Oster-„Tatort“ aus dem Dezember: Noch eine Bombe in Dortmund
Im „Tatort“ geht es am Ostermontag um Terror. Nach dem Breitscheidplatz-Anschlag wurde er verschoben – jetzt zeigt die ARD ihn.
Nein, die ARD hat den Tatort dann doch nicht abgesagt. In Dortmund geht eine Bombe hoch. Im Tatort „Sturm“. Wie vergangenen Dienstagabend am Mannschaftsbus des BVB, vor dem Heimspiel gegen den AS Monaco in Dortmund.
Die Folge, die am Ostermontag gezeigt wird, ist derzeit ein fast unfassbar passendes Paradebeispiel dafür, wie die Präsenz von Gewalt in unserem Alltag mittlerweile den fiktionalen Szenarien den Rang abläuft. Während einst die erfundene Brutalität dazu diente, uns bewusst zu machen, wie gut es uns in unserer weichgespülten Wohlstandsgesellschaft geht, halten wir uns nun eher an Krimis, um einen Umgang mit dem allgegenwärtigen Morden, dem Verlust von Menschenleben zwischen Aleppo, dem Mittelmeer, Berlin, Paris, Brüssel, Schweden und London zu finden.
Und „Sturm“ ist zwar eine Inszenierung, dank Regisseur Richard Huber. Aber wirklich atemraubend harter Stoff am Ende. Es ist, als ob dieser Folge über einen muslimischen Selbstmordattentäter die Realität in den Knochen steckt. Denn eigentlich hätte sie schon im Dezember gezeigt werden sollen. Doch dann steuerte der Attentäter Anis Amri einen LKW in Weihnachtsmarktbesucher am Berliner Breitscheidplatz.
Und da in „Sturm“ ein Kleintransporter ebenfalls als Megawaffe missbraucht wird, entschied der Sender, diesen Tatort mit Jörg Hartmann, Anna Schudt, Aylin Tezel und Stefan Konarske auf den Frühling zu schieben. Nun wiederholte sich vergangene Woche in Stockholm eben jenes Terror-Szenario erneut. Es ist kaum auszuhalten.
Ein Selbstmordattentäter, der anders ist als zu erwarten
Nur sollte einen all das bitte nicht davon abhalten, sich „Sturm“ anzuschauen. Weil der Fall in weiteren Elementen die Bizarrerie des Bombenattentats auf den BVB derart spiegelt, dass die Drehbuchautoren Martin Eigler und Sönke Lars Neuwöhner in den vergangenen Tagen sicher aus dem sprachlosen Kopfschütteln kaum rausgekommen sind. Obwohl sie mit Storys wie dem Wirtschaftsthriller „Ein mörderisches Geschäft“ (2011) oder der Serie „Morgen hör’ ich auf“ mit Bastian Pastewka, die gerade den Deutschen Fernsehpreis gewann, ihre Affinität für im Hier und Jetzt verankertes Schreiben längst bewiesen haben.
In „Sturm“ nun setzen sie dem Dortmunder Ermittlerteam einen muslimischen Selbstmordattentäter vor die Nase, der anders ist als zu erwarten: Muhammad Hövermann, ein korpulenter, sanft blickender Bankangestellter, der nach der Heirat mit einer Muslima konvertierte – zwischen ausrastend und verzweifelt auf den Punkt gespielt von Felix Vörtler (verwirrenderweise auch Kriminalrat im Magdeburger Polizeiruf 110). Und der nun mit Sprengstoffweste um den Leib geschnallt nachts in der Bank sitzt und eine Überweisung nach der anderen exorbitante Summen auf ein Konto des IS verschiebt.
Während Kommissar Faber (Hartmann) ihn mit strategischen Rüpeleien mehr oder weniger in Schach hält und parallel per Telefon hilft, die Ermittlungen draußen weiter voranzutreiben. Alles nur, weil direkt um die Ecke zwei Polizisten auf Streife per Kopfschuss umgenietet worden waren – und die Ermittler, ihren Radius um den Tatort ziehend, quasi zufällig auf Hövermann stießen. Nach diesem Prinzip geht es weiter: Hartmann, Bönisch, Dalay und Kossik ziehen an einem Faden und etwas anderes gerät ins Rutschen.
Und mit den Figuren, die ins Blickfeld geraten, verschiebt sich, wer hier was weiß und tut. Angefangen von Hövermanns schwangerer Frau und ihrer Tochter, deren Freund und seinen Kumpels, radikalisierte Konvertiten, bis zu seinem Sohn aus erster Ehe.
„Keine Gotteskrieger, sondern Teufelskrieger“
Das große Verdienst dieser Folge ist, dass pauschale Vorannahmen gleich mal verpuffen. Als die Sprache auf den IS kommt, ist Hövermanns Antwort voller Verachtung: „Das sind keine Gotteskrieger, das sind Teufelskrieger!“, schnaubt er. Dass er zum Islam übergetreten sei, habe einen ganz einfachen Grund: „Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben überhaupt an etwas geglaubt – durch Hanifa.“
Dortmund-„Tatort“: „Sturm“; Ostermontag, 20.15 Uhr, ARD
Den Rest räumt Kommissarin Bönisch (Schudt) zur Seite, als sie sich Helfershelfer vorknöpft, um Schlimmeres zu verhindern: „Hätte, könnte, wollte, würde! Scheiße!“, brüllt sie. „Es gibt keine heilige Märtyreraktion!“ Mit das eindrücklichste ist daneben eine erzählerische Zäsur: Den vier Ermittlern, die sich seit Beginn ihrer Geschichte eigentlich permanent zerfleischen, kann man hier langsam dabei zuzusehen, wie sie zusammenrücken. Keine Posen mehr, alles sarkastische, bösartige Auf-Distanz-Halten ist weg. Auf einmal ist da nur noch Nähe.
Am Schluss steigt fern aus dem Dortmunder Häusermeer eine Rauchwolke auf. Und Täter und Familien und Kommissare liegen zu Boden gerissen, die Klamotten zerfetzt, überall Blut, überzogen mit einer Schicht aus weißem Staub. Wer in den vergangenen Wochen und Monaten selbst zu nah dran war an solchen Situationen, sollte sich das besser nicht antun. Alle anderen sollten sich den Schock zumuten. Den der Brutalität. Und den, der einen gegen die Wand schleudert, weil man erkennt, wie ekelhaft das ist: Wenn sich das Böse und das Böse gegenseitig benutzen.
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