Orthodoxe Ukrainer gespalten: Ein Krieg und zwei Kirchen
Bei Razzien in Klöstern werden Beweismittel gefunden. Diese legen eine Verbindung der ukrainisch-orthodoxen Kirche zu Russland nahe.
Im größten Gotteshaus der Ukrainischen-orthodoxen Kirche in Luzk haben die ukrainischen Agenten noch nicht vorbei geschaut. Die Pokrowskaja-Kirche ist immer gut besucht. „In unserem Land gibt es zusätzlich zu dem eigentlichen Krieg einen geistlichen Krieg, der unsere Gesellschaft spaltet. Gewöhnliche Laien in Soutanen nennen sich zwar Diener Christi, aber sie treten gegenüber Gläubigen und Priestern aggressiv auf“, predigt Archimandrit Feofan.
Er spielt auf Mitglieder der anderen orthodoxen Kirche im Land an, nämlich die Orthodoxe Kirche der Ukraine, eine autokephale Kirche, die seit 2019 offiziell als eigenständig anerkannt ist. Die Ukrainisch-orthodoxe Kirche, zu der sich Archimandrit Feofan bekennt, hieß bis zum 27. Mai 2022 Ukrainisch-orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats und war bis dahin Teil der Russisch-Orthodoxen Kirche.
An diesem Sonntag in der Pokrowskaja-Kirche in Luzk scheitert der erste Versuch, als Journalist mit den Geistlichen ins Gespräch zu kommen. Ohne Aufnahmegerät erklärt sich schließlich ein Pfarrer bereit.
Pfarrer weicht aus
Themen wie die Razzien des Geheimdienstes in der Moskau-nahen Kirche und ihr mögliches Verbot sind tabu. „Journalisten und Facebook bringen Unruhe in die Gesellschaft“, sagt er und versucht, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Es gibt auch Soldaten unter unseren Gläubigen. Hunderte von unseren Gemeindemitgliedern aus Wolhynien haben sich für die Ukraine eingesetzt, aber wir werden weiterhin als „Moskaly“(Schimpfwort für Russ*innen in der Ukraine, Anm. d. Red.) und Separatisten bezeichnet.“ So vermeidet der Pfarrer die Frage, warum die Ukrainisch-orthodoxe Kirche noch keinen ihrer Priester offiziell bestraft hat, die als Kollaborateure der russischen Besatzer aufgefallen sind.
Die orthodoxe Kirche der Ukraine
2018 entstand die Orthodoxe Kirche der Ukraine aus zwei nationalen Kirchen. Zunächst unterstand sie dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel. Mit Sitz im St.-Michaels-Kloster in Kyjiw ist die Orthodoxe Kirche der Ukraine im Westen des Landes stärker. Etwa 47 Prozent aller Ukrainer*innen bekennen sich dazu.
Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche
Parallel existiert in der Ukraine die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche, die sich im Mai 2022, in Folge des russischen Angriffskriegs, vom Moskauer Patriarchat lossagte. Zunächst als Teil der Russisch-Orthodoxen Kirche entstand diese Kirche 1990 unter dem Namen Ukrainisch-orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats. Ihre Hauptkirche ist die Mariä-Entschlafens-Kathedrale im Bereich des Kyjiwer Höhlenklosters.
Etwa 13,3 Prozent der ukrainischen Staatsangehörigen bekennen sich dazu. (gta)
Nach dem Gottesdienst werden die Menschen gesprächiger. Befragt nach dem Foto eines nackten Priesters mit einem jungen Mann in einer Kirche in der westukrainischen Stadt Tscherniwzi, die der Geheimdienst bei einer anderen Razzia überrascht hatte, sagt eine Frau: „Ich denke, das ist eine Fälschung, ich kann es mir nicht erklären.“ Dann bekreuzigt sie sich.
Eine andere Frau sagt dazu: „Diese unverständliche Aggression richtet sich gegen unsere Gemeinde. Ich bin mir sicher, dass all diese Durchsuchungen und Angriffe nicht legal und unchristlich sind.“
Am Abend ist in den ukrainischen sozialen Medien eine Durchsuchung in einem weiteren Kloster in Wolhynien das Topthema. In einem Fernsehbericht schwört ein etwa 55-jähriger Mann, dass er seine Kirche, die ehemalige Ukrainisch-orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats, niemals verraten werde und nicht verstehe, was die Polizei im Kloster täte.
100 Gemeinden wechseln
Die Frage, wer den Krieg entfesselt habe, kann er nicht beantworten. „Ich bin kein Politiker, sondern ein orthodoxer Christ. Gott herrscht über alle, es ist mir egal, welches Land hier sein wird – die Ukraine oder Russland. Hauptsache, hier herrschen Frieden und Liebe und dass wir keine Feinde sind“, sagt er.
Gotteshäuser, in denen Gläubige der Orthodoxen Kirche der Ukraine beten, bezeichnen sich als „erobert“. Denn die Orthodoxe Kirche der Ukraine betrachtet sich als „die einzige kanonische Kirche“ im Lande. Zeitgleich werden Menschen als „Schismatiker“ und „Rebellen“ bezeichnet, wenn sie von der Orthodoxen Kirche der Ukraine zu der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche wechseln. Aus der Perspektive der „Moskau-nahen“ Kirche bedeutet der Schritt „nicht einfach in die Kirche zu gehen, sondern dort Politik hineinzutragen.“
Zum ersten Mal hat die Orthodoxe Kirche der Ukraine die größte Anzahl an Mitgliedern in der Region Wolhynien, wo es mehr als 1.000 orthodoxe Gemeinden gibt. Seit dem 24. Februar 2022 verließen in der Region 50 Pfarreien die Ukrainisch-orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats, die seit dem 27. Mai offiziell in Ukrainisch-orthodoxe Kirche umbenannt wurde.
Seit 2019 haben insgesamt 100 Gemeinden vom „Moskauer“ zum „Kyjiwer Patriarchat“ gewechselt. Der Wechsel von Priestern, Gläubigen und Kirchen ist einfach. Dafür muss man eine Versammlung mit einer Mehrheit der Gläubigen einberufen und die entsprechenden Unterlagen an den Bischof schicken. Ab diesem Zeitpunkt darf die Gemeinde Gottesdienste als Teil der anderen orthodoxen Kirche abhalten und sich als solche registrieren lassen.
Hin und her
In der Region Wolhynien gab es mehrere Skandale, als Moskau-nahe Priester den Forderungen der Gemeinde nicht zustimmten. Ein Priester ließ zum Beispiel Gemeindemitglieder, die sich für einen Wechsel entschieden hatten, nicht mehr in die Kirche hinein. In einer anderen Stadt errichteten Anhänger des Moskauer Patriarchats ein Zelt, um dort zu beten und die Anhänger der anderen Kirche zu verfluchen. Diese hatten die ukrainische Flagge am Eingang des Gotteshauses aufgestellt.
In der Stadt Luzk ist auch eine Kirche zurückgerudert. Im Mai hatte sich der Prior einer Kirche, Wladimir Litwentschuk, mit seiner Gemeinde der Orthodoxen Kirche der Ukraine angeschlossen. Einen Monat später überlegte er es sich anders und kehrte zum Moskauer Patriarchat zurück. Er rechtfertigte sich: Die Synode habe im Juni die Beziehungen zu Moskau angeblich endgültig abgebrochen.
Litwentschuk bereute dann seine Entscheidung und kehrte erneut zurück zur Ukrainisch-Orthodoxen Kirche. Litwentschuk hatte bereits im Mai seine Kirche für die stillschweigende Akzeptanz des russischen Krieges kritisiert. Mittlerweile hat er sich aus den sozialen Medien zurück gezogen.
„Auf keinen Fall zu etwas zwingen“
Im Dorf Zaborol, das ebenfalls im Westen des Landes liegt, äußert sich der Militärseelsorger und Vorsteher der Pfarrei, Witali Antonjuk, zu den mutmaßlichen Beweggründen für den Wechsel. „Viele Menschen sind noch einem kommunistischen und sowjetischen Denken verhaftet und sie leben mit geschlossenen Augen. Viele, die in der Moskauer Kirche getauft wurden, wollen auch dort begraben werden“, sagt er.
„Wenn wir mit solchen Überzeugungen weiter gelebt hätten, dann gäbe es die Ukraine überhaupt nicht. Wenn Menschen die Kirche nicht wechseln möchten, bedeutet das, dass sie ihre Vision nicht ändern wollen, dass es für sie bequem ist“, sagt Vater Witali. „Aber sie dürfen auf keinen Fall zu irgendetwas gezwungen werden, denn die Kirche ist kein Ort dafür. Es muss den Willen der Menschen dazu geben.“
Aus dem Russischen Barbara Oertel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen