Osteuropa-Experte über den FC Sheriff: „Von zwei KGB-Agenten gegründet“
Moldaus Meister FC Sheriff Tiraspol sorgt international für Aufsehen. Osteuropa-Experte Marcel Röthig über den Klub – und dessen nirgends anerkannte Heimat Transnistrien.
taz: Herr Röthig, als Experte und Fußballfan: Hat Sie der Erfolg des FC Sheriff überrascht?
Marcel Röthig: Nein, es ist eine typische osteuropäische Erscheinung: Für uns überraschend, für die Region eher nicht. Wir haben uns 2008 alle die Augen gerieben, als Zenit St. Petersburg den FC Bayern mit 4:0 im Europapokal-Halbfinale besiegt hat. Oder 2009 hat Schachtjor Donezk das Europapokalfinale gegen Werder Bremen gewonnen und ist seitdem nicht mehr aus dem europäischen Fußball wegzudenken. Und nun eben Sheriff Tiraspol. Es ist ein Erfolg mit Ansage. Der Klub hat Jahre darauf hingearbeitet und investiert, ist immer wieder in der Qualifikation angetreten und hat es nun eben geschafft.
Der Verein geht als Meister der Moldauischen Liga ins Rennen, Tiraspol ist allerdings die Hauptstadt von Transnistrien – was steckt dahinter?
Transnistrien ist ein Land in einem Land, das von niemandem sonst anerkannt wird, mit einer eigenen Währung, einer eigenen Armee, eigenen Polizeieinheiten, einem eigenen Wirtschaftssystem, einer eigenen Verwaltung. 1990 gab es einen kurzen bewaffneten Konflikt, seitdem hat sich die kleine, russisch geprägte Region für unabhängig erklärt – mit tatkräftiger Unterstützung aus Moskau. Seit knapp 30 Jahren ist die Situation eingefroren. Rund 1.300 „Friedenstruppen“ aus Russland bewachen, dass es dabei bleibt.
Viele Beobachter beschreiben das Land als eine Art Parallelwelt, eine eingefrorene Sowjetunion. Wie sehen es die Menschen vor Ort?
Es scheint eine ausweglose Situation: Das eigene Land und der eigene Pass werden von niemandem anerkannt. Doch die Menschen sind sehr pragmatisch. Viele haben einen zweiten Pass, von der Republik Moldau, Rumänien oder Russland. Wir schätzen, dass etwa 50 Prozent der arbeitenden Bevölkerung dauerhaft im Ausland sein Glück sucht. Denn die wirtschaftliche Lage in Transnistrien ist prekär. Dazu hat das Land keine funktionierende Demokratie, viele Oppositionelle landen in Gefängnissen. Dazu gibt es viele Berichte über Korruption und Schmuggel.
ist Politologe arbeitet seit 2016 für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Kiew. Seine Schwerpunkte sind die Ukraine, Belarus sowie die Republik Moldau.
Zurück zum Fußball, was ist die Philosophie des FC Sheriff?
Es ist ein oligarchisch geführter Klub, aber es werden keine hohen Ablösen gezahlt, sondern Talente aus Südamerika oder Afrika geholt. Sie bekommen gutes Training und die Chance, sich auf der internationalen Bühne zu zeigen. Der Traum dieser Spieler ist es, in Westeuropa zu spielen. Ein gutes Geschäftsmodell für den Klub, der an den Ablösen und der Champions League verdient. National ist der Klub noch deutlich dominanter als der FC Bayern München in Deutschland.
Viele Fans freuen sich für den Underdog im Geschäft der Großen: Doch wird da nicht auch Politik durch die Hintertür betrieben?
Für Sheriff, das Unternehmen hinter dem Klub, geht es nicht vorrangig darum, Transnistrien auf der internationalen Bühne als eigenen Staat zu präsentieren. Das hat man auch deutlich beim ersten Heimspiel gemerkt, bei dem ich selbst dabei war: Ich hab nur eine Transnistrien-Fahne im Publikum entdeckt. Es gab auch keine große propagandistische Show oder dergleichen. Man merkte, es geht um das Geschäft des Fußballs und nicht um Politik.
Was ist Sheriff für ein Unternehmen?
Sheriff ist in Transnistrien allgegenwärtig. Der Konzern besitzt Tankstellen, Supermärkte, es gibt eine Baufirma, eine Medienholding, eine Spirituosenfabrik. Man schätzt, dass etwa die Hälfte der Wirtschaftsleistung von Transnistrien durch Sheriff erwirtschaftet wird. Gegründet wurde er in den Wirren der frühen 90er Jahre von zwei KGB-Agenten, Wiktor Guschan und Ilja Kasmaly. Guschan ist auch Präsident des Klubs FC Sheriff. Um ihn ranken sich Legenden: Er soll zum Beispiel mal eine Handgranatenattrappe aufs Spielfeld geworfen haben, als ihm die Leistung der Mannschaft missfiel.
Wie nehmen die Menschen in Moldau den Erfolg des Teams wahr?
In Moldau selbst ist es eine Mischung aus Stolz, Freude, aber auch Skepsis. Stolz, weil es der größte sportliche Erfolg des Landes ist. Da freut man sich natürlich, egal ob der Klub aus Transnistrien ist oder nicht. Skepsis, weil man weiß, was mit Sheriff verbunden ist. Aber klar: Wenn Real Madrid in Tiraspol ist, dann versuchen auch Menschen aus der ganzen Moldau, ins Stadion zu kommen.
Am Dienstag geht es zu Inter Mailand – was denken Sie, wie weit es für den Club noch gehen kann?
Man muss bedenken: Sheriff hat nichts zu verlieren. Jetzt geht es um den Genuss. Viel entscheidender als das Spiel in Mailand werden aber noch die beiden Spiele in Tiraspol: Inter und Real müssen noch in Transnistrien spielen, und da ist es in dieser Jahreszeit furchtbar kalt. Das Stadion ist ein Hexenkessel. Da muss man erst mal bestehen. Der Klub hat gute Chancen, eine Runde weiter zu kommen, und dann ist vieles möglich. Ich denke, dieser Verein ist keine Eintagsfliege, sondern wird, glaube ich, immer wieder auf der internationalen Bühne auf sich aufmerksam machen.
Wieso gönnen sich osteuropäische Oligarchen so gerne Fußballclubs?
Da geht es um mehrere Dinge: Es geht um Mäzenatentum, Macht und Männlichkeit. Als Mäzen gibt man etwas zurück, baut ein Nachwuchsleistungszentrum, ein prunkvolles Stadion, den Stolz einer ganzen Region. Macht, weil man untermauert, was für ein starker Player man ist, wenn einem ein Fußballverein gehört, der noch dazu international erfolgreich ist. Es hat Prestige, was die Innenpolitik und das Geschäft angeht. Und Fußball wird in Osteuropa als ein Männersport gesehen. So ist es auch beim FC Sheriff.
Eine kurze Frage unter Fußballfans: Darf man sich mit dem FC Sheriff freuen?
Ich halte es so: Ich freue mich zuallererst mit der Republik Moldau. Denn der Klub ist Meister der moldauischen Liga. Das Ganze ist für das Land ein großer Erfolg, und man zeigt: Im Fußball ist das Land vereinigt. Es bleiben natürlich kritische Fragen nach dem ungelösten Konflikt, der Rolle des Konzerns. Aber für das Land selbst ist das eine Chance, menschlich wieder mehr zusammenzukommen. Und den Konflikt wieder öfter in die internationalen politischen Diskussionen einzubringen, dass wir sehen, dass der Konflikt nicht gelöst ist und jederzeit in eine andere Richtung ausschlagen kann. Und das wollen wir alle nicht. Deshalb ist es gut, wenn wir uns mit der Region befassen.
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