Orientalische Instrumente in Kreuzberg: Der Mann, der Lauten baut
Mohamed Khoudir ist einer der wenigen Oudbauer in Deutschland. Die Oud, ein Instrument aus dem Nahen Osten, hat in Berlin ihren Platz gefunden.
In einer Seitenstraße in Kreuzberg befindet sich ein kleiner, unscheinbarer Laden mit einem merkwürdigen Instrument über der Eingangstür. Betritt man den Laden, ist man umgeben von orientalischen, fremdartigen Lauten und Trommeln. Inmitten dieser Sammlung steht ein lächelnder Mann mit leicht ergrauendem Haar, hinter ihm eine Werkbank und eine Wand von Holzbögen, Einzelteilen und Werkzeugen. Es ist der Instrumentenbauer Mohamed Khoudir.
Er betreibt die Khoudir-Oud-Botique seit 13 Jahren und ist damit einer der wenigen Handwerker in Deutschland, die Ouds bauen. Die Oud ist vergleichbar mit der mittelalterlichen Laute und am besten zu beschreiben als eine arabische Gitarre mit einem orientalisch klingenden Sound. Der rührt daher, dass auf der Oud Viertel- und Dreivierteltöne gespielt werden, die in der westlichen Musik kaum genutzt werden.
Aber wie kam Mohamed Khoudir darauf, in Deutschland mit der Herstellung dieser Lauten zu beginnen? „Ich hatte in Schöneberg einen syrischen Freund, der Oud-Lehrer war“, erzählt er. „Irgendwann habe ich ihn gefragt, ob er mir Oud beibringen kann. Ich komme ursprünglich aus dem pädagogischen Bereich und habe mit Kindern musiziert, daher kam das Interesse, ein Instrument zu lernen.“ Ab da begann seine Reise mit der Oud. „Die erste Aufgabe war es dann auch, eine Oud zu besorgen.“
Das einzige Exemplar des Instruments, das Khoudir in Berlin finden konnte, war nur für dekorative Zwecke gedacht. Als sein Freund ihm erklärte, dass er damit nicht spielen könne, sei er ins Grübeln gekommen: Woraus besteht eine Oud überhaupt? Khoudir begann dann zu recherchieren, was Zupfinstrumente und Lauten ausmacht.
Zunächst kam die Beschäftigung mit Holz
„Zur Oud gab es zu dieser Zeit, das war um 2006, nicht viel zu finden“, sagt er. „An dem Kinderhort, wo ich gearbeitet hatte, gab es auch eine Werkstatt und um die Ecke war ein Schreiner, von dem haben wir immer Restholz bekommen. Dort hatte ich ein interessantes Stück Holz gefunden, welches dunkel war, aber nicht gefärbt. Ich fragte wieder bei meinem Lehrer nach. Da begann meine Beschäftigung mit Holz.“
Jede Holzsorte ergibt einen anderen Klang, und das ist natürlich das Wichtigste bei einer Laute, der Klang. Khoudir begann damit, sein Stück Holz zu schnitzen, um daraus einen Hals herzustellen. So erarbeitete er sich Stück für den Stück den Zugang zur Oud. Er recherchierte in Bibliotheken, um die Theorie hinter dem Instrumentenbau zu lernen.
Er suchte den Kontakt zu anderen Instrumentenbauern: „Hier in Kreuzberg war ein Gitarrenbauer, der hat mir mit der Decke, also der Vorderseite, geholfen“, erzählt er. „Ich war auch im Prenzlauer Berg bei einem Geigenbauer, den konnte ich viel fragen über Wirbel am Instrument. Letztendlich habe ich dann sechs Monate gebraucht, um meine erste Oud zu bauen.“
Während Mohamed Khoudir noch von seiner ersten Oud schwärmt, kommt der erste Kunde des Tages in den Laden. Es ist ein brasilianischer Musiker. Seine Viola Caipira, eine zehnseitige brasilianische Gitarre, hat eine Delle am Korpus. Da er in der Cuvrystraße wohne, kenne er Mohameds Laden vom Sehen und dachte, er schaue mal vorbei, um herauszufinden, ob Mohamed seine Gitarre reparieren kann.
Die Kultur hinter den Instrumenten
Mohamed schaut begeistert, als er die Viola sieht. Er inspiziert das Instrument genau von allen Seiten, es sieht aus, als würde er etwas lesen, was wir nicht sehen können. „Das ist ein wunderschönes Instrument“, sagt er, worauf der Brasilianer antwortet: „Vor allem die Kultur dahinter ist schön.“
Mohamed Khoudir steht jetzt vor der Aufgabe, den Korpus der Gitarre zu reparieren, ohne dass sich der Klang durch den Prozess verändert, aber er ist sich sicher, dass er es hinkriegt. Der Musiker hat das Instrument aus Brasilien mitgebracht, da er nirgendwo in Berlin eine Viola Caipira finden konnte.
Der Brasilianer hat ein Thema angesprochen, was Khoudir sehr beschäftigt, die Kultur hinter den Instrumenten. Er will mir ein etwas anderes Instrument zeigen, das ich noch nie gesehen habe. Es ist rechteckig, etwas länglich, mit vielen Saiten, die quer über das Holz gehen und am Ende viele Stimmmechaniken. Es passt perfekt auf seinen Schoß.
„Das ist eine kleine Kanun. Wenn die Oud mit einer Gitarre vergleichbar ist, dann die Kanun mit einem Klavier. Normalerweise ist die Kanun sehr groß, was den Zugang erschwert.“ Ihm sei aufgefallen, dass es bei orientalischen Instrumenten keine Früherziehung für Kinder gebe. Eine Kanun sei zu groß, als dass ein Kind sie halten könne. Doch in Europa gebe es kleinere Gitarren, um Kinder früh daran zu gewöhnen.
Eine Kanun für Kinder
„Deshalb war es etwas Besonderes für mich, eine kleine Kanun zu bauen, die für Kinder geeignet ist und mit der man auch Musik komponieren kann“, sagt der Oudbauer.“ Ich war mal bei einer Schulklasse in Berlin und als ich die Frage gestellt habe, wie viele ein Instrument spielen, haben sich nur vier oder fünf Kinder gemeldet. Obwohl in Deutschland fast jeder die Möglichkeit hätte ein Instrument zu lernen, denken viele, dass man begabt sein muss, um ein Instrument zu lernen, oder aus einer Musikerfamilie kommen muss.“
Als ich Mohamed zuhöre, wie er über die Chancen, ein Instrument zu lernen, erzählt, erinnert mich das an meinen Vater. Er erzählte, dass es im türkischen Dorf keine Möglichkeit für ihn gab, die Saz, eine anatolische Laute, zu lernen, denn in den Dörfern blieb dieses Wissen in den jeweiligen Familien. In seinem Dorf gab es den alten Hüseyin, der Saz in Istanbul gelernt hatte. Im Dorf habe er es den Kindern seiner Brüder beigebracht, erzählte mein Vater mir.
Mohamed Khoudir kommt diese Geschichte bekannt vor: „Als Kind in Algerien war es mein Traum, eine Gitarre zu haben, ich begeisterte mich sehr für Flamenco. Aber bei uns war es auch so, dass bestimmte Familien ihren Kindern das beibringen konnten oder eine Gitarre hatten. Es gab nicht für alle den Platz, ein Instrument zu lernen. Mein einziges Instrument als Kind war mein Schreibtisch, auf dem ich immer geklopft und getrommelt habe.“
Auf meine Frage, ob Mohamed sich als Oudbauer als Teil der arabischen Community in Berlin sieht, antwortet er erst nach kurzem Überlegen. Natürlich sei die Oud eng mit dieser Region verwurzelt, aber er würde sich nicht darauf reduzieren wollen. Er werde zwar von manchen als arabischer Oudbauer wahrgenommen, erklärt er, doch die Oud, das Instrument, stehe erst einmal für sich.
Er hat das Gefühl, wenn er sich selbst als „arabischen“ Oudbauer bezeichnete, dann würde er Menschen aus anderen Kulturen auszuschließen. Was er nicht mag, ist, wenn Menschen über die Oud streiten: „Oud ist syrisch! Nein, Oud ist türkisch!“ Für ihn gilt nur das: „Oud ist Oud.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen