Oswald Wiener ist gestorben: Das Glück mit Maschinen
Bevor Oswald Wiener mit Ehrungen überhäuft wurde, galt er als Provokateur. Nun ist der Avantgardist im Alter von 86 Jahren gestorben.
Von der „Uniferkelei“ zum österreichischen Staatspreis. Die wechselvolle Karriere des Multitalents Oswald Wiener lässt sich schwer in Schubladen unterbringen. Mit 18 Jahren stieß er als Jazztrompeter zu einem heterogenen Freundeskreis von Literaten, die später als Wiener Gruppe bekannt wurde und sich aus der bleiernen Schwere des künstlerischen Nachkriegsklimas in Österreich zu befreien versuchte.
Der Mundartpoet H.C. Artmann war dabei, der Experimentaldichter Gerhard Rühm, Konrad Bayer und Friedrich Achleitner. Man veranstaltete öffentliche Lesungen, Happenings und literarische Cabarets. Den Experimenten mit Sprachmusik und visueller Musik begegneten Gesellschaft und Medien großteils mit Unverständnis und Ablehnung. Immer wieder wurde die Polizei gerufen.
Was Wiener damals unter dem Einfluss von Dadaismus und Surrealismus gedichtet hat, ist nicht erhalten. Er vernichtete sein literarisches Oeuvre 1959, als sich die Gruppe auflöste. Wohin es ihn zog, wusste Wiener damals wohl selbst nicht. Auf der Uni Wien belegte er Afrikanische Sprachen, Jura, Mathematik und Musikwissenschaften. Den Lebensunterhalt verdiente er als Computerexperte bei Olivetti.
Schon damals beschäftigten ihn künstliche Intelligenz, Maschinen und Mathematik als Grundlagenwissenschaft, die auch in seinem 1969 veröffentlichten Roman – in konsequenter Kleinschreibung – „die verbesserung von mitteleuropa, roman“ eine Rolle spielten. Heimito von Doderer und Karl Kraus dekonstruierend entwarf er darin das Konzept einer Maschine – „Glücksanzug“ genannt -, die die Kontrolle über Geist und Körper eines Menschen erlangt. Für die FAZ in einer späteren Rezension „eines der beunruhigendsten Dokumente der deutschen Sprache überhaupt“.
Skandal mit Ansage
Als das Buch bei Rowohlt erschien, lebte Wiener bereits in Berlin, wohin er vor der österreichischen Justiz geflohen war. Als einem der Teilnehmer an der legendären Aktion „Kunst und Revolution“ im Hörsaal 1 der Uni Wien, besser bekannt als „Uniferkelei“, drohten ihm sechs Monate Haft wegen Gotteslästerung.
Gemeinsam mit Günther Brus, Otto Mühl, Peter Weibel und anderen Aktionskünstlern skandalisierten die Provokateure die neben 300 Studierenden anwesenden Boulevard-Reporter. Unter Absingen der Bundeshymne wurde da auf offener Bühne masturbiert, der nackte Körper mit eigener Scheiße beschmiert und die Flagge beschmutzt. Wiener selbst spielte dabei nur eine Nebenrolle: er schrieb Formeln an die Tafel.
Oswald Wiener wurde in Berlin zum Magneten des kulturellen Nachtlebens. Die Stadt verdankt ihm unter anderem die Künstlerkneipen Matala, Exil und Axbax. Die Unrast trieb ihn aber bald nach Alaska und in den Norden von Kanada, wo er mit seiner Frau Ingrid mehrere Jahre verbrachte und sich sogar einbürgern ließ.
Schicksal verkannter Genies
Nach seiner Rückkehr nach Europa studierte er zunächst Informatik in Berlin. In Österreich erwartete ihn das Schicksal des lange verkannten Genies. Er wurde mit Ehrungen überhäuft: 1989 bekam er den Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur, 1992 den Grillparzerpreis, die Uni Klagenfurt verlieh ihm 1995 einen Ehrendoktortitel.
Aus seiner ersten Ehe mit der bildenden Künstlerin Lore Heuermann stammen drei Kinder, das bekannteste nennt sich Sarah Wiener und hat sich als Szenewirtin und Fernsehköchin einen Namen gemacht. Oswald Wiener starb am Donnerstag in Wien an den Folgen einer Lungenentzündung.
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