■ Oskar Lafontaine versucht, seinen Abgang als Minister, Parteivorsitzender und Abgeordneter zum Grundsatzstreit zu stilisieren. Eine polemische Kerze aus gegebenem Anlass: Mannheimer Nächte sind lang
Als er jüngst in der saarländischen Landesvertretung die wenig aktuellen Botschaften des staatlich geprüften Beschäftigungsprogrammatikers Ehrenberg präsentierte, rätselten Journalisten darüber, wie lange er wohl noch von seinem Dissidentenstatus zehren könne.
„Ach, das ist wie bei Karl Schiller damals“, mutmaßte eine erfahrene Bonner Journalistin, „nach fünf gut besuchten Veranstaltungen geht keiner mehr hin.“ 1972 war der populäre Superminister wegen Etatstreitigkeiten zurückgetreten. Tief gekränkt wandte er sich von der SPD ab und trat im folgenden Wahlkampf an der Seite Ludwig Erhards als marktwirtschaftlicher Kronzeuge gegen die eigenen Spitzengenossen auf.
Doch er sollte scheitern. Brandt gewann die Novemberwahl auch ohne seine vormalige Wahllokomotive. Schiller hatte verloren, seine missionarischen Devianzen zur Mutterpartei garantierten kein volles Haus mehr. Also trat er ohne größeres Aufsehen wieder der SPD bei, schrieb sogar Brandt zu dessen Kanzlerrücktritt einen rührenden Brief und war bei Parteitagen bis zu seinem Tode in der Seniorenloge ein gern gesehener Gast, dem die eitlen Ausflüge zu den Konservativen nachgesehen wurden.
Auch der weitaus weniger populäre Lafontaine versucht nunmehr über Wochen, seinen Abgang als Minister, Parteivorsitzender und Abgeordneter zum Grundsatzstreit zu stilisieren: „Soziale Gerechtigkeit oder Neoliberalismus?“, lautet seine krude Devise, die bei schlichten Politgemütern von links genauso zu verfangen scheint wie weiland Filbingers „Freiheit oder Sozialismus“ bei rechten Betonköpfen. Die „ergrauten alten Herren“ aus dem Deutschen Zentralbankrat hätten seine segensreiche Zinsbotschaft immer noch nicht erhört, tönte er beleidigt während der Ehrenberg-Präsentation.
Andrea Fischer, die couragierte Gesundheitsministerin, plauderte einmal gegenüber Bild am Sonntag aus dem Nähkästchen des Kabinetts: Schröder führe souverän, lasse die Leute ausreden und entscheide, wenn es an der Zeit sei. Lafontaine dagegen gebärde sich als ewiger Besserwisser, der immer das letzte kluge Wort für sich beanspruche.
Im Klartext: Oskar nervt. Mit seinen Rechthabereien wandelte Lafontaine schon immer auf dem populistischen Holzpfad zur wahren Macht. Nur in einer Underdog-Provinz wie dem Saargebiet (Heinz Becker, verzeih mir!) oder in einer gremienautistischen Funktionärspartei wie der Enkel-SPD vermochte er damit zu landen.
Als er 1990 mit sozialökonomischen Kassandrarufen die Wahl zur deutschen Einheit vergeigte, stachelten ihn seine Mediengroupies mit Straußens Kultparole an, zwar Recht gehabt, aber noch nicht bekommen zu haben. Der Saarfürst bekam indes 1998 so wenig Recht wie Bayernfürst Strauß 1980 gegen Helmut Schmidt; obwohl Oskars Anhänger nichts unversucht ließen, um den SPD-Wahlsieg in ein triumphales Plebiszit für die gewerkschaftlichen „Wahlprüfsteine“ umzudeuten.
Mannheimer Nächte sind lang. Erinnert sei an den Putsch vom November 95, da der Festzelttribun den Parteitag in einen wahren Gänsemarsch transformierte. Loyale Spitzensozis, die sich zuvor für Rudolf noch in eine Pfälzer Leberwurst hätten verwandeln lassen, stammelten plötzlich tränenerstickt: „Bravo Oskar!“ Und das alles wegen einer hochrotköpfigen Rede, von der nur die Verwechslung zwischen Schillers „Ode an die Freude“ und dem Text der Internationalen haften blieb. Das Mannheimer Medley.
Zwei Jahre später auf dem Hannoveraner Konvent lag ihm bereits der sozialdemokratische Funktionärskörper bereitwillig zu Füßen und konnte sich das fordernde „Do it!“ nur schwer untersagen. Lediglich das nahende Landesvotum von Niedersachsen schien Schröder vor einem Mannheim, Teil II zu bewahren.
Die Superlativen kannten plötzlich keine Grenzen mehr. 1996 galt er schon als der beste SPD-Chef nach Willy, 1997 war er gar noch besser als der späte (nur noch präsidiale) Brandt. Und 1998 nach der siegreichen Bundestagswahl sah mancher in ihm schon den „neuen Bebel“. Er hatte die Partei nach der „Halt's Maul“-Methode geführt. Nicht schlecht, dachten sich da viele verbitterte Altvordere, die sich schon lange gewünscht hatten, der jusoesken Funktionärsgeschwätzigkeit den Garaus zu machen.
Doch bereits vier Wochen vor dem 27. September letzten Jahres gab er den Startschuss zur Zerstörung seiner Aufbauleistung, als er auf einer Präsidiumssitzung – in Abwesenheit des Kanzlerkandidaten – jenen Präsiden versicherte, die nur reichlich distanziert die Neue-Mitte-Strategie mittrugen, sie müssten nur noch ein paar Tage schweigen. Danach dürfen sie wieder alles sagen, was sie dächten.
Unmittelbar nach dem 27. September um 18 Uhr ging er mit bestem Beispiel voran, jener Rumpelstilzserie, Scharping erneut zu demütigen. Wahlhit Stollmann abzuservieren, bei der Ämtervergabe Frauen gegen Ossis und Ossis gegen Frauen auszuspielen, die rot-rote Koalition in Mecklenburg-Vorpommern als Empfehlungsadresse an andere neue Bundesländer freizugeben.
Schließlich sein missionarischer Auftritt als Weltökonom, der internationalen Finanzwelt die Jacketkronen zu zeigen, vor allem aber: über dem empirischen Kanzler als sozialdemokratischer Wahrheits- oder linker Identitätskanzler zu posieren. Helmut Schmidts früheres Wort von der nahgereisten Pygmäenzucht selbstherrlicher Landesfürsten machte wieder die Bonner Runde.
Der „neue Bebel“ flog davon und landete – ideologisch – dicht neben Diether Dehm. Jüngst auf dem Zürcher Genusssymposion, wo er seine keynesianische Nachfragelitanei herunterbetete, mussten sich die Teilnehmer wie in einem Stripteaselokal vorkommen, in dem Wintermäntel präsentiert werden. Dabei hatte Lafontaine nur jene „Mannemer Brügg“ überquert, die seit jeher die biedere Botschaft mit einem exzentrischen Stil verbindet.
Übrigens, die Bonner Journalistenschar erreichte die sensationelle Kunde von Lafontaines letztem Putsch während Anthony Giddens' Buchpräsentation in der niedersächsischen Landesvertretung. Ein vom drakonischen Saar-Presserecht ausgenommener Lafontaine-Bewunderer unter der schreibenden Zunft stammelte schmallippig, dass man wohl jetzt „eine neue Partei“ gründen müsse.
Frage: In Butter gebraten oder in Olivenöl gedünstet?
Norbert Seitz
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