PKK-Prozess in Hamburg: Im Sinne Erdoğans
Der Kurde Kenan A. soll laut Generalstaatsanwaltschaft Mitglied der PKK sein. Seine Verteidigerin spricht von einem „originär politischen Verfahren“.
![Der Angeklagte sitzt vor Gericht und zeigt das Victory-Zeichen Der Angeklagte sitzt vor Gericht und zeigt das Victory-Zeichen](https://taz.de/picture/6628824/14/433061722-1.jpeg)
Mit Victory-Zeichen und breitem Lächeln betrat der unscheinbar wirkende Angeklagte am Morgen den Gerichtssaal – unter Applaus vieler Unterstützer:innen hinter den Glasscheiben, die den Zuschauerbereich vom restlichen Gerichtssaal trennt. Diese hatten zuvor schon eine Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude abgehalten und die „Kriminalisierung der kurdischen Bewegung“ beklagt, wie eine Rednerin kritisierte.
Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft soll der 49-Jährige zwischen September 2018 und Juni 2020 als Mitglied der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) tätig gewesen sein – als sogenannter Regions- und Gebietsverantwortlicher für die Region um Hamburg und in Teilen Nordrhein-Westfalens. Er soll sich als „hauptamtlicher Kader“ um die Rekrutierung von neuen Mitgliedern, um Spenden und um die Verbreitung von Propaganda gekümmert haben. Die PKK ist schon seit 30 Jahren in Deutschland verboten.
Festnahme auf Zypern
Kenan A. hielt sich indes auf Zypern auf, als er im März aufgrund eines von der Bundesrepublik beantragten Haftbefehls festgenommen und Anfang Juni nach Hamburg in Untersuchungshaft ausgeliefert wurde. Der in der Türkei geborene Kurde lebte dort als von Zypern anerkannter Geflüchteter. So soll er bereits in den 1990ern in der Türkei festgenommen und gefoltert worden sein. Wegen eines durch die Folter erpressten Geständnisses, so seine Verteidigerin Antonia von der Behrens, habe er insgesamt 15 Jahre in türkischer Haft verbringen müssen. 2010 flüchtete er nach Zypern, nachdem ein weiterer Prozess gegen ihn angestrengt worden war.
Von der Behrens sieht das von der Bundesstaatsanwaltschaft angestrengte Verfahren darin begründet, dass das türkische Regime offenbar Druck auf die Bundesrepublik ausgeübt hat. Schließlich hatten Ermittler:innen ihn zwar schon länger unter Beobachtung, doch erst als die Türkei in der Debatte um die Nato-Beitritte von Schweden und Finnland Forderungen an die europäischen Nato-Staaten stellte, mehr Druck auf vermeintliche PKK-Mitglieder auszuüben, forcierten die Ermittler:innen Anklage und Festnahme. „Der Haftbefehl in dem Moment, in dem Erdoğan Druck machte, zeigt, dass das ein originär politisches Verfahren ist“, sagte von der Behrens. „Sonst säße er jetzt nicht hier auf der Anklagebank.“
Die Beweise der Ankläger:innen hält von der Behrens für dürftig. So baue die Anklage vor allem auf mitgeschnittene SMS und Telefonate, die A. geschrieben oder geführt haben soll. Für absurd hält sie die Deutung der Anwaltschaft, dass A. seinen Vornamen als Decknamen in der Kommunikation genutzt haben soll. Hinzu komme: Während die Generalstaatsanwaltschaft von der PKK als mordende Terrororganisation spricht, werfe sie A. auch von den Grundrechten gedecktes Verhalten wie die Organsiation einer Demonstration vor. „Wir reden hier nicht von Gewalttaten, sondern von der Beschaffung einer Musikanlage oder davon, einen Veranstaltungsraum zu besorgen“, sagte von der Behrens.
Bis zu fünf Jahre Haft
Mit einem Antrag auf Einstellung des Verfahrens versuchte die Verteidigung am Freitag auch das anhaltende Verbot der PKK anzugreifen: Das würde in der Bundesrepublik willkürlich aufrechterhalten, das OLG um die Vorsitzende Richterin Petra Wende-Spors solle das prüfen. Mit der zunehmenden Autokratisierung der Türkei unter Erdogan würden Menschenrechte immer weniger geachtet – zum Leid der kurdischen Bewegung und der PKK, die sich, so die Verteidigung, für eine Demokratisierung einsetze. Die PKK verteidige sich lediglich militärisch gegen türkische Attacken.
Auch der Angeklagte verwies darauf, dass die Türkei den Schutz der Menschenwürde, so wie es in Deutschland im Grundgesetz verankert ist, vielen ihrer Bürger:innen verwehren würde – insbesondere den Kurd:innen. „Deshalb ist der kurdische Kampf keiner um die Freiheit, sondern um die Existenz.“
Ob der Angeklagte und seine Verteidiger:innen mit dieser Strategie Erfolg haben, ist fraglich. Das wussten auch schon A.s Unterstützer:innen auf der morgendlichen Kundgebung. „Wir rechnen mit drei bis fünf Jahren Haft“, sagte eine Aktivistin.
14 weitere Verhandlungstage hat das Gericht bis Ende des Jahres angesetzt.
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