piwik no script img

Opportunismus als Borussia-Dortmund-FanDas Leben ist zu kurz, um schlechten Fußball zu sehen

Wer sagt, dass man sein Leben lang Fan vom selben Club bleiben muss? Es reicht doch, wenn man immer dieselbe Partei wählt.

Im Novemberregen bei 3 Grad entspannt Fußball gucken – wie soll das gehen? Foto: Vitalii Kliuiev/imago

A m besten, ich sag’s gleich. Ich trenn mich. Vom BVB. Hab dem Ballspielverein 09 Borussia Dortmund lange genug die Stange gehalten. Um mir das Gekicke weiter anzutun, dazu bin ich viel zu opportunistisch. Das war schon zu Ostzeiten so, als ich sogar mal Fan des BFC Dynamo war. Das war der Stasiklub, mit Stasichef Erich Mielke auf der Tribüne. Ich hätte auch zum 1. FC Union gehen können, aber der dümpelte meist in der 2. Liga rum.

Der BFC spielte den besseren Fußball. Warum schlechten Fußball gucken, wenn’s auch anders geht? Ich war jung und brauchte den Kick. Später wechselte ich zu Dynamo Dresden oder zum 1. FC Magdeburg – wie es grad passte. Bin eh kein Stadiongänger. Im Novemberregen bei 3 Grad entspannt Fußball gucken – wie soll das gehen? Und hat nicht schon Umberto Eco gesagt, Fußball sei wunderbar, Fußballfans seien schrecklich?

„Der Opportunismus bezeichnet die zweckmäßige Anpassung an die jeweilige Lage“, steht bei Wikipedia. Das trifft’s doch gut. Und es kann überlebenswichtig sein. So sind etwa Leoparden opportunistische Jäger. Zu ihren Beutetieren zählen Antilopen und Warzenschweine, aber auch Krebse und Käfer. Wie es grad passt. Opportunismus spart Schmerzen, man denke an Galilei, der, als ihm die Folterinstrumente gezeigt wurden, seine Thesen widerrief.

Weil in jedem Fußballfreund ein subkutaner Hang zum Fansein existiert, blieb ich nach der Wende beim BVB hängen. Immerzu wechseln ist auch anstrengend. Allerdings machte ich von dort immer mal wieder Ausflüge, etwa zum FC Chelsea (wo Michael Ballack spielte) oder später zu Real Madrid (Toni Kroos). Das hält einen beweglich, flexibel. Außerhalb der Bundesliga konnte ich sogar den Bayern die Daumen drücken – wenn sie guten Fußball spielten.

Leverkusen spielt den schöneren Fußball

Was aber niemals ging, war: Bayern-Fan zu werden. Als BVB-Anhänger konnte man immer noch einen Rest von Underdog-Image pflegen. Mit der Spielkultur der Schwarz-Gelben ging es zuletzt allerdings rapide bergab. Jetzt spielen die Aspirinis von Leverkusen, wie die Griechen sie zärtlich nennen, den schönen Fußball.

Pillenklub schimpfen ihn die Traditionalisten. Aber möchten wir in einer Welt leben, in der es nur Traditionsvereine gibt? Und reicht es nicht, dass ich schon seit Jahrzehnten dieselbe Partei wähle? Das Leben ist zu kurz, um schlechten Fußball zu sehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Stefan Mahlke
Stefan Mahlke ist Germanist und Historiker und verantwortlicher Redakteur des "Atlas der Globalisierung" von Le Monde diplomatique, der von der taz herausgegeben wird.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Naja, vielleicht sorgt die AfD nach ihrer Machtergreifung auch für besseren Fußball.

  • "Bin eh kein Stadiongänger. Im Novemberregen bei 3 Grad entspannt Fußball gucken – wie soll das gehen? Und hat nicht schon Umberto Eco gesagt, Fußball sei wunderbar, Fußballfans seien schrecklich?"



    Das ist des Pudels Kern, die physische Präsenz, als Anwesende, als Gruppe. Meine ersten prägenden Erlebnisse waren Stadionbesuche, als Kind die herrlichen Flutlichtspiele, das Spiel sogar auf verschneiten Plätzen, die langen Debatten in d. Schule über das Live-Erlebnis.



    "Wir wollen hüpfen": Im alten Westfalenstadion bebte die Tribüne bei Gleichklang im Schwung. Konfetti, Pilzdeckchen im Freudentaumel, bunte Fahnen und Banner. Das Radio und das Fernsehen sind kein Ersatz, nur das Event - mit oder ohne Bratwurst und Bier - , aber immer mit Borussia zählt. Die Süd ist ein Teil der Revier-Kultur, das eigene Trikot waschen viele erst wieder nach Niederlagen. Und es gibt noch "Kuttenträger" & Bierdusche.



    presse.wdr.de/plou..._wir_die_wand.html



    Die sich live beteiligenden Fanclubs aus dem Ausland können ein Lied davon singen, was ein Alleinstellungsmerkmal der Südtribüne Dortmund weltweit ist.



    Der kongeniale Jürgen Klopp war wie ein Katalysator der Süd

  • Für Opportunisten gab es doch immer genau den FC Bayern München. Die Stuttgarter Kickers, der TSV 1860, Preußen Münster, Nürnberg ... verlieren immer? Ach: Bayern München hingegen selten (Heutzutage kann es auch Real, Barcelona sein oder St. Germain oder ...)

    Man kann unabhängig von einer Anhängerschaft das Fußballspiel eines solchen Clubs ja nüchtern goutieren. Guardiola und van Gaal brachten das ganze Ligaspiel weiter. Dortmund ist dabei auch nicht zwingend der Herzensclub, frühe Aktiengesellschaft und alle Winkelzüge. Aber einen Verein in der leichten Krise verlassen, ist für Fans ungewöhnlich. Muss man nach dem Mielkeclub noch einen draufsetzen?