Ossi-Studie: Setzen, sechs

Eine dubiose Studie an der Universität Leipzig sieht die Ostdeutschen als „symbolische Ausländer“. Haltbar ist die These allerdings nicht.

Die schöne Ossi-Tristesse. Nur ein Klischee? Bild: dpa

Die Aufmerksamkeit der Medien war dieser These gewiss: Die Ostdeutschen würden in überregionalen Medien als „defizitäre Volksgruppe“ dargestellt. So das Ergebnis einer vierjährigen Studie an der Universität Leipzig. Der Haken: Diese Studie inklusive der dazugehörigen Forschergruppe hat es offenbar nie gegeben.

Der Ostdeutsche gelte als „symbolischer Ausländer“, er werde mit dem „normalen Deutschen“ verglichen und als „Nicht-Deutscher“ gesehen, erklärte Rebecca Pates im Interview mit der Leipziger Volkszeitung.

Pates ist Politikwissenschaftlerin an der Universität Leipzig, Leiterin der Studie und neben Maximilian Schochow von der Uni Halle-Wittenberg die Mitherausgeberin des zur Studie veröffentlichten Sammelbandes „Der Ossi. Mikropolitische Studien über einen symbolischen Ausländer“. Auch andere Zeitungen und Rundfunkanstalten griffen die vermeintlich besorgniserregenden Ergebnisse des Forscherteams auf.

Der Untertanengeist

Muss das Projekt Wiedervereinigung also als gescheitert gelten? Zumindest Pates hat keinen Zweifel: Bis heute kursieren dieselben abenteuerlichen Geschichten über den „Ossi“ mit seinem „Untertanengeist“, wie sich der Kriminologe Christian Pfeiffer Ende der 90er ausdrückte.

Der nur mit kleinbürgerlich-materialistischen Wertvorstellungen ausgestattete Ostdeutsche, der eine „zivilisatorische Lücke“ zwischen West und Ost schlägt, wie der gebürtige Dresdener Soziologe Wolfgang Engler 1992 behauptete.

Unfug, meint hingegen Jochen Oltmer vom Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien in Osnabrück: Nur während einer kurzen Anfangsphase habe es in der Beschreibung von Ostdeutschen ethnisierende Tendenzen gegeben, glaubt Oltmer. Migrationsbewegungen von Ost nach West und umgekehrt hätten aber eine Vielzahl unterschiedlicher Erzählungen hervorgebracht.

Die These vom Ostdeutschen als „symbolischen Ausländer“ lasse zudem den gesamtdeutschen Diskurs außer Acht, glaubt Oltmer. In „erinnerungspolitischen Offensiven“ würden sehr stark gemeinsame Erfahrung, Herkunft und der Zusammenhalt aller Deutschen betont.

In „Wechselwirkung“ dazu sei ein „ganz anderer Ethnisierungsprozess entstanden“, der zu einer Stigmatisisierung von Migranten und sogenannten Gastarbeitern geführt habe. Darauf würden Ereignisse wie der Brandanschlag auf das Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen 1992 verweisen, so Oltmer.

Zweifelhafte Ergebenisse

Auch ein etwas genauerer Blick in das Aufreger-Buch gibt Entwarnung. Hier versammeln sich durchaus differenziert daherkomende Aufsätze von AutorInnen, die sich in „kursorischen Untersuchungen“ auf die Spur des „Ossis“ gesetzt haben. „Ich war nie Teil dieser Forschungsgruppe und möchte mich für die Ausländerthese auch nicht verhaften lassen“, erklärt etwa Dr. Robert Feustel, einer der Autoren.

Von dem zweifelhaften Ergebnis der Studie hörte er zum ersten Mal aus den Medien. Auf Nachfrage räumt Pates ein, es handle sich „nicht um eine Studie im umgangssprachlichen, quantitativen Sinn“. Es habe lediglich ein Seminar, Hausarbeiten, überarbeitete Hausarbeiten und Kollegen gegeben, „welche das Thema reizvoll fanden und einen Beitrag schrieben“.

Vielleicht ist die ganze Aufregung ja sowieso genauso falsch wie die fragwürdige Studie: „Wenn akademische Bücher über ein Thema geschrieben werden, ist das oft ein Zeichen dafür, dass es an Aktualität verloren hat“, meint Wissenschaftler Oltmer.

Was freilich nun auch wieder nicht heißen muss, dass der „symbolische Ausländer“ die letzte Erfindung des Ostdeutschen gewesen sein muss.

Anmerkung der Redaktion: Der Name von Maximilian Schochow, dem Mitherausgeber der Studie, war in einer ersten Version des Artikels falsch geschrieben. Wir bitten um Entschuldigung.

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