Pädagogin über geflüchtete Frauen: „Wir wollen verhindern, dass sie die Ausbildung abbrechen“
Woran scheitert die Ausbildung geflüchteter Frauen und warum sind sie selten erwerbstätig? Das eruiert ein von der Uni Osnabrück initiiertes Projekt.
taz: Frau Wehking, warum starten Sie ein Berufsbildungsprojekt speziell für geflüchtete Frauen?
Katharina Wehking: Weil bei der Integration ins Berufsbildungssystem bislang vor allem die Bedürfnisse geflüchteter junger Männer in den Blick genommen wurden. Ob geflüchtete junge Frauen eine Ausbildung beginnen oder warum sie abbrechen, wissen wir nicht. Mit dem Projekt „Gelingenswege der beruflichen Ausbildung für Mädchen und Frauen mit Fluchtgeschichte“ (Fempower) wollen wir, gemeinsam mit der Hochschule München, diese Forschungslücke schließen, also Informationen über Ausbildungswege junger geflüchteter Frauen gewinnen.
taz: Von wie vielen Menschen sprechen wir?
Wehking: Als wir Ende 2022 den Projektantrag stellten, lebten laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) 260.000 geflüchtete Frauen zwischen 16 und 27 in Deutschland – das Alter, in dem sich Menschen beruflich qualifizieren. Und Statistiken etwa des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge sind junge geflüchtete Frauen viel seltener berufstätig als die Männer: Nach acht Jahren Aufenthalt sind nur 33 Prozent der geflüchteten Frauen erwerbstätig, aber 86 Prozent der geflüchteten Männer. Auch nehmen geflüchtete Frauen weniger Beratung in Anspruch, besuchen seltener Sprachkurse und andere Bildungsangebote. Studien zeigen außerdem, dass geflüchtete Frauen mit Partner seltener berufstätig sind.
taz: Welche Gründe kann das haben?
Wehking: Das ist vielschichtig. Es kann daran liegen, dass die Frauen Care-Arbeit leisten, also Kinder und ältere Angehörige betreuen und pflegen. Uns interessiert nun: Warum ist das so, und stocken diese „Berufskarrieren“ am Übergang von der Schule zur Ausbildung oder von dort in den Beruf? Hier leben ja auch viele junge geflüchtete Frauen, die noch keine Kinder haben: Welche Berufswünsche haben sie, und funktionieren die hierzulande über eine Ausbildung? Brauchen wir spezielle Beratungsangebote für weibliche Geflüchtete? Und müssen wir die jungen Mütter stärker ermutigen, Kinderbetreuung in Anspruch zu nehmen?
taz: Wie wollen Sie all das herausfinden?
Wehking: Über unseren Kooperationspartner, das Netzwerk der Migrant:innenorganisationen (Nemo), werden wir mit insgesamt 30 geflüchteten Frauen über ihre Berufsbiografien sprechen. Dazu kommen einige Interviews zum Einfluss von Partnerschaft, von Lehrkräften und BerufsberaterInnen auf den Ausbildungsweg. Diese Interviews werden wir in einem Beirat, dem „Fempower Advisory und Advocacy Board“, in dem auch geflüchtete Frauen sitzen, analysieren und zu exemplarischen Berufsbildungsbiografien verarbeiten. Wir wollen sehen: Führen immer wieder dieselben Strukturen zu Erfolg oder Scheitern? Gehen die meisten Frauen am Übergang von der Schule zur Ausbildung verloren – etwa wegen Heirat oder Schwangerschaft? Und wie können wir gegensteuern?
taz: Wäre da eine Beratung innerhalb der Community nicht wirkungsvoller?
Wehking: Auch das haben wir im Blick: Wir hoffen, dass die geflüchteten Frauen unseres Beirats zu Multiplikatorinnen werden, in ihren Communitys für Berufsausbildung werben und kulturelle Vorurteile gegenüber der Qualifikation junger Frauen abbauen helfen.
Katharina Wehking
Jg. 1986, Vertretungsprofessorin für Berufspädagogik an der Uni Osnabrück, ist studierte Sozial- und Migrationswissenschaftlerin und promovierte Erziehungswissenschaftlerin.
taz: Aber wie können von Ihnen qualifizierte LehrerInnen oder AusbilderInnen verhindern, dass eine geflüchtete Frau die Schule oder Ausbildung abbricht?
Wehking: Wir müssen sie für frühe Anzeichen von Problemen oder Unzufriedenheit sensibilisieren. Statistiken zeigen, dass unter allen Auszubildenden die Geflüchteten am häufigsten abbrechen. Das liegt oft an der starken Belastung beispielsweise durch eine unsichere Bleibeperspektive und fehlende Sprachkenntnisse. Wir wollen nun die genderspezifischen Hürden ergründen und gegensteuern. Dazu gehört auch, noch stärker in die Communitys zu kommunizieren, dass Menschen mit Ausbildung eine bessere Bleibeperspektive haben.
taz: Gibt es schon InteressentInnen für Ihre Qualifizierungsmaßnahme?
Wehking: Ja. Nicht zufällig zählen, auch angesichts des Fachkräftemangels, verschiedene Handwerks- sowie Industrie- und Handelskammern, die mit Bildung von MigrantInnen befassten Koordinierungsstellen Ausbildung und Migration sowie das kommunale Bildungsmanagement zu unseren Kooperationspartnern. An sie werden wir die bis September 2027 im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zu erstellende Qualifizierungsmaßnahme weiterleiten, sie auch auf Social Media verbreiten. Durchgeführt werden die kostenlosen Maßnahmen dann von der Münchner SchlaU-Werkstatt für Migrationspädagogik. Die Umsetzung vor Ort ist freiwillig.
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