Opposition in Russland: Die Spur führt zum FSB
Internationale Rechercheure werfen acht russischen Geheimdienstagenten vor, versucht zu haben den Kremlkritiker Alexej Nawalny zu vergiften.
Von den Enthüllungen des Recherchenetzwerks bellingcats, von The Insider, CNN und des Spiegels im Fall des Oppositionellen Alexej Nawalny, der im August in Russland vergiftet wurde und sich seitdem in Deutschland aufhält, erfuhren russische Fernsehzuschauer nichts. Mindestens acht Mitarbeiter des Geheimdienstes FSB konnten demnach identifiziert werden. Sie sollen am Einsatz gegen Nawalny im Sommer beteiligt gewesen sein.
Die Beschattung des „Berliner Patienten“ – Putin vermeidet Nawalny beim Namen zu nennen – läuft schon seit Januar 2017. Insgesamt stießen die Rechercheure bei 30 Reisen auf 36 Übereinstimmungen, sagte Nawalny in einem Video auf seinem Kanal. Fast eine Stunde erzählte er von den Nachforschungen, die einen „Hollywood Thriller“ schmücken würden.
Nawalny war im August in Sibirien nur knapp mit dem Leben davongekommen. In Tomsk wurde er vergiftet und nach einer Notlandung im sibirischen Omsk nach Intervention Berlins in die Charité ausgeflogen. Er dramatisiert sein Schicksal aber nicht und bleibt auf Distanz.
Mit Witz
Doch genießt er es, die sechs Agenten und ihre beiden Vorgesetzten auf dem Kanal Nawalny vorzuführen. Mit Witz stellt er sich der eigenen Geschichte. Mit Passagierlisten russischer Linienflüge beginnt die Untersuchung. Zunächst wird nach Männern zwischen 27 und 50 Jahren auf Routen gesucht, die auch Nawalny gebucht hat. Meist fliegen sie einen Tag vorher hin und etwas später zurück.
Nach einem Überfall im April 2017 in Moskau mit einer ätzenden Flüssigkeit sagte Nawalny den Flug ab, seine Beschatter waren schon vorausgeeilt. Zudem stellte sich heraus, dass Agenten ihre Geburtsjahre um ein Jahr verändern.
Manche wählen als Decknamen die Mädchennamen ihrer Ehefrauen. Zupass kam den Rechercheuren der Zugang zu vielen Datenbeständen, die in Russland zum Verkauf angeboten werden, darunter Mobilfunk- und GPS-Daten.
Einer der Chefs dieser Gruppe hatte regelmäßig Kontakt zu chemischen Labors, die für Russlands Nowitschok-Programm vorher einmal verantwortlich waren. Mit dem chemischen Nervenkampfstoff sollte Nawalny beseitigt werden.
Er war am 20. August auf einem Flug von Tomsk nach Moskau zusammengebrochen. Zuvor hatte er in einer Hotelbar einen Cocktail bestellt, diesen aber nicht ausgetrunken. Nach dem Vorfall setzte ein reger Telefonverkehr zwischen den FSB-Leuten und einem Agenten in Tomsk ein.
Einige FSB-Mitarbeiter besuchten einen Tag später in Gorno-Altaisk das Institut für Probleme chemischer Technologien, das Kampfstoffe beseitigt. Zur Agentengruppe gehörte auch ein Nachbar Nawalnys.
Sechs Millionen Zuschauer sahen Nawalnys Beitrag seit Montag. Nach der Attacke konnte er seine Zustimmungswerte auf 20 Prozent erhöhen. Doch glaubt nur ein Drittel der Befragten an eine gezielte Vergiftung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?