und terrorverherrlichend sind und einen antisemitischen Charakter aufweisen“, sagte Marx.
Büste verhüllt
Nicht angezeigt wurde demnach eine Aktion der Protestierenden, die weiterhin für heftige Diskussionen sorgt: Zu Beginn der Besetzung war eine Büste von Alice Salomon, jüdische Namensgeberin der Hochschule, mit einer Kufija verhüllt und auf den Sockel „Palestine“ in roter Schrift gekrakelt worden. Tuch und Schriftzug wurden bald wieder entfernt, von wem, ist unklar. Von einer „Schändung“ sprach am Montag die „Ständige Konferenz der NS-Gedenkorte im Berliner Raum“. Es handele sich um eine „durch nichts zu rechtfertigende antisemitische Verhöhnung ihrer Namensgeberin“. Zuvor hatten auch Bild-Zeitung und B.Z. den Vorfall als „Schändung“ bezeichnet; ein Sprecher der ASH hingegen erklärte laut DJU, die Hochschule würde nicht von einer „Schändung“ sprechen.
Neben der Gruppe jüdischer Hochschulangehöriger haben sich in den vergangenen Tagen weitere ASH-Mitarbeiter*innen geäußert. Am Freitag wurde bekannt, dass Hochschul-Kanzlerin Jana Einsporn, verantwortlich für Verwaltung und Finanzen, einen Brief an den Senat geschrieben hat. Darin bat sie den Regierenden Bürgermeister um Hilfe. Kollegen hätten ihr „von Ängsten und Unsicherheiten berichtet, da die Situation vor Ort weniger friedlich wahrgenommen wird, als dies in den Medien dargestellt wird“. Die Besetzung verschärfe das Unsicherheitsgefühl der Mitarbeitenden.
Gleichzeitig erhielt Bettina Völter von mehr als 40 Professor*innen und weiteren ASH-Mitarbeiter*innen Rückendeckung. In einem weiteren offenen Brief, der ebenfalls bereits am Freitag veröffentlicht wurde, erklären sie, dass sich die Hochschulleitung im Umgang mit der Besetzung „ihrem Bildungsauftrag entsprechend“ verhalten habe. Inzwischen haben knapp 200 weitere Wissenschaftler*innen den Brief unterzeichnet.
„Ein absoluter Skandal“
Dass die Universitätsleitung die Besetzung geduldet habe, sei „ein absoluter Skandal“, sagte dagegen Hanna Esther Veiler, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion (JSUD) in einem auf Instagram veröffentlichten Video. Menschen studierten an der ASH Bildung und Erziehung oder soziale Arbeit. „Menschen, die gerade mit Plakaten wie ‚I love Hamas‘ über den Campus laufen, das sind Menschen, die in ein paar Jahren Sozialarbeiter*innen werden“, sagt Veiler.
Ihr gehe „das Bild nicht aus dem Kopf“, dass diese Leute dann „für Menschen verantwortlich sind, die aus Ländern geflohen sind vor genau solchen Terrororganisationen, vor Regimen, die die gleiche Ideologie haben wie Hamas“ oder auch vor jüdischen älteren Menschen, die oft wegen Armut auf Sozialhilfe angewiesen seien. „Und dann haben sie jemanden vor sich, die in ihrer Studienzeit Hamas ganz super fand“, sagt Veiler.
„Das fände ich auch bedenklich – wenn diese Studenten kommentarlos agieren dürften“, sagt Vered Berman. Sie ist Mitverfasserin des offenen Briefs und Lehrbeauftragte an der ASH. „Aber das ist hier nicht passiert. Und das schätze ich an der ASH“, sagt sie. Manche Besetzer*innen hätten Grenzen überschritten – aber dazu habe es Gespräche gegeben. „Diese Gespräche wurden nicht beendet. Es gibt hier eine Diskussionskultur“, sagt Berman.
Auch in ihrem Seminar zum Nahost-Konflikt gäbe es konstruktiven Austausch, Meinungen dürften dort aufeinanderprallen. „Ich kämpfe für den Frieden“, sagt Berman. Intifada-Rufe oder Hamas-Dreiecke zeigten dagegen den Wunsch nach Vernichtung der anderen Seite. „Doch ohne Diskussion gewinnen am Ende nur die Radikalen. Dagegen kämpfe ich, so gut ich kann.“
Mitarbeit: Uta Schleiermacher
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polizeigewalt beim AfD-Parteitag
Unverhältnismäßig und unnötig
Wasserstoff
Hoffnungsträger der Energiewende
Protest gegen AfD-Parteitag
Hart im Widerstand
Wehrdienst
Würde ich zum Bund?
Wärmewende
Schwarz regiert, grün beheizt
Klimakrise als politisches Nischenthema
Gutes Gewissen zum kleinen Preis