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Otto Graf Lambsdorff ist totDer Held des Neoliberalismus

Mit den Flick-Parteispenden hinterzog er für die FDP Steuern. Viele Jahre später organisierte er die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern. Am Samstag ist der Bismarck-Bewunderer Lambsdorff gestorben.

Hat die FDP stark geprägt: Otto Graf Lambsdorff an seinem 80. Geburtstag (im Januar 2007) Bild: dpa

BERLIN taz |1980 hatte die rotgelbe Koalition unter Kanzler Helmut Schmidt deutlich über das Angebot der Union gewonnen. "Strauß? Nein danke!" einte als Parole nicht nur Sozialdemokraten und Liberale, das Motto zog auch Zehntausende von CDU-Wählern von ihrer Stammpartei weg. Schmidt und Genscher - das wäre auch bis 1984 das politische Paar, das der Bundesrepublik eine schwarze Regierung erspart hätte.

Der Mann, der mit diesem Frieden brach, war Otto Graf Lambsdorff, seit 1977 Bundeswirtschaftsminister, der kein Hehl daraus machte, dass er mit der wirtschafts- und sozialpolitischen Linie fast aller Parteien nicht einverstanden war. In einem später als "Scheidungspapier" bekannt gewordenen Schriftstück forderte er 1982, mit den Strukturen des Verteilungsstaates zu brechen, Sozialpolitik nur noch auf das Notwendigste zu beschränken - und Steuern zu senken.

Lambsdorff trug mit dieser Expertise erheblich dazu bei, dass die FDP mit dem Koalitionspartner brach und sich dem neuen Partner zuwandete - der neue Boss war Helmut Kohl. Ende 1982 traten die Liberalen aus der Bundesregierung zurück - und Schmidt, in seiner Partei selbst nicht mehr als ein Repräsentant alter, industrieller Zeiten, wurde als Kanzler abgewählt. Lambsdorff ist seither der Held all jener, die später des Neoliberalismus geziehen wurden. Ihn nannte der Politikwissenschaftler Franz Walter nicht umsonst einen "Feldherrn des Wirtschaftsbürgertums". Lambsdorff, Jurist, tätig für eine Fülle von Konzernen und Mittelstandsfirmen, auch in ihren Aufrichtsräten, war immer gegen Steuern überhaupt - Sozialpolitik war für ihn allenfalls dann eine gerechte, wenn sie kaum über die Organisation von Almosenzahlungen hinausging. Noch neulich warnte der längst siechende Politiker die schwarzgelben Neuregenten vor einem "Schuldenrausch".

Trotzdem blieben seine Konzepte für eine liberale Wirtschafts- und Finanzpolitik extrem havarieanfällig. Lambsdorff und die Seinen versprachen zwar, in der Kohlregierung für ihre Ziele nicht nur einzutreten, sondern nötigenfalls auch die Koalition zu verlassen, falls die Union nicht mitziehe, doch ging diese Versprechung niemals in Erfüllung. Die Union unter Helmut Kohl hatte keinen Sinn für die neoliberale Wende. Sie war damit beschäftigt zu verkraften, dass das selbstgesteckte einer "geistig-moralischen Wende" nicht gelang. Die CDU/CSU vermochte die Bundesrepublik weder in eine Republik wie in den Fünfzigerjahren zurückzukneten, noch schaffte es die FDP, in ihrem Sinne wirksamen Protest gegen die Erhöhung der Staatsschulden zu entfalten. Im Gegenteil war es die CDU und ihr Arbeitsminister Norbert Blüm, die eine weitere Säule im Sozialsystem installierten, die Pflegeversicherung - die aber war das Gegenteil von dem, was die Liberalen wollten. "Die Zeiten leichteren Lebens sind vorbei" ist ein von Lambsdorff überlieferter Satz, und die Drohung, die hinter ihm steckte, das Gürtel-enger-schnallen, mochte für einige BürgerInnen bedrohlich gewesen sein, auf die Kerne bundesdeutscher Sozialpolitik hatte Lambsdorffs Credo freilich gar keinen Einfluss.

In Wahrheit hatte Lambsdorff, in der Flick-Affäre verdächtig, als Politiker bestechlich gewesen zu sein, immer nur kleines Karo realisieren können. Er, der einer Kriegsverwundung wegen auf einen Gehstock angewiesen blieb, war die Personifizierung des scharfmacherischen Retters vor den Sümpfen des, so sagte er, entmündigenden Sozialstaats. Seine Invektiven gegen diesen, der seinen Bürgern alles abnähme, ihnen das Selbstversorgen abgewöhnte, zerstoben zu Unwichtigem, als herauskam, dass er und wie ja überhaupt die FDP stets nur die eigene Kundschaft zu begünstigen wusste, eine Klientelpartei, keine im Geiste echter Liberalität. Lambsdorff ist der Einzige gewesen, der im Zuge der Flick-Affäre verurteilt wurde, wegen Steuerhinterziehung, mit einer Geldstrafe in Höhe von knapp 200.000 Mark. Auffällig war, dass Lambsdorff im Untersuchungsausschuss des Bundestags selbst in jeder Hinsicht Haltung bewahrte - den reuigen Sünder gab er nicht, bis zum Schluss sah es sich nicht im Unrecht.

1988 wurde Lambsdorff, der im persönlichen Umgang stets freundlich und zugewandt war, zum FDP-Vorsitzenden gewählt, aber während seiner fünf Jahre in diesem Amt entpuppte er sich als wortmächtige, stets am lautesten das Liberale fordernde, dennoch immer lahme Ente: Alles, was er auf Podien, in Lobbys oder in Interviews krass verhieß, erwies sich als unbedeutendes Politlüftchen. Weder ging die Union auf die Forderungen der FDP ein noch hatte diese ernsthaft das Rückgrat, das Bündnis mit der Union zu kündigen. Lambsdorff trat, entnervt im Übrigen von den Attacken seines Parteifeindes Jürgen Möllemann, 1993 vom Amt zurück.

Seine Bilanz fiel trübe aus: Wirtschaftsneoliberal aufstäubend, argumentierend stets dann, wenn es nicht darauf ankam, bis vor wenigen Jahren gern auch im Fernsehen, pragmatisch und lediglich machtorientiert, wenn es echt zählte - die FDP hat immer alles an Inhalten verleugnet, wenn die Union es von ihr abforderte, und Lambsdorff war der konsequenteste unter diesen Pragmatikern.

Den für die Interessen der Bundesrepublik wichtigsten Job übernahm er freilich erst unter Kanzler Gerhard Schröder. Der Sozialdemokrat betraute Lambsdorff mit der Moderation der Verhandlungen über die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern. Die Arbeit des gewieften Anwalts fand bis in alle politischen Lager hinein Anerkennung. Lambsdorff, der niemals die Anliegen einer konsequenten Menschenrechtspolitik an die liberale Wirtschaftspolitik verriet, wusste vor allem in den Organisationen und Standesvertretungen der Unternehmen für die finanzkräftige Lösung der Stiftung zugunsten der Zwangsarbeiter zu werben - er wusste immer genau, wie ernsthaft und glaubwürdig zwischen Interessen zu makeln sei.

Am 5. Dezember, nur wenige Wochen vor seinem 83. Geburtstag, ist Otto Graf Lambsdorff in einem Bonner Krankenhaus gestorben - wie seine Angehörigen sagten, am Ende langer, schwerer Leiden.

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12 Kommentare

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  • A
    Amos

    Warum traurig sein? Es gibt noch genug von der Sorte. Die FDP besteht nur aus solchen Charakteren.

  • A
    Amos

    Lambsdorff, selbst über 14-Nebentätigkeiten und anderen das Schwarze unter

    den Fingernägeln nicht gönnen.- Wir hätten eine bessere Welt, wenn solche Leute früher gingen. An solchen Individuen geht nämlich unser System kaputt.

    Solche, mischen oben überall mit (nennen sich Volksvertreter) sorgen mit dafür,dass die Moneten

    in wenigen Taschen verbleiben (der ganze Aktiendreck) und zerstören so die Kaufkraft. Der Steuerzahler kommt für das Soziale auf, tun dann so, als wenn die gemachten/gewollten Arbeitslosen

    Minderwertige seien. Dabei wissen sie selbst gar nicht, was Moral ist.

  • C
    clementine

    Ich schließe mich an, in der Tat ein sehr guter, ausgewogener Artikel. So kann man über Verstorbene berichten, ohne in lediglich dem Todesfall geschuldete Lobhudeleien und Überhöhungen des Verstorbenen zu verfallen - und ohne gleichzeitig die gebotene Pietät missen zu lassen.

     

    Daran können sich nicht nur andere Autoren , sondern auch wir als Kommentatoren ein Beispiel nehmen. Danke.

  • S
    Sub

    @ Redaktion:

    Danke, ein sehr guter Artikel. Alle anderen Zeitung trauern, jammern und trauen sich dabei nicht zu kritisieren. Und hier wird nichtmal über ihn hergezogen, es wird einfach wiedergegeben, wie es wahr. Ohne zu beschönigen oder fertigzumachen. Sehr gut und informativ.

     

    Nur der Satz "den reuigen Sünder gab er nicht, bis zum Schluss sah ES sich nicht im Unrecht." sollte noch korrigiert werden, obwohl ich das "es" ja sehr witzig finde eigentlich :)

  • R
    rofl

    Wenn das mal nicht die gute Nachricht des Tages ist:

    "... am Ende langer, schwerer Leiden."

     

    Das widerlegt die These: Schlechten Leuten geht es immer gut. Danke für diesen Lichtstrahl in vorweihnachtlicher Zeit!

  • B
    Böhm

    "Mit den Flick-Parteispenden hinterzog er für die FDP Steuern."

     

    "Noch neulich warnte der längst siechende Politiker die schwarzgelben Neuregenten vor einem "Schuldenrausch"."

     

    Was soll man zu so einem ersten Satz in der Einleitung und der Verwendung von Wörtern wie "siechend" noch sagen? Pietätlos vielleicht?

  • H
    hessebub

    Es gelang ihm wie keinem Zweiten alles in sich zu vereinen, was man an der FDP degoutant finden mag.

  • K
    Kommentator

    @ Jan Feddersen/Autor

     

    Toller Artikel!

    Hab mich schon länger gefragt, wer dieser OGL eigentlich wirklich war.

     

    Derartiges was Sie schrieben, hat all meine Vorurteile über ihn nur bekräftigt. spätestens als Westerwelle ihn als DEN Liberalen hingestellt hat.

    Gut recherchiert!

     

    Man könnte OGL auch als den Mörder des echten sozialen Liberalismus benennen: finanziell korrupt, unsozial bis zum Maximalen, für echte Freiheit kein Gespür, geistig absolut rückwärtsgewandt - und wenn es darauf ankommt, sogar so "pragmatisch", dass er selbst seine eigene Klientel hintergeht.

     

    Irgendwie ein richtiger EGOMANE.

    Genau so stelle ich mir die Partei als Ganzes vor:

    als ein Netzwerk egomaner, antisozialer Korrupter, die - frei nach Görgen - auf "Klientensuche"* sind.

    *sind ja auch aktuell fast nur Unternehmensberater, Steueranwälte, BWLer und Unternehmer, die "liberalen" MdBs.

     

    Mal sehen, wie nah dies genau an der Wirklichkeit ist.

     

    PS: vielen Dank der zutiefst verachtenswerten, da saudoofen Unter- und Mittelschichtwähler, die solchen (und anderen) Parteien ihre Macht übetragen hat. Ihr seid echte masochistische Deutsche.

  • S
    Sonja

    >>>>>wegen Steuerhinterziehung, mit einer Geldstrafe in Höhe von knapp 200.000 Mark.

  • F
    Fenkl

    .... und wieder geht ein verurteilter Betrüger aus den Reihen der FDP geehrt davon...

     

    Es beschämt mich, dass sich keiner schämt

  • MS
    Martin Schröder

    Von Lambsdorff wird u.a. in Erinnerung bleiben, daß er in einem FDP-Wahlspot 1990 keine Steuerhöhungen versprach - woraufhin Schwarz-Gelb 1991 den Solidaritätszuschlag einführte.

  • G
    Gerhard

    «Der FDP-Ehrenvorsitz bleibt dem "Marktgraf" aber erhalten, …»

    Obwohl er wegen Meineides verurteilt wurde. Das zum Thema «Ehre» und Politik.

    Zum Thema Spendenskandal gibt es noch viele weitere, die von unserer 2-Klassen-«Justiz» mit Samthandschuhen angefasst wurden: Kohl und sein «Ehrenwort» zum Beispiel.