Pädophilie-Debatte bei Grünen: „Grob falsch verhalten“
Franz Walter sei „übers Ziel hinausgeschossen“, urteilt Grüne-Jugend-Sprecher Marquardt. Dennoch findet er es richtig, dass die Grünen ihm freie Bahn gelassen haben.
taz: Herr Marquardt, bei den Grünen gab es viel Unmut darüber, wie Franz Walter die Pädophilie-Debatte im Bundestagswahlkampf geführt hat. Teilen Sie diese Kritik?
Erik Marquardt: Wenn man einen Wissenschaftler wie Franz Walter beauftragt, der nicht im Verdacht steht, den Grünen ein Gefälligkeitsgutachten zu schreiben, dann muss man damit leben, dass diese Person auch mal übers Ziel hinausschießt. Die Wissenschaftsfreiheit versuchen wir Grüne ja sonst auch zu schützen. Da können wir nicht, wenn es um unsere Partei geht, sagen: In diesem Fall ist diese Unabhängigkeit nicht so wichtig.
Wo ist Walter Ihrer Ansicht nach übers Ziel hinausgeschossen?
Es war bestimmt nicht besonders geschickt von ihm, Jürgen Trittin als Spitzenkandidaten der Grünen eine Woche vor der Bundestagswahl mit seiner Veröffentlichung über das Göttinger Kommunalwahlprogramm in ein solches Licht zu rücken.
Wie hätte Franz Walter es denn stattdessen machen sollen – den Hinweis auf das Göttinger Kommunalprogramm aus dem Jahr 1981 nicht kurz vor der Wahl in der taz veröffentlichen, sondern damit bis nach der Wahl warten?
Es ist nicht die Aufgabe der Grünen, einem Wissenschaftler vorzuschreiben, was er wann zu tun hat. Man kann natürlich sagen: Das war nicht so glücklich. Aber andererseits ist die Aufarbeitung ja auch nur dann glaubwürdig, wenn man sagt: Franz Walter hat völlige Publikationsfreiheit, er kann sich äußern, wie er will.
26 Jahre, studiert Politik und Soziologie in Berlin und steht seit einem Monat an der Spitze der Partei-Nachwuchsorganisation Grüne Jugend.
Parteichefin Simone Peter hat bei der Vorstellung des Berichts klare Worte für die Verantwortung der Grünen gefunden. Hätte die Parteispitze das nicht viel früher schon mal in dieser Deutlichkeit formulieren sollen?
Man konnte von den Grünen nicht erwarten, dass sie dieses brisante Thema in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfs umfassend aufarbeiten. Es war richtig, auf Schnellschüsse zu verzichten. Gerade dieses Thema erfordert viel Sachverstand und Ruhe. Man muss deshalb als Partei damit leben, dass es dauert, bis ein wissenschaftliches Gutachten vorliegt.
Sie sind 27 Jahre alt und in eine Partei eingetreten, die sich längst von diesen Forderungen verabschiedet hatte. Wie haben Sie die Pädophilie-Debatte um die Grünen wahrgenommen?
Mich hat das Thema überrascht. Ich wusste nicht, was da teilweise in Wahlprogrammen stand, und kann auch nicht nachvollziehen, wie man damals zu solchen Entscheidungen gekommen ist. Selbst wenn man den damaligen gesellschaftlichen Kontext beachtet, muss man sagen, dass sich Grüne da an einigen Punkten grob falsch verhalten haben. Das war nicht nur ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen. Deshalb finde ich es wichtig, dass sich die Grünen klar entschuldigen bei den Opfern, auch wenn der Bericht offen lässt, ob es durch die damalige grüne Programmatik zu Missbrauch gekommen ist. Aber die Debatte hat zur Legitimation von Pädophilie beigetragen.
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