piwik no script img

Opposition in der TürkeiMillionenfache Solidarität an der Wahlurne

Die CHP hatte zu einer symbolischen Nominierung als Präsidentschaftskandidat aufgerufen. Auch viele Nicht-CHPler voten für Ekrem İmamoğlu.

Symbolische Wahl für den inhaftierten Ekrem İmamoğlu (CHP) in Istanbul Foto: Huseyin Aldemir/AP/dpa

Istanbul taz | Am fünften Tag der landesweiten Proteste gegen die Verhaftung von Ekrem Imamoğlu versammelten sich in Saraçhane, Istanbul erneut hunderttausende Menschen. Türkischen Medien zufolge beläuft sich die Zahl Sonntagabend auf eine Million.

Die CHP hatte am Sonntag zu einer symbolischen Urnenwahl aufgerufen, bei der ihre 1,7 Millionen Mitglieder İmamoğlu als Präsidentschaftskandidaten 2028 nominieren konnten. Zudem wurden „Solidaritätsurnen“ aufgestellt, bei denen Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme abgeben konnten, die keine CHP-Mitglieder sind. Insgesamt haben 1,6 Millionen CHP-Mitglieder sich an der Wahl beteiligt. Mehr als 13 Millionen seien bis Redaktionsschluss an den Solidaritätsurnen gezählt worden.

Hintergrund dieser Proteste ist die Festnahme von Ekrem İmamoğlu, dem Bürgermeister von Istanbul, am 19. März 2025. In den frühen Morgenstunden wurde das Haus von İmamoğlu von 3.000 Polizisten umstellt. Die Festnahme des populären Politikers, der als einer der stärksten Gegenspieler von Präsident Erdoğan gilt, löste landesweit Proteste aus. Die Aktion wurde von vielen als ein gezielter Versuch angesehen, die Opposition zu schwächen und die politische Kontrolle zu festigen.

Am Sonntag, den 23. März, wurde İmamoğlu schließlich zu Untersuchungshaft verurteilt, was die Wellen des Widerstands weiter anheizte. In einer Rede kommentierte Mansur Yavaş, der Bürgermeister von Ankara und prominenter Oppositionspolitiker der CHP, die Situation: „Wenn heute rund 20 Millionen Menschen an die Urnen gehen, obwohl sie nicht dazu verpflichtet sind, dann ist es längst an der Zeit für vorgezogene Neuwahlen.“ Yavaş betonte, dass die Türkei dringend einen politischen Kurswechsel brauche, und sprach sich für einen Neuanfang aus.

Weiterer Bürgermeister wurde abgesetzt

Zum Finale der symbolischen Wahl hielt CHP-Chef Özgür Özel eine mitreißende Rede in Saraçhane, in der er die Menschen zu weiterer Entschlossenheit und Widerstand aufrief und den Mut der jungen Menschen lobte. Özel spricht vom Tag als die „23. März Revolution“. Währenddessen postete Ekrem Imamoğlu auf seinen sozialen Medien: „Yılmıyorum, korkmuyorum, geri adım atmıyorum.“ (Ich gebe nicht auf, ich habe keine Angst, ich weiche nicht zurück). Diese Botschaft fand bei vielen Anklang und wurde zu einem Symbol des Widerstands.

In den Straßen von Istanbul hallte ein weiteres weithin hörbares Echo: „Tayyip istifa!“ – Ein Ruf nach dem Rücktritt von Präsident Erdoğan, der die Unzufriedenheit vieler Bürger widerspiegelt. Parallel zu den Protesten in Istanbul eskalierten die politischen Spannungen auch in Şişli. Resul Emrah Şahan, der Bürgermeister von Şişli, wurde verhaftet und seines Amtes enthoben. Ihm wurde vorgeworfen, eine „bewaffnete terroristische Organisation“ zu unterstützen. Auch in Şişli versammelten sich vor dem Rathaus Menschen und forderten die Freilassung von Şahan sowie die Rückkehr zu einer demokratischen Verwaltung.

Die politischen Turbulenzen rund um die Verhaftung von Ekrem İmamoğlu und die Einsetzung eines Kayyum in Şişli markieren einen Wendepunkt. Ein Kayyum ist ein vom Staat eingesetzter Verwalter, der in der Türkei häufig die Kontrolle über Kommunen übernimmt, wenn diese als politisch „nicht vertrauenswürdig“ gelten oder die Regierung befürchtet, dass die lokalen Behörden der Opposition zugeneigt sind.

Wachsende Unzufriedenheit mit der AKP-Regierung

In der Vergangenheit wurden Kayyums oft in kurdischen Städten eingesetzt, doch die Einsetzung eines Kayyum in Şişli ist ein weiteres Zeichen für die zunehmende politische Zentralisierung und den Autoritarismus der Regierung. Diese Ereignisse verdeutlichen die zunehmende politische Polarisierung und den Widerstand gegen die Regierung.

Der Protest in Istanbul und anderen Städten zeigt die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der aktuellen Regierung und den Ruf nach demokratischen Reformen. Diese Ereignisse verdeutlichen die zunehmende politische Polarisierung und den Widerstand gegen die Regierung. Der Protest in Istanbul und anderen Städten zeigt die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der aktuellen Regierung und den Ruf nach demokratischen Reformen.

Am kommenden Mittwoch wird der Stadtrat von Istanbul zusammentreten, um einen neuen stellvertretenden Bürgermeister zu wählen. Dieser Schritt könnte weiteren Widerstand und politische Auseinandersetzungen nach sich ziehen. Es bleibt also spannend, wer letztendlich gewählt wird und wie dies die politische Landschaft in Istanbul beeinflussen wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Gab es nicht bei der SPD immer Stimmen , die es toll fanden , dass erdogan in Deutschland Wahlkampf machen wollte? Die ihn sogar eingeladen haben! Wo gibt es dies das ein fremdes Staatsoberhaupt in einem anderen Land zu seinen "Jüngern" sprechen darf! Jetzt sehen wir was wir da unterstützt haben.

    • @Thomas Zwarkat:

      Was wir da unterstützt haben, konnte man übrigens schon seit Jahrzehnten sehen und noch lange bevor Erdogan zum Rais der Türkei wurde: PKK-Verbot, dafür aber ungehindertes Agieren der türkischen Grauen Wölfe, der mitgliederstärksten faschistischen Organisation innerhalb der türkischen Community in Deutschland.