Osnabrück erprobt Verkehrsmanagement: Alte Schadstoffmenge neu verteilt
In Osnabrück soll das „Umweltsensitive Verkehrsmanagement“ die Schadstoffbelastung regulieren. Das Grundproblem bleibt dabei gleich: die vielen Autos.
OSNABRÜCK taz | Der Dezernent für Bauen und Umwelt zu sein, und dadurch federführend für Mobilitätskonzepte, kann in Osnabrück keinen Spaß machen. Frank Otte ist es seit 2013. Wer zählen will, wie oft Gegner der Verkehrswende gegen ihn zu Felde gezogen sind, hat viel zu tun.
Als Anfang Juli jedoch in Osnabrück das „Umweltsensitive Verkehrsmanagement“ (UVM) an den Start ging, zu einer anderthalbjährigen Testphase, war es auffällig ruhig um den Dezernenten, den die halbe Stadt als leidenschaftlichen Radfahrer kennt. Denn das 3,5 Millionen Euro teure System zur Luftschadstoffüberwachung und zur Verkehrsberechnung soll zwar Umwelt und Klima schützen, ist für die Autofahrer, die Problemverursacher, aber gar nicht so unvorteilhaft.
Seit 2020 wurden zur Umsetzung Dutzende Lichtsignalanlagen erneuert, Verkehrserfassungsdetektoren installiert, dynamische LED-Informationstafeln errichtet. Übersteigt die Schadstoffbelastung der Luft die Grenzwerte, etwa die der Feinstäube und Stickstoffdioxide, durch zu viel Stau und Stop-and-go, wird der Verkehr der innenstädtischen Hauptverkehrsstrecken seit Beginn der Testphase verflüssigt, indem die Querstraßen länger Rot haben. Reicht das nicht, wird der Zulauf in die Innenstadt verlangsamt – Autofahrer erhalten dann also eine grüne Welle.
„Im Moment halten wir die Grenzwerte zwar weitgehend ein“, sagt Otte. „Aber das ändert sich, wenn 2030 nach den Vorstellungen der EU-Kommission im Jahresdurchschnitt nur noch 20 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Luft erlaubt sind, statt, wie jetzt, das Doppelte.“ Dann werde das UVM als Maßnahme wohl nicht mehr ausreichen.
„Wir sollten das Problem nicht noch vergrößern, indem wir es dem Autoverkehr kurzfristig noch komfortabler machen“
Ohnehin halten nicht alle das UVM für eine gute Idee. „Für uns ist das System nur ein Notbehelf“, sagt Volker Bajus, Landtagsabgeordneter der Grünen in Hannover und Fraktionsvorsitzender im Osnabrücker Stadtrat. „Es geht nicht an die Ursachen und verhindert keine Schadstoffe.“ Die Belastungen würden nur anders im Stadtgebiet verteilt, sagt er.
Bajus fände es sinnvoll, den Einsatz des UVM auf die Lärmbelastung zu erweitern. „Das Ziel bleibt die Verringerung des Lkw- und Autoverkehrs und viel mehr Tempo 30“, sagt Bajus. „Nur so schaffen wir mehr Verkehrssicherheit, Lebensqualität und Gesundheit, und es bleibt mehr Platz für Fuß, Bus und Rad.“
Jetzt wird erst einmal evaluiert und nachjustiert. Dass das System womöglich mehr Autofahrer in die Stadt zieht, weil sie ja, wenn sie nur genug Schadstoffe ausstoßen, mit optimiertem Verkehrsfluss belohnt werden, glaubt Otte nicht: „Da müsste es schon zu Kollektivverabredungen kommen. Als Einzelner kann man das gar nicht beeinflussen.“ Bei den derzeitigen Grenzwerten rechnet Otte ohnehin nur mit wenigen Einsätzen des Systems pro Jahr. „Wenn überhaupt.“
Osnabrücks UVM, stadtweit ausgelegt und flankiert von einer App, die auch prognostiziert, ob und wie das System am Folgetag steuernd eingreift, soll Belastungsspitzen reduzieren, Fahrverbote verhindern – und erfasst dafür angeblich nur anonyme Bewegungsdaten. Die Stadt sei mit dieser Technologie „einer der Vorreiter in Deutschland“, sagt Otte.
Daniel Doerk, Osnabrücks profiliertester Fahrradaktivist, sieht das UVM mit gemischten Gefühlen. „Wenn es tatsächlich dafür sorgt, dass Autos vor den Toren der Stadt ausgebremst werden, kann es sich durchaus positiv auf den Verkehr und die Luftschadstoffe in der Stadt auswirken“, sagt er der taz. „Dabei muss aber sichergestellt sein, dass Busse nicht ebenfalls ausgesperrt werden. Sonst gibt es wenig Anreiz, auf den ÖPNV umzusteigen.“
Autofreundliche grüne Wellen, die umweltfreundliche Verkehre ausbremsen, dürfe es nicht geben. „Es wäre insgesamt wenig gewonnen, wenn die Rotlichtzeiten für Fußgänger, Radfahrerinnen und den ÖPNV verlängert werden und der Umweltverbund dadurch unattraktiver würde“, sagt Doerk. „Der Umweltverbund ist schließlich Teil der Lösung und sollte nicht noch mehr unter dem Autoverkehr leiden.“
Gehe es dem System um Beschleunigung des Autoverkehrs, fürchtet Doerk, würden „frei werdende Kapazitäten auf der Straße mittelfristig noch mehr Autos anziehen, weil der Platz ja dann da ist und es gut voran geht“. Es gebe zu viele Autos in der Stadt. „Wir sollten das Problem nicht noch vergrößern, indem wir es ihnen kurzfristig noch komfortabler machen.“
Leser*innenkommentare
Stoffel
Was ist den so schlecht am Onlineshopping. Die Innenstädte wollen uns nicht mehr haben. Ein Paketauto, welches 300 Pakete zustellt, erspart 300 einzelne Autofahrten.
Das wären bei einem Einzugsgebiet von 50 km, bis zu 30000 gesparte Kilometer.
Bolzkopf
Es wird so enden wie überall:
Weil man für umweltfreundliche UND gut funktionierende Verkehrskonzepte schlicht zu dumm und zu faul ist werden sicher wieder mal die Autos rausgeäzt.
Autos weg, Umsatz weg, Läden weg. Ziel erreicht.
Aber natürlich nicht nur zum Schaden den örtlichen Kaufleute.
Sondern auch zum Schaden all jener die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind.
Wie z.B. viele Senioren.
Und die haben das Geld.
Und das wird dann halt woanders ausgegeben.
Notfalls im warmen Süden.
Dabei gibt es so viele gut funktionierende und umweltfreundliche Konzepte.
Aber halt nicht hier.
hechtmaus
@Bolzkopf Na da haben Sie ja ganz 'nen schönen Rundumschlag vorgenommen, was auch wie immer am Ziel vorbeischießt.
Wenn wir den Autoverkehr reduztieren wollen, dann wird es bei 'nem vernünftigen Konzept mit Sicherheit nicht auf Kosten der mobilitätseingeschränkten Mitmenschen gehen. Viel mehr shared Spaces wären z.B. wünschenswert. Da ist Platz für alle, auch mit dem Auto darf dort hineingefahren werden, natürlich mit stark reduzierter Geschwindigkeit und besonderer Umsicht. Letzteres ist ja eh' immer angesagt, auch wenn das manche wohl nicht sonderlich zu interessieren scheint. Shared Spaces sind besonders in Wohngebieten, die derzeit meistens mit 'ner 30er Zone beschildert sind sinnvoll. Hauptverkehrsstraßen wird dies ja wohl nicht betreffen. Shared Spaces bringen auch viel mehr Bewußtsein in die Köpfe, dass nicht für jeden Weg ein Auto her muss. Es gibt immer noch viel zu viel nicht mobilitätseingeschränkte Mitmenschen, die ein Auto als 'Gehhilfe' verwenden, weil sie selbst schon für 300 zurückzulegende Meter sofort zumn Autoschlüssel greifen, obwohl sie keine speerigen, oder schweren Dinge zu transportieren haben.
Und wenn wir dann endlich auch mal von den riesigen Einkaufszentren draußen auf der (ehemals) grünen Wiese wegkommen, dann wäre noch viel mehr gewonnen. Kleinteiligere Versorgung nahe an den Wohngebieten ist gesamtwirtschaftlich gesehen die günstigere Variante, da vieles auch fußläufig erreichbar ist, in wenigen Minuten.